(= Fortsetzung unserer ewigen Coen-Retrospektive.)
Arkansas, 1878. Die 14-jährige Farmerstochter Mattie Ross will Tom Chaney, den Mörder ihres Vaters, dingfest machen. Dafür heuert sie den schneidigen wie trinkfesten Marshal Cogburn an. Auf ihrem Weg durch das Land der Choctaw begleitet sie Texas Ranger LaBoeuf, der Chaney aus anderen Gründen sucht. Selbiger hat sich mittlerweile der Bande von Lucky Ned Pepper angeschlossen, mit dem Cogburn noch eine Rechnung offen hat.
Coen Country. Arkansas stellt kaum prototypisches Western-Gelände dar, auch wenn hier damals die Frontier verlief. In westlicher Richtung – und dahin führt die Jagd auf Tom Chaney – schließt sich das ›Indian Territory‹ an, das für weiße Siedler verboten war und heute Oklahoma heißt. Das Gebiet bietet kaum Schauwerte, aber auch das ist der sogenannte Wilde Westen, dessen Idiosynkrasien die Coens dankbar in ihr Universum aufnehmen.
Coen Klüngel. Jeff Bridges (Rooster Cogburn), Josh Brolin (Tom Chaney), Carter Burwell (Musik), Roger Deakins (Kamera)
Coen Quote. »Bold talk for a one-eyed fat man!« (Ned Peppers Beitrag zur Rubrik »Berühmte Letzte Worte«)
Coen Gold. Die surreale Begegnung mit dem Zahnarzt im Bärenkostüm. Die Szene gibt es nicht in der Romanvorlage, sie wurde allerdings nicht um ihrer selbst willen im Film platziert: Mattie und Rooster erfahren durch den Bärenmann von der Hütte am Fluss, darüber hinaus repräsentiert er das Fremde und Unberechenbare dieses Terrains, das für Mattie ja Neuland ist. So sind Leichen offenbar ein Handelsgut wie jedes andere auch. Den Gehenkten, den er bei sich führt, hat sich der Mann für »two dental mirrors and a bottle of expectorant« von den Indianern erkaupelt. Nicht zuletzt verschafft die Szene ›comic relief‹, wenn Cogburn, eigentlich den versprengten Texas Ranger erwartend, den reitenden Bären anraunzt: »You are not LaBoeuf!«
Classic Coen? Eigentlich können Joel und Ethan Coen machen, was sie wollen: Ob sie nun einen eigenen Stoff verfilmen oder ein Stück Literatur adaptieren, man darf stets Großes erwarten. Wie schon bei »No Country for Old Men« stellen sie sich in den Dienst der Vorlage, erfühlen ihre Substanz, transportieren sie ohne Auteur-Allüren, mit Präzision und Hingabe und einem tiefen Verständnis dafür, wie ihre Charaktere funktionieren. »True Grit« ist zuallererst eine fantastische Literaturverfilmung, nebenbei ein großer Western und erst in dritter Instanz das, was man einen echten Coen nennt.
Der Film will dezidiert nicht als Remake von Henry Hathaways Version von 1969 gesehen werden (seinerseits ein Klassiker und ein ganz guter Film), sondern als Neuverfilmung des Romans von Charles Portis (die deutsche Ausgabe trug – zur Freude aller Alliterations-Fans – den Titel »Der Marshal und die mutige Mattie«). Aber es ergibt dennoch Sinn, die beiden Werke miteinander zu vergleichen. Schließlich liegen dazwischen vierzig Jahre Kinogeschichte: Wie packen Filmemacher von heute dieselbe Geschichte an, welche Entscheidungen treffen sie wohl in punkto Ästhetik, Narrativik, Besetzung und Mise-en-scène?
Was Letzteres betrifft, könnten die Filme unterschiedlicher nicht sein. Hathaway filmt in den Rockies von Colorado, ergötzt sich an pittoresken, aufgeräumten Breitwandlandschaften, schwenkt genießerisch über felsige Hänge, rauschende Täler, glitzernde Bäche. So hatte ein Western damals auszusehen.
Die Coens begeben sich an Orte, die den Schauplätzen des Buches schon eher entsprechen. Ihr Film treibt sich in den unwirtlicheren Gefilden des damaligen ›Indian Territory‹ herum, trottet durch kahle Winterwälder, über graubraune Prärie, klettert in klammes, schneeverwehtes Karstgelände. Ungemütlich. Der Himmel ist grau, und wenn er nicht grau ist, ist er schwarz, denn es ist Nacht.
Der Coen’sche »True Grit« ist dunkel und düster, seine Bilder wollen keine Postkarten sein, sondern Daguerreotypien, monochrom, historisch und wahrhaftig. Aber auch nicht zu wahrhaftig, wohlgemerkt, nicht dogma-echt, nicht zufällig oder improvisiert. Die Tristesse hat Methode; Kamerazauberer Deakins fabriziert ausgewogene Available-Light-Einstellungen, so authentisch wie atmosphärisch, staffelt Grau- und Braunpaletten in die Dunkelheit hinein, dass Rembrandt seine Freude gehabt hätte.
Diese Art wohlkalkulierter Wahrhaftigkeit erfüllt alle Ecken und Winkel des Films. Man betrachte sich nur einmal die Szenen, die an und in der Hütte spielen, in der Quincy und Moon sich verschanzt haben. Hathaway setzt sie detailreich in Szene, von praller Sonne ausgeleuchtet und Schritt für Schritt, fast theatralisch, mit Dialogen, die die Beteiligten rezitieren, als hätten sie sie gerade frisch auswendig gelernt. John Wayne verzichtet auf keine übertriebende Geste und gibt den Macho-Marshal, einen Fuß lässig auf der Sitzbank abgestellt:
Cogburn: When’s the last time you saw Ned Pepper?
Quincy: I don’t remember any Ned Pepper.
Cogburn: Short feisty fella, nervous and quick, got a messed-up lower lip.
Quincy: That don’t bring nobody to mind. A funny lip?
Cogburn: Wasn’t always like that, I shot him in it.
Quincy: In the lower lip? What was you aiming at?
Cogburn: His upper lip.
Die Coens spielen ein anderes Spiel. Zunächst einmal knipsen sie das Licht aus: Die Belagerungsszene und auch die darauffolgende, in der die Pepper-Gang auftaucht, spielen in der Nacht. Das bedeutet eine geschlagene Viertelstunde Dunkelheit im Film, Licht spendet nur der Mond und eine Petroleumlampe.
Die Eskalation in der Hütte kommt in beiden Filmen schockierend. Hathaway spendiert Moon (dem jungen Dennis Hopper) eine ordentliche Sterbeszene, während die Coens vorher schneiden. Die Ankunft von Peppers Bande zeigen sie vollständig aus der Perspektive von Cogburn und Mattie, die auf einem Felsen auf der Lauer liegen und hilflos mit ansehen müssen, wie der ahnungslose LaBoeuf die Szene betritt und verletzt wird. Im Vergleich zu der allwissenden Drehweise Hathaways, die den Schurken Stimmen und Gesichter gibt, bleiben wir in der Subjektiven, starren mit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit und versuchen auszumachen, was zum Teufel da unten abgeht.
Das ist freilich haarsträubend spannend. Bemerkenswert an dieser Spannung aber ist, dass sie derlei simplen Umständen entspringt: Dunkelheit und Distanz. Umstände, die wiederum mit der Handlung zusammenhängen, nicht mit einer filmischen Konvention oder einem originellen Regie-Einfall. Es ist das Primat der Geschichte, dem die Regie sich gleichsam unterordnet und das diesen Film letztlich so überzeugend macht.
Konsequenterweise fällt das ordnungsgemäße Begräbnis, das Hathaway Quincy und Moon zuteil werden lässt, in der Coen-Version Cogburns nüchterner Pragmatik sowie der winterlichen Witterung zum Opfer: »Ground’s too hard. Them men wanted a decent burial, they should have got themselves killed in summer.«
Ein schroffer Klotz, dieser Cogburn, ein bärbeißiger, trinkfester Teufelskerl, dessen gurgelndes Gepolter sich erst bei genauem Hinhören als Approximation von Sprache entpuppt. Aber was er da auch absondert! Die Wortwahl und Mundart sämtlicher Grit-Figuren erscheinen heutigen Ohren gänzlich ungewohnt und antiquiert, ja im rauen Land der Choctaw Nation regelrecht deplaziert (»Gentlemen, you can not fall out in this fashion!«). Aber für die Frontier People war damals die Bibel die Fibel, und so können Joel und Ethan ihr Steckenpferd – authentische Dialekte – ordentlich auf Trab bringen. Angefangen mit dem fast schon traditionellen Eingangsmonolog bevölkern schwere Südstaatenakzente die Tonspur, archaische Phrasen ohne die Verkürzungen und Verschleifungen des modernen amerikanischen Duktus.
Der Richter und der Stallbesitzer hören sich jedoch anders an; als die einzigen Yankees im Film sprechen sie mit der Zunge der Nordstaaten. Die beiden zählen zu den sogenannten Carpetbaggers, die nach dem Bürgerkrieg (der zur Zeit der Handlung dreizehn Jahre zurückliegt, die Gräben sitzen noch tief) in den Süden gekommen sind, um sich auf Kosten der Unterlegenen zu bereichern. Details wie diese erscheinen nicht prominent im Film, aber ihnen wird Rechnung getragen, der Film lebt sein Sujet.
Dazu zählen auch die Texas Rangers, jene legendäre, ursprünglich für Aktionen gegen Indianer ins Leben gerufene lokale Polizeitruppe (die es übrigens heute noch gibt). Matt Damon als ein ebensolcher gliedert sich als Neuzugang mühelos ins Coenversum ein, und genauso mühelos überflügelt er die Leistung von Countrysänger Glen Campbell in der 1969er Version, der damals total hip war und den Erfolg des Films pushen sollte. Auch Elvis Presley war gefragt worden, aber sein Management wollte Top Billing.
Das ging natürlich nicht. Denn dort stand der Duke, dort stand John Wayne. Der Film wurde als Star-Vehikel auf den mittlerweile über 60-jährigen Haudegen zugeschnitten, und prompt bekam er auch einen Sympathie-Oscar zugesteckt (für »The Shootist«, seinen letzten Film sieben Jahre später, hätte er ihn verdient gehabt). Natürlich wurde Jeff Bridges’ Rooster Cogburn mit dem seinen verglichen, aber der Vergleich scheint müßig: Auf der einen Seite haben wir eine altgediente Leinwandlegende, einen charismatischen Helden, einen wahren Publikumsliebling, auf der anderen Seite haben wir – John Wayne.
Bridges wurde charakterisiert als »the most natural and least self-conscious screen actor that’s ever lived«, und ja: er scheint immer irgendwie er selbst zu sein, man hat kaum den Eindruck, sein Spiel wäre eine ›Performance‹. Das führt hier freilich dazu, dass man in dem verlottert-gelassenen Gehabe des Rooster Cogburn teilweise den Dude aufblitzen sieht. Aber wenn Cogburn dann im Wechselspiel mit Mattie Ross sein verschrumpeltes Herz offenbart, wächst die Figur doch zu einem echten, vielleicht sogar liebenswerten Menschen.
Apropos Mattie – ihr kommt wie im Roman die eigentliche Hauptrolle zu, und die 14-jährige Hailee Steinfeld ist als blitzgescheites, zähes Mädel punktgenau gecastet – spätestens mit ihrer forschen Verhandlung im Büro des verschlagenen Pferde-Yankees steckt sie den Film in die Tasche. Mattie ist es auch, die die Rahmenhandlung erzählt, und ihre letzten Szenen, Jahrzehnte nach der Geschichte mit dem Marshal, gestalten sich wie ein wehmütiger Abgesang auf den Western schlechthin. Mattie hat Cogburn niemals wiedergesehen (ebenso wenig wie wir) – sang- und klanglos starb er als Mitglied eines abgehalfterten Wild-West-Wanderzirkus.
Dieser Schluss-Sentiment mag ernüchternd sein, doch befördert er die Geschichte, die 1969 noch als buntes Abenteuer präsentiert wurde, in einen kulturgeschichtlichen Zusammenhang – ähnlich wie Sheriff Bells Grüblerei der Story von »No Country for Old Men« geradezu philosophische Dimensionen verliehen hatte. So kommt »True Grit« (2010) auf eigenen Beinen zu stehen: Ein Western, ja, aber kein astreines Genrestück. Eine Literaturverfilmung, ja, aber eine, die ihre fiktionale Natur zu bestreiten scheint. Ein Coen-Film? Ja, aber einer mit Understatement, mit selbstloser Klasse. Einer mit echtem Schneid.
Coen Culture. Im Abspann fällt neben den üblichen Verdächtigen ein Name auf, der bis dato im Coen-Camp noch nicht aufgetaucht war: Steven Spielberg; er zeichnet als Executive Producer verantwortlich. Auch Scott Rudin, ein brillanter Mann, der uns »There Will Be Blood«, »Fantastic Mr. Fox« und »The Hours« brachte (und für »No Country …« einen Oscar eingeheimst hat), wieder mit von der Partie. Solch illustre Produzenten zeigen, dass die Coens vollends in Hollywood angekommen sind. Beeinflusst das ihre Integrität? Roger Deakins wurde dazu befragt, und er meinte nur: »Steven Spielberg is a producer, I am told, but the film we are shooting is very much the Coen’s film – and nothing else.«