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Watchmen, Låt den rätte komma in, Revanche

Hamburg, 16. März 2009, 15:19 | von San Andreas

Vor Monaten schon hatte der Umblätterer geargwöhnt, ob die »Watchmen«-Verfilmung ihrer Vorlage das Wasser würde reichen können. Ob Zack Snyder, Schöpfer der Schlachteplatte »300«, der Komplexität der Graphic Novel habhaft werden könne, an der die Herren Gilliam und Greengrass schon gescheitert waren. Ob der Film es fertig bringen würde, sowohl den haushohen Ansprüchen kritischer Fans zu genügen als auch unbedarften Kinogängern zu gefallen. Ob er vielleicht sogar Cineasten zu entzücken vermögen würde.

Die Antwort auf diese Fragen ist schlicht, und sie lautet: Ja. »Watchmen« ist ein ausladendes (163 Min.), kompromissloses (FSK 16) Comic-Epos geworden, das seinen Anspruch zu guten Teilen einlöst und sich dem Zeitgeist nicht über Gebühr anbiedert. Das Material bekommt kein Update verpasst wie etwa den dadurch zugrunde gerichteten »The Day the Earth Stood Still«, sondern verströmt konsequent den Vibe der Achtzigerjahre – komplett mit Kaltem Krieg, furchtbaren Frisuren und »Neunundneunzig Luftballons«.

Die Geschichte verbiegt diese Nostalgie freilich in Richtung einer alternate history, in der abgesägte Superhelden eine Verschwörung weltbewegenden Ausmaßes aufdecken, deren Urheber je nach Standpunkt als pragmatischer Retter oder als zynischer Macht­spieler gesehen werden kann.

Ambivalenzen dieser Art verzwickmühlen das Geschehen, und auch sonst bürstet der Film angenehm gegen den Strich. Er drängt einem ausgemachte Kotzbrocken als Identifikationsfiguren auf, schwelgt in ausgedehnten Flashbacks und traumartigen Dialogen. Gut, da kopiert der Film einfach mal die Vorlage, aber das ist sein Glück. Alan Moores Ergüsse sind zwar sperrig, gar unbequem – aber eben gut.

Auch visuell verlässt sich der Film auf die Vorarbeit des Originals. Die Panels von Dave Gibbons strotzten vor Details, ihre Abfolge vermittelte den Eindruck von Kamerabewegungen, bündelte Handlungsstränge in raffinierten Parallelmontagen. All das packt der Film mit hohem Aufwand in bewegte Bilder – wahnsinnig originell ist das kaum, hat aber trotzdem seinen Reiz.

Snyders Akribie verrät seine Leidenschaft, und auch wenn er vereinzelt dramatische Momente durch allzu harte Effekte versemmelt – seine Figuren entwickeln Charakter, ebenso wie der Film in seiner Gänze. Er wird nicht den ideologischen Einfluss haben wie seinerzeit die papierne Ausgabe (deren Gewicht sich längst in der Kinowelt niedergeschlagen hat), aber was filmische Umsetzungen von Comic-Großtaten angeht, muss man wohl sagen: This is as good as it gets.

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Ähnliches kann man sagen über »Låt den rätte komma in« (nach Morrisseys »Let the Right One Slip In«, dt. Titel »So finster die Nacht«), den Vampirfilm, der still und heimlich aus der Kälte Schwedens gekommen war und ohne Vorwarnung das Genre umgekrempelt hat. Vierzig Preise hat er eingeheimst, vereinzelt läuft er noch in den Kinos.

Dem Vernehmen nach ist es Zufall, dass der Film gerade in Zeiten einer regelrechten Vampir-Hochkonjunktur erscheint. Aber während die »Underworld«-Saga mit einem unrühmlichen Prequel aufwartet, »30 Days of Night« im dunklen Alaska ein unausgegorenes Gemetzel ausrichtet und »Twilight« Vampir-Klischees in einer Girlie-Soap verwurstet, kommt »Låt den rätte komma in« gänzlich originell daher.

Allerdings trägt der Film diesen Anspruch nicht vor sich her; er beeindruckt weder über clevere Stilisierung oder radikale Neuerungen – vielmehr über Auslassung. Keine Karpatenschlösser, keine uralten Clans und Fehden, kein Knoblauch und keine Holzpflöcke.

Auch die sonst gern genommenen sexuellen Konnotationen des Leben raubenden Kusses fallen weg, denn es sind rein freund­schaftliche Bande, die Eli, unsere 12-jährige, bewusst androgyn gehaltene Vampirfigur, mit dem Nachbarsjungen flicht. Diese kindlich-unschuldige Perspektive verleiht dem Film eine Poesie, die inmitten des profansten aller Settings – einer dunkel-kalten Neubausiedlung – eine eigentümliche Wirkung entfaltet.

Ab und an müssen allerdings lebende Menschen angezapft werden, das bringt das Vampirdasein nun mal mit sich. Aber auch hier hält die Regie das Splatter-Potenzial im Zaum, dosiert sparsam und unaufgeregt. Und wenn sich dann doch in einer schockierenden Eruption von Gewalt offenbart, wie weit Eli für den neuen Freund zu gehen bereit ist, dann passiert das an einem Ort, wo schon immer der beste Horror stattfand: im Kopf des Zuschauers.

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»Revanche« hieß der österreichische Oscar-Kandidat dieses Jahr, und obwohl sein Aufhänger eine oft gesehene Thriller-Prämisse ist, entpuppt sich der Film als angenehmes Korrektiv zu sattsam bekannten Formelkino. Unaufdringlich rollt die Geschichte an, treibt sich in schmuddeligen Wiener Seitenstraßen herum und pirscht sich heran an Alex, still verzweifelnder Handlanger im Rotlichtmilieu.

Der als Befreiungsschlag gedachte Banküberfall geht nicht gut aus, alle Pläne sind auf einmal nutzlos, und die drängende Frage lautet: Wer ist schuld? Opfer- und Täterrollen sind nicht ganz klar, Affekt und Bedacht ringen um die Vorderhand. Der Film macht Ahnungs­lose zu Mitwissern, lässt sie zwischenmenschlich anbandeln und schaut, was passiert.

Da hat sich die Handlung bereits aus der Stadt in die abgewetzte Idylle eines Bauernhofes zurückgezogen, dort kann der kauzige Großvater auch Hilfe gebrauchen. Und wenn Alex die zehnte Charge Holz mühsam beherrscht verhackstückt, erinnert man sich an den Titel des Films und fragt sich: Will there be blood?


Endlich fertig: Das Kinojahr 2008

Hamburg, 4. Februar 2009, 01:53 | von San Andreas

Kinojahr 2008 Einklinker Bevor sie verjährt: Hier ist unsere Übersicht über die bemerkenswertesten Beiträge des vergangenen Film­jahres. Eine Phänomenologie vom Klassiker bis zum Reinfall. Wie im letzten Jahr keine Bestenliste per se, denn Qualität bleibt weiterhin unmessbar. Filme statt­dessen, die erstens gut und zweitens wichtig waren, die gesehen und geliebt, diskutiert und interpretiert wurden.

Eine Anzahl von Filmen allerdings bewegte sich unter dem Radar: Sie waren vielleicht gut, haben es aus verschiedenen Gründen aber nicht geschafft, wichtig zu werden. Ihnen schenkt unsere Übersicht ebenso Aufmerksamkeit wie jenen Filmen, die wichtig sein sollten und wollten, sich aber als leider nicht gut herausstellten.

Die Liste speist sich ausschließlich aus Filmen, die im Jahr 2008 ins deutsche Kino kamen. Zur ausführlichen Fassung geht es hier bzw. direkt über die einzelnen Titel:

5 Sterne
»There Will Be Blood« (Paul Thomas Anderson)
»No Country for Old Men« (Ethan & Joel Coen)
»The Dark Knight« (Christopher Nolan)

4einhalb Sterne
»Waltz with Bashir« (Ari Folman)
»WALL·E« (Andrew Stanton)
»Into The Wild« (Sean Penn)
»In Bruges« (Martin McDonagh)
»The Kite Runner« (Marc Forster)
»Earth« (Alastair Fothergill, Mark Linfield)
»Cloverfield« (Matt Reeves)
»Paranoid Park« (Gus Van Sant)
»El Orfanato« (Juan Antonio Bayona)
»Control« (Anton Corbijn)

4 Sterne
»Der Baader Meinhof Komplex« (Uli Edel)
»Hellboy II: The Golden Army« (Guillermo del Toro)
»Gomorra« (Matteo Garrone)
»Juno« (Jason Reitman)
»Before the Devil Knows You’re Dead« (Sidney Lumet)
»Blindness« (Fernando Meirelles)
»Indiana Jones and the Kingdom of …« (Steven Spielberg)
»In the Valley of Elah« (Paul Haggis)
»Iron Man« (Jon Favreau)
»Funny Games U.S.« (Michael Haneke)
»Things We Lost in the Fire« (Susanne Bier)
»The Savages« (Tamara Jenkins)
»Half Nelson« (Ryan Fleck)

3einhalb Sterne
»Le Scaphandre et le Papillon« (Julian Schnabel)
»Happy-Go-Lucky« (Mike Leigh)
»Die Welle« (Dennis Gansel)
»Burn After Reading« (Ethan & Joel Coen)
»The Mist« (Frank Darabont)
»Body of Lies« (Ridley Scott)
»The Darjeeling Limited« (Wes Anderson)
»Obsluhoval jsem anglického krále« (Jirí Menzel)
»Once« (John Carney)

Enttäuschung
»The Happening« (Night M. Shyamalan)
»The Day The Earth Stood Still« (Scott Derrickson)
»Youth Without Youth« (Francis Ford Coppola)
»Love in the Time of Cholera« (Mike Newell)
»10,000 BC« (Roland Emmerich)


Milk/Frost/Nixon/W.

Hamburg, 6. Januar 2009, 12:03 | von San Andreas

Wann kommt sie endlich, die vom Umblätterer groß angekündigte Werkmonografie der Coen-Brüder? Sie wird kommen, und zwar bald. Ansonsten:

Die Award Season rückt näher, es häufen sich politisch ambitionierte Filme, die dem »Besonders Wertvoll«-Stempel, selbst wenn sie wollten, nicht ausweichen werden können. Einige davon zieren erfrischend knappe Titel, wie etwa »Milk«, die Geschichte des ersten offen homosexuellen Politikers der Vereinigten Staaten, der – und das ist mal kein Spoiler – kurz nach Amtsantritt von einem Rivalen erschossen wurde.

Gus Van Sant, der bislang zweigleisig fuhr – spröde Arthouse-Perlen auf der einen, gefälliges Star-Kino auf der anderen Seite – hat es bei »Milk« mit einem Mittelweg versucht. Der Vibe des schwulenbewegten San Francisco brandet nur so in den Saal, intime und kolossale Momente geben sich die Klinke in die Hand, zudem entpuppt sich Sean Penn in der Titelrolle als einer dieser seltenen Glücksfälle. An »Milk« wird man nicht vorbeikommen.

Ebenso wenig an »Frost/Nixon«, der Umsetzung des Stücks von Peter Morgan, das 2006/07 in London und New York lief. Es behandelt die Umstände der Nixon-Interviews von 1977 und zeigt ungefähr, dass David Frosts journalistische Arbeit ebenso essenziell für das Verständnis der Verfehlungen Nixons war wie die von Woodward/Bernstein für deren Enthüllung.

Ron Howard stach im Regie-Rennen Kollegen wie Scorsese, Clooney und Mendes aus und macht nach dem Da-Vinci-Durchhänger diesmal einfach keinen einzigen Fehler.

»Frost/Nixon« zeigt, wie seinerzeit »All the President’s Men«, wie die Medien funktionieren, während diese ja zeigen sollen, wie Politik funktioniert. Beide Seiten haben Macht, beide Verantwortung, sie können beide redlich vorgehen oder eben nicht.

In diesem Zusammenhang erinnern wir uns auch an »Nixon«, Oliver Stones genauso strikt betiteltes Politiker-Porträt. Aber es geht noch kürzer, sein jüngster Beitrag heißt schlicht »W.« (lies: Dubya), handelt vom sagenhaften Aufstieg des aktuellen, gerade noch so amtierenden US-Präsidenten.

Die halbe Welt sieht das Ergebnis seit Monaten im Kino, allein in Deutschland fand sich kein Verleih. Wir dürfen das Werk stattdessen im Januar im Pantoffelkino bewundern, ProSieben wird damit eine Reihe von Werbeblöcken unterbrechen.


Neulich, am Broadway

New York, 3. November 2008, 00:02 | von San Andreas

Wenn man sich der TKTS-Bude auf dem Times Square von Uptown her nähert, kann man schon das Board sehen, auf dem die verfügbaren Tickets aufleuchten. Halfprice, da muss man nehmen, was man kriegt. Heute am Samstag wird’s extra schwierig werden, es ist date night, viel Volk unterwegs. Vom Flug bin ich etwas erschlagen, vielleicht haben sie ja etwas Leichteres im Angebot …

To be or not to be. Die Broadway-Verwurstung des Klassikers tritt ein schweres Erbe an, denn wer balanciert schon Drama, Farce, Politik und Screwball so meisterlich wie Lubitsch. Niemand tut das, obwohl Mel Brooks vor 25 Jahren eine durchaus achtbare Hommage zustande brachte.

Schaut man das Original heute an, überrascht es durch seine zeitlose Frische; die Broadway-Produktion hingegen wirkt schon beim ersten Ansehen angestaubt und altbacken. Die Pointen sind rar gesät und sitzen nicht, die Dramaturgie lässt kein Fettnäppchen aus, stolpert hölzern von Klischee zu Klischee, das Ensemble entwickelt kaum den Hauch einer Chemie.

David »Sledge Hammer« Rasche gibt Josef Tura, einen kapriziösen, letztendlich schlechten Schauspieler, aber er spielt ihn schlicht schlecht, als grotesk chargierenden Theatertölpel. Wie fein nuanciert war Jack Benny in der Rolle gewesen; ihm nahm man auch Turas couragierte Charaden im folgenden Nazigetümmel ab.

Ein netter Gag gelingt immerhin, als während Turas fürchterlicher Rezitation des Hamlet-Monologs sich ein Herr mit Uniform und Blumenstrauß im Publikum erhebt und Entschuldigungen flüsternd den Saal verlässt – die Zeile »To be or not to be« war das Signal für ihn gewesen, Turas Frau zum heimlichen Techtelmechtel hinter der Bühne aufzusuchen. Eine schöne Umsetzung des Theater-im-Theater-Themas, aber man hätte die Chance nutzen sollen, ebenfalls seinen Sitzplatz zu räumen, Halfprice hin oder her.

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Dienstagabend, 40 Minuten vor Vorhang. Heute hab ich es auf »All My Sons« abgesehen; eine Bekannte versicherte mir, das Miller-Stück wäre »riveting«, doch ausgezeichnete Kritiken und Starpower (John Lithgow, Katie Holmes, Dianne Wiest, Patrick Wilson) würden es wahrscheinlich hard-to-get machen. »A Man for All Seasons« wäre auch interessant, die Geschichte um Thomas Morus, passend zu Holbeins prächtigem Gemälde in der Frick Collection. Leider auch sehr gute Kritiken … Aber da entdecke ich, noch an der Ampel stehend, einen ziemlich kurzen Titel am Board, mit dem ich gar nicht gerechnet hatte …

Equus. Auch dieses Stück von Tony Shaffer ist ein Revival, die Ur-Premiere war am Old Vic in London, 1973. Dann kam es an den Broadway, und seine Qualität zog viele hochkarätige Kräfte an; in über 1000 Performances spielten u. a. Anthony Hopkins, Richard Burton und Anthony Perkins die Rolle von Martin Dysart, dem Psychologen, der die Beweggründe des Stallburschen Alan Strang zu entschlüsseln sucht, sechs Pferde mit einem Hufpick zu blenden.

Sidney Lumet verfilmte das Material mit Burton, doch das in diesem Fall unangenehm explizite Medium schmälerte irgendwie den Geist des Stücks. Vielleicht hat Daniel Radcliffe den Film deswegen nicht angesehen; er liefert seine eigene Interpretation des Adoleszenten, der die Repressionen seiner Erziehung mit einer Art selbstgebauter Pferde-Religion kompensiert.

Das klingt krude, aber das Stück entwickelt eine bestechende innere Logik. Dysart fischt in den juvenilen Abgründen, fördert religiöse Indoktrination, fehlgeleitete Sexualität und befremdliche Rituale zutage, kommt aber letztlich nicht umhin, Strang um seine genuine Leidenschaft zu beneiden. Selbst in permanentem Selbstbetrug gefangen, realisiert er die Unfreiheit des Individuums, im Zaum gehalten von den Zügeln der Gesellschaft.

Schwerwiegende Einsichten, erstaunlich leichtfüßig vermittelt von Richard Griffiths, dessen fantastische Bühnenpräsenz nicht nur von dem mächtigen Übergewicht herrührt, das der Mann um sich herum versammelt hat. Griffiths strahlt eine Wahrhaftigkeit aus, die man im Theater häufig genug vermisst, lässt geschriebenen Text so wirken, als wäre er ihm gerade eingefallen.

Selbst Shaffers ausufernde, symbolbeladene Monologe gehen über Griffiths direkt ins Blut. Seine Szenen mit Radcliffe knistern, sie überwinden die Psychiatrie-Klischees der Geschichte mühelos und entwickeln in szenischen Überblendungen eine wunderbare Plastizität. Die berührendsten Szenen aber trägt Radcliffe allein; wohldosierte Bühneneffekte verdichten seine Soli zu schaurigen, orgiastischen Schlüsselmomenten. Besonders das Ende des ersten Aktes lässt einem den Atem stocken.

Dass der Neunzehnjährige die letzte Viertelstunde des Stücks ohne einen Fetzen Stoff am Leib auf der Bühne verbringt, ist dann auch eher seiner Kompromisslosigkeit und Integrität zuzuschreiben als dem PR-Kalkül seines Agenten. Freilich drängen sich nach der Vorstellung autogrammheischende VerehrerInnen am Bühnen­ausgang; sie werden den jungen Wizard jedoch künftig mit etwas anderen Augen betrachten.

*

Mit Dique, der endlich in der Stadt ist, will ich eine sonntägliche Matinee-Vorstellung besuchen; wir sind kein Risiko eingegangen und haben die Tickets online geordert – das kleine, aber feine Cort Theatre in der 48th Street ist womöglich schnell ausgebucht. Auf dem Programm steht ein Stück, das Dique in London längst hätte sehen können, denn dort läuft es seit zwei Jahren …

The 39 Steps. Am Broadway wird die Adaption mit dem Präfix »Alfred Hitchcock’s« angepriesen, während im West End mit »John Buchan’s« der Autor der Romanvorlage von 1915 angeboten wird, dessen Name dort wohl noch geläufig ist. Das Stück steht aber weder dem Roman noch Hitchcocks hervorragendem Film besonders nahe, denn hier haben wir eine Karikatur des Stoffes, eine unbändige, bunte Comedy, die so over-the-top ist, dass es schon wieder Spaß macht.

Nur vier Akteure teilen sich Dutzende von Rollen, wechseln Identitäten, Kostüme, Dialekte mitten im Gespräch, hasten in fliegenden Szenenwechseln von Schauplatz zu Schauplatz. Da gerät das Stück zur Liebeserklärung an das Theater schlechthin: mit einfachsten Mitteln werden ruckzuck frappierende Illusionen geschaffen. Da werden ein paar Kisten und einige vorbeifahrende Schilder zur schnaufenden Eisenbahn, verschiebbare Türen und hochgehaltene Fensterrahmen schaffen imaginäre Räume, während ausgefuchstes Sound- und Lichtdesign die Täuschung perfekt macht.

Einmal verwandelt sich die komplette Bühne in ein zweidimen­sionales Schablonentheater; die halsbrecherische Flucht des Protagonisten vor feindlichen Doppeldeckern zündet unmittelbar Assoziationen mit »North by Northwest«, und als links auf der Anhöhe ein kleiner Schattenriss-Hitchcock hochklappt, kann sich kaum ein Zuschauer ein lautstarkes Schmunzeln verkneifen.

Dann und wann brechen Momente der Ironie das überzeichnete Schauspiel: Als sich einmal alle vier Darsteller auf der Bühne befinden, erscheint plötzlich eine Hand hinter dem Vorhang und feuert einen Schuss ab. Alle halten verdutzt inne, schauen sich ratlos an, und der tödlich Getroffene beschwert sich, bevor er theatralisch darniedersinkt: »It was supposed to be a cast of four!«

Das ist Wegwerf-Theater im besten Sinne, hier zeugt jede Improvisation von höchster Kunstfertigkeit, jedes liebevolle Detail von kindlicher Begeisterung für das Medium. »The 39 Steps« mag leichte Kost sein, doch kommt das Stück weitaus ehrlicher daher also so manch aufgeblasenes, überproduziertes Broadway-Spektakel. Warum einen echten Wasserfall auf die Bühne wuchten, wenn es auch ein wackelnder Duschvorhang tut. Und wenn dann Bernard Herrmanns Psycho-Geigen kreischen, ist ein weiterer Lacher gebongt.


Und noch ’ne Liste:
The 500 Greatest Movies Of All Time

Hamburg, 24. Oktober 2008, 12:50 | von San Andreas

Die neue »Empire« kommt mit 100 verschiedenen Covern in die Läden. Jeder möchte sein Lieblingsmotiv haben. Tumultartige Zustände. Ein Student mit Schlafsack hat sich »Citizen Kane« gesichert, während sich hinten zwei Mädchen um »Donnie Darko« prügeln. Ein Mittvierziger hält Jimmy Stewart und Cary Grant in den Händen und kann sich ums Verrecken nicht entscheiden.

Ein Teenager stopft das letzte »Dark Knight«-Exemplar in seine Schultasche, als einer mit Sonnenbrille »Dirty Dancing« aus dem Regal reißt – »Für meine Freundin«, wie er dem Mann mit der Aktentasche zuruft, der auch danach gegriffen hatte, sich nun aber mit »Amélie« zufrieden geben muss.

Eine ältere Dame schnappt sich »Fight Club« und zieht damit fragende Blicke auf sich, doch regelrechtes Entsetzen verursacht der Langhaarige mit dem Ikea-Beutel, der sich anschickt, sämtliche noch verbliebenen Exemplare zu packen und zur Kasse zu schleppen. Weit kommt er nicht, ein schmieriger Italiener fängt ihn ab und macht ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann. Der Mittvierziger eilt mit dem zur Waffe gerollten »Vertigo« zur Hilfe, doch der Langhaarige händigt dem Italiener bereits zähneknirschend den »Godfather« aus.

Das wichtigste Cover der ganzen Aktion, denn laut der »most ambitious movie poll ever attempted« stellt dieses Werk die schiere Krönung der Filmgeschichte dar. Nanu? Hatte den Platz nicht »Citizen Kane« abonniert? Wohl nicht nach Meinung der teilnehmenden 10.000 »Empire«-Leser sowie der 150 Hollywood-Schaffenden und 50 führenden Kritikern, die eingeladen worden waren, ihre persönlichen Top-10s in einen Topf zu schmeißen.

Zur Gewichtung der Stimmen findet sich keine Info, aber das Ergebnis zeigt, dass hier das filmbegeisterte Volk das Sagen hatte, weniger die Spezialisten und Kapazitäten. Die nämlich tendieren dazu, ehrfurchtgebietende, mit akademischer Reputation beladene Meilensteine an die Spitze zu wählen (siehe die aktuelle Liste des American Film Institute).

Wie das kommt, ist klar. Es geht um Image und Selbstdarstellung: Ein ehrwürdiges Gremium wie das AFI möchte öffentlich genau mit diesen Werken identifiziert werden. Individuelle Vorlieben treten hinter dieser Selbstverständigung zurück, das kollektive Bewusstsein diktiert eine gewisse Objektivierung: Famose Genrewerke mit womöglich gefährlich hohem Unterhaltungswert haben gegenüber zeitlosen, filmgeschichtlich verdienstvollen Filmereignissen das Nachsehen.

David Finchers Wahlzettel »Butch Cassidy« »8 1/2« »Chinatown« »All the President’s Men« »Dr. Strangelove« »Citizen Kane« »Days of Heaven« »Alien« »Paper Moon« »Rear Window« »Monty Python & The Holy Grail« »Being There« »Jaws« »Zelig« »American Graffiti«

Dagegen fördern anonyme, offene Abstimmungen in der breiten Masse ganz ohne Hintergedanken einfach mal die Lieblingsfilme der Leute zutage. Und »Citizen Kane«, diese »Kathedrale von Film« (»Empire«), kann man vergöttern wegen seiner handwerklichen Kühnheit, seiner thematischen Wucht, seiner dramaturgischen Perfektion – richtig lieben aber kann man ihn nicht.

So ist es auch nicht wirklich die Qualität, die von solche Umfragen gemessen wird – diese Kategorie ist auf ewig unscharf und subjektiv. Wer mag schon beurteilen, ob »Godfather« oder »Kane« der bessere Film sei; die »Empire«-Liste zeigt lediglich, dass Don Vito Corleone unter (vornehmlich britischen) Filmenthusiasten dieser Tage beliebter ist als Charles Foster Kane (Platz 28). Aus welchen Gründen auch immer.

Comedy »The Apartment« (12) »Dr. Strangelove« (26) »Some like it hot« (27) »Kind Hearts and Coronets« (42) »The Big Lebowski« (43) »This is Spinal Tap« (48) His Girl Friday (58) The King of Comedy (87)

Allein die Resonanz des Publikums kann helfen, die Qualität eines Films irgendwie greifbar zu machen. Man kann sich einen Teil dieses Publikums herausnehmen – die Kritiker – und auf deren objektiveres Urteilsvermögen hoffen. Finden viele Rezensenten einen Film ganz prima, dann schält sich aus dem Rauschen des Diskurses die gleichsam offizielle Auffassung heraus: »Dies ist ein guter Film.«

Wir alle wissen, das klappt nicht immer. Aber es ist ein Trugschluss zu glauben, die Einbeziehung von Hinz und Kunz in die Erhebung würde ihre Aussagekraft weiter schmälern. Das Gegenteil ist der Fall: Nur so werden unliebsame Störfaktoren der Kritiker-Subkultur nivelliert. Noch besser ist es, wenn die Umfrage zeitlich nicht befristet ist, wie die IMDb-Top-250, dann verabschieden sich nämlich auf lange Sicht Modeerscheinungen und Zeitgeistfavouriten auf die hinteren Ränge.

Top 20 »The Godfather« (1) »Raiders of the Lost Ark« (2) »The Empire Strikes back« (3) »The Shawshank Redemption« (4) »Jaws« (5) »GoodFellas« (6) »Apocalypse Now« (7) »Singin’ in the Rain« (8) »Pulp Fiction« (9) »Fight Club« (10) »Raging Bull« (11) »The Apartment« (12) »Chinatown« (13) »Once Upon a Time in the West« (14) »The Dark Knight« (15) »2001: A Space Odyssey« (16) »Taxi Driver« (17) »Casablanca« (18) »The Godfather Part II« (19) »Blade Runner« (20)

Die Spitzenplätze belegen nun auf jeden Fall Werke, die prototypisch für das stehen, was in den Augen der Filmgemeinde ganz großes Kino ist. Diese Filme stellen die Essenz dessen dar, was die Filmkunst über die Jahre hervorgebracht hat, und dabei ist es nebensächlich, ob der Beurteilende darüber im Bilde ist, warum genau diese Filme so gut funktionieren.

Truffaut war oft daran gescheitert, Hitchcocks »The Lady Vanishes« filmanalytisch zu sezieren, weil er ein ums andere Mal in den Bann der Geschichte gezogen wurde. Hitchcock hatte eben den Dreh raus, Emotionen und Inhalte per Filmsprache zu vermitteln. Dass dieser Prozess so reibungslos funktioniert, macht den Film zu einem guten Film; wie er funktioniert, muss allenfalls Filmstudenten interessieren.

Statistik Knapp die Hälfte der Filme sind 25 Jahre oder älter. Der älteste Film stammt von 1924 (»Greed«, Platz 399), der neueste von 2008 (»Wall-E«, Platz 373). Die Liste enthält 24 Sequels. 14 Filme stammen von deutschen Regisseuren (Herzog, Lang, Lubitsch, von Donnersmarck, Reitz, Hirschbiegel, Murnau, Petersen, Wenders, Stroheim).

Nun gibt es viel mehr gute Filme als diese Liste fassen kann; manch einer mag etwa David Lynchs »Inland Empire« (keine Platzierung) für genauso gut oder besser halten wie »Raiders of the Lost Ark« (Platz 2). Doch für einen Listenplatz muss ein Film nicht nur gut sein, er muss auch wichtig sein. Er muss ein Eigenleben entwickeln, kulturell verhandelt werden, zitiert werden, über sich selbst hinauswachsen, er muss beeinflussen und inspirieren. Vor allem, er muss gesehen werden, erinnert werden, geliebt werden.

»Inland Empire« möchte gar nicht geliebt werden. Ein sehr spezieller Film ist das, und er ist sich seiner Unzugänglichkeit bewusst (wäre er das nicht, wäre er schlecht). Gerade deswegen greifen sich Individualisten den Film als Talisman, genießen das wohlige Gefühl, außerhalb der grauen Masse zu stehen, einen eigenen Geschmack zu besitzen. Bitteschön.

Doch das Gerede von Massentauglichkeit, Kommerz und Mainstream verfehlt oft genug den Kern. Dabei ist es so einfach: Gute Filme können erfolgreich sein, aber nicht alle erfolgreichen Filme sind gut. Tatsächlich ist Kino seinem Wesen nach nicht für Eliten gemacht. Film ist am besten, wenn er allen gefällt, so unglaublich das klingt. Denn wie kaum eine andere Kunst lebt er vom Zuspruch des Publikums, ja er ist darauf angewiesen, dass diese Interaktion funktioniert. Film muss gefallen, um zu überleben.

Regie Spielberg (11) Scorsese (8) Hitchcock (7) Kubrick (7) Burton (6) Kurosawa (6) Allen (6) Wilder (5) De Palma (5) Coen (5) Jackson (5) Coppola (5) Tarantino (5) Lynch (4) Lucas (4) Huston (4) Reiner (4) Zemeckis (4) Cameron (4) Raimi (4) Lumet (4) Nolan (4) Wyler (4) Linklater (4)

Schlimm ist das nicht. Dass es ein Film darauf anlegt, verstanden zu werden, heißt ja nicht, dass er sämtlichen zerebralen Ballast abwürfe und seinen Anspruch auf Kindergartenniveau drosselte. Er wird nur versuchen, formal an das Alltagserleben des Publikums anzuknüpfen, dessen Erfahrungen und Erwartungen einzubeziehen und, ausgehend von vertrauten Konzepten, eine interessante Geschichte zu erzählen, die mit Wirkungsmomenten nicht geizt.

Großes Kino ist keine introvertierte Nischenkunst. Und so ist die neue Liste kein zu belächelndes Konstrukt bemühter Ranking-Spielchen, sie ist ein Schnappschuss lebendiger Filmkultur. Leute lieben nun mal Listen, sie schaffen Überblick über ein weites Feld. Und regen an: Die »Empire«-Top-500 versammelt dann doch etliche ungesehene Juwelen, nicht bloß die üblichen Verdächtigen. Ach so, Moment: »The Usual Suspects«, Platz 61, also doch.


Who Watches the Watchmen?

Hamburg, 15. Oktober 2008, 12:22 | von San Andreas

Die Verfilmung des epochalen Comic-Romans von Alan Moore

Epochal? Sagt wer? Nun ja, alle. Es stimmt zwar, hierzulande fiel »Watchmen«, diese meisterliche Fortentwicklung des Superhelden-Genres, nicht eben auf fruchtbaren Boden, als der Carlsen-Verlag sie 1989 veröffentlichte. Da erschloss gerade mal Tim Burtons erster »Batman«-Film breitere Fankreise; von einer tief wurzelnden Comic- und Superheldenkultur, wie sie in den Staaten seit Jahrzehnten schon existierte, konnte keine Rede sein.

Aber was revisionistische Neo-Western für das ebenfalls uramerikanische Western-Genre waren, verkörperte »Watchmen« für die ausreichend strapazierten Helden der Comic-Welt: eine ernüchternd realistische, vielschichtige Relativierung, die in ihrer retrospektiven Sicht viel über die Essenz des Genres verriet und nebenbei eine beeindruckende Relevanz als gesellschaftskritische Studie der Zeit des Kalten Krieges entwickelte.

Der Zwölfteiler war praktisch die erste der nun so populären ›graphic novels‹, wurde mit dem renommierten Hugo Award ausgezeichnet und taucht als einziges Comic überhaupt in der »Time Magazine«-Liste der 100 besten Romane aller Zeiten auf. Der Klappentext zitiert bescheiden »Lost«-Chefautor Damon Lindelof, der da meint, »Watchmen« wäre »the greatest piece of popular fiction ever produced.«

Da spricht ein Fan, na klar, aber das Werk steht tatsächlich ziemlich einzigartig da. Seine dicht betexteten Panels vermitteln eine eigentümlich reizvolle ›alternate history‹: In diesem Amerika sind Comic-Superhelden Geschichte, und ebenso verschwunden sind die maskierten Aushilfs-Helden, die es sich nach dem Vorbild der gezeichneten Weltenretter zum Ziel gesetzt hatten, in einer verwahrlosten Gesellschaft für Recht und Ordnung zu sorgen.

Weite Kreise hatte die Bewegung gezogen, bis sie in den Siebzigern per Gesetz verboten wurde. Diverse Erzählebenen verschaffen Einblicke in zwei Generationen dieser ›masked adventurers‹, von denen nur einer – Dr. Manhattan – tatsächlich über Superkräfte verfügt.

Seine bloße Existenz beeinflusst das Weltgeschehen, verkörpert Dr. Manhattans unumschränkte Macht über jegliche Materie doch eine Art ultimative Superwaffe. Jeder Aggressor muss mit verheerenden Gegenmaßnahmen rechnen, handelt er gegen den Behüter dieser Waffe – und der heißt USA (unter Führung eines von Watergate verschont gebliebenen Nixon). So verschärft sich der schwelende Konflikt der Supermächte, die sich nervös gegenüberstehen, Abschreckungspotenziale abwägend, wettrüstend, den Finger am Abzug.

Eine Eskalation scheint unvermeidlich, und die Gewißheit um einen nuklearen Krieg läßt die Menschen resignieren. Es ist ein trostloses, heruntergekommenes New York, in dem wir die ehemaligen Helden treffen: dunkle Gassen, triste Wohnsilos, dazwischen Atomschutzbunker und verdreckte Bürgersteige. Auf einem davon haucht unsanft der Comedian sein Leben aus, und auch andere Minutemen – ein Zusammenschluss einiger Selbstjustizler – werden plötzlich Opfer mysteriöser Attacken. Zu allem Überfluss verlässt Dr. Manhattan nach einer Rufmordkampagne kurzerhand den Planeten – was die entsprechenden militärpolitischen Folgen hat. Während im Osten schon die Panzer rollen, führen die Nachforschungen der maskierten Helden auf die Spur einer weitreichenden Verschwörung.

Welch heilsame Therapie die Watchmen-Geschichte für das Helden-Genre darstellte, lässt sich kaum überschätzen. Dekonstruktion und Revitalisierung zugleich, eröffnete sie eine »Was wäre wenn«-Perspektive, die geläufige Archetypen und Plotmuster negierte und dadurch erst bewusst machte. Heldentaten waren hier nur mehr wehmütige Erinnerungen, wie an Jugendsünden, und die alternden Protagonisten, von denen keiner die Sympathie des Lesers wirklich verdiente, streiften nur widerwillig ihre alten Kostüme über, um das Ableben ihres Kollegen zu untersuchen.

Und dabei mochte den nie jemand leiden. Ein Rüpel war das, ein Zyniker und ein Prolet. Nahtlos eingebaute Rückblenden erzählen Episoden aus seiner und anderer Figuren Vorgeschichte; auf diesem Wege erschließen sich ihre Charaktere. Der Comic erreicht dabei einen psychologischen Realismus, der bis dato in diesen Gefilden unbekannt war. Seine Dramaturgie kommt nachgerade filmisch daher, gibt ein Gefühl von Kamerabewegung und diffiziler Montage.

Lautmalereien, Denkblasen und Bewegungslinien sucht man vergeblich, stattdessen findet man klare, tiefenscharfe Panels voller Querverweise und Symbole (der blutbefleckte Smiley, die tickende Doomsday Clock), liest profunde, teils parallel montierte Dialoge, bedeutungsschwangere Schlagzeilen auf umherliegenden Zeitungen und Graffiti auf beschmierten Häuserwänden (eins davon, »Who watches the Watchmen?«, ein Zitat aus Juvenals »Satiren«, gibt dem Werk seinen Titel).

Postmoderne Zwischenböden bereichern den Text, zunächst in Form einer ›story within a story‹ – eine existenzialistische Seefahrergeschichte, die ein Comicfan an einem Zeitungsstand Tag für Tag liest (und die wir so Stück für Stück mitverfolgen), spiegelt Elemente der Watchmen-Handlung. Des Weiteren finden sich zwischen den Kapiteln Protokolle, Briefwechsel, Zeitungsartikel, Ausschnitte aus Memoiren – fiktive Zeitzeugen, die eine glaubbare, komplexe Welt aufspannen.

Ihr Schöpfer, Alan Moore, erfüllt die Ikonografie des Genies: wirres Einstein-Haar, wallender Rasputin-Bart, düsterer Beethoven-Blick. Er gilt als Gallionsfigur der modernen Comic-Szene, an seinem Input entzündeten sich Strömungen, die nicht zuletzt dem Superheldengenre zu einer lang anhaltenden Renaissance verholfen haben.

Bis heute findet das Genre neue Bezüge, die es auszuloten lohnt, und es sind gerade die Wechselwirkungen mit unserer schnöden Wirklichkeit, die, wie vor zwanzig Jahren in »Watchmen«, die anregendsten Beiträge liefern. Der Realismus in »The Dark Knight«, die Selbstironie von »Hancock«, das Undercover-Heldentum in »Heroes«, sie alle sind ohne den Einfluss von Moore nicht vorstellbar.

I’m never going to watch this fucking thing.

So lauten die Worte, die der Meister für die anstehende Verfilmung von »Watchmen« übrig hat. Warum so verbittert? Sein »V für Vendetta« hat in den Händen der Wachowskis doch eine kongeniale Filmadaption ergeben. Gut, »From Hell« war weniger gelungen, und von »The League of Extraordinary Gentlemen« wollen wir gar nicht reden. Moore hat jedoch generell kein Interesse an den Verfilmungen seiner Werke, er möchte nicht damit belästigt werden, und er will auch keinen Cent damit verdienen.

Sein gutes Recht, wiewohl gerade im Falle »Watchmen« sein Rat von großer Hilfe sein könnte. Seit vielen Jahren schon wurde eine Verfilmung angestrebt, und verschiedene Regisseure haben sich an dem Stoff die Zähne ausgebissen. Terry Gilliam arbeitete bereits 1989 verschiedene Treatments aus, um dann die Waffen zu strecken: zu komplex der Stoff, zwei Stunden reichen nicht aus, gebt mir fünf, und ich mach’s.

Nachdem Darren Aronofsky Interesse gezeigt hatte, jedoch wegen zu hoher Budgetforderungen eine Abfuhr erteilt bekam, gedieh das Projekt 2004 in den Händen von Paul Greengrass relativ weit. Schauspieler wie Tom Cruise und Jude Law begannen sich um die Rollen zu streiten, zum fertigen Skript wurden bereits Designstudien angefertigt, als Paramount plötzlich den Stecker zog. Zu riskant, zu teuer, die Zielgruppe zu klein.

Und so scheint der Film, der es nun in die Postproduktion geschafft hat und im März 2009 starten soll, ein paar Nummern kleiner auszufallen. Was überhaupt nicht schlecht sein muss. Allzu bekannte Gesichter in den Heldenrollen wären der Watchmen-Prämisse abträglich, die ja dadurch besticht, dass die Figuren dem Leser oder Zuschauer als Jedermänner ohne jeglichen Ballast begegnen, bar jeden Vorlebens in Dutzenden Comic-Episoden. Und Tom Cruise als Ozymandias? Muss nicht sein.

Manchem »Watchmen«-Liebhaber treten jedoch Schweißperlen auf die Stirn, wenn er den Namen des Regisseurs erfährt, der den Job übernommen hat. Zack Snyder ist das nämlich – und seine Referenzen belegen nicht gerade ein untrügliches Gespür für feinsinnige Sozialkritik und politische Metaebenen. Aber er verehrt die Vorlage abgöttisch, wie man hört, und wir wollen ihm gerne eine Chance geben. Der Trailer schaut schon mal ganz gut aus.

A propos Trailer: In jenem zu »300« hatte Snyder die erste »Watchmen«-Testeinstellung versteckt und mit seiner Frau gewettet: Die war sich nämlich sicher, niemand würde das Bild registrieren, während Zack glaubte, es würde praktisch sofort entdeckt werden. Zack gewann die Wette.


Erinnerungen: Paul Newman

Hamburg, 11. Oktober 2008, 13:26 | von San Andreas

Auch Paul Newman ist von uns gegangen. In den Feuilletons wurde sein Leben und Wirken in großformatigen Elogen gewürdigt. Rollenmuster wurden analysiert, sein Charakter ergründet, seine Skandalabstinenz herausgestellt, sein soziales Engagement goutiert, seine Nudelsoßen gelobt. Alles d’accord.

Er war einer jener Schauspieler, die man meinte persönlich zu kennen, wohl weil hinter vielen seiner Rollen Newman selber vorwitzig hervorzublinzeln schien. Ein großartiger Mensch musste das sein: smart, ironisch, generös, lässig, grundsympathisch. Paul Newman war all das, wir sind davon überzeugt.

Gut sah er auch noch aus. Blendend geradezu, aber sein Aussehen verstellte nie den Blick auf den menschlichen Kern seiner Figuren. Durch seine blauen Augen entdeckte man gebrochene Existenzen, ambivalente Helden, liebenswerte Verlierer, grantelnde Zyniker. Stereotypen mochte er nicht, so scheint’s, ebenso wenig wie Manierismen und Allüren.

Newman gelang der einzigartige Coup, eine Figur im Abstand eines Vierteljahrhunderts in zwei unterschiedlichen Filmen zu verkörpern. »The Hustler« mag der bessere, weil profundere Film von beiden sein, aber allein jenen Fast Eddie Felson nach so vielen Jahren wiederzutreffen, macht »The Color of Money« zum Ereignis.

Pflichtbewusst gab Hollywood ihm für die Rolle einen Oscar, mit 61 Jahren schien es an der Zeit, aber bei Lichte besehen überragen andere Leistungen den zweiten Felson. Claudia Lenssen erinnert in ihrem Nachruf an Filme wie »Cat on a Hot Tin Roof«, »Hombre« oder das wunderbare Spätwerk »Nobody’s Fool«.

Gern erinnern wir uns auch an Lumets »The Verdict«. Newmans Darstellung des abgehalfterten Winkeladvokaten mit Neigung zum Alkohol ist grandios, und wenn man nur einen einzigen Gerichtsfilm im Leben sehen möchte, weil man das Genre eigentlich nicht mag, that’s the one.

Bei Lenssen findet der Film nur kurze Erwähnung. Und Newmans berühmteste Rollen streift die Frau gar nur im Nebensatz: »Butch Cassidy and the Sundance Kid« wäre ein »Märchen um ein smartes Banditen-Duo«, und »The Sting« lediglich dessen »mäßiger Folgefilm«. Excuse me?

Zum einen erzählt »Butch & Sundance« die einigermaßen wahre Geschichte der Herren Robert Leroy Parker und Harry Alonzo Longabaugh (der Name ihrer Bande wird zwar nicht genannt, aber man kennt ihn: »The Wild Bunch«), zum anderen ist der Film ja wohl der brillanteste Alternativ-Western, der je das Licht der Leinwand erblickte.

BC: I think we lost ’em. Do you think we lost ’em?
SK: No.
BC: Neither do I.

George Roy Hills umwerfende, fast postmoderne Genre-Kollage gibt keinen Pfifferling auf Konventionen, erhebt sich bei aller Komik mühelos über die Schublade harmloser Unterhaltung und erfindet nebenbei das Genre des ›Buddy Movies‹. Im kollektiven Filmgedächtnis bleiben u.a. Newmans Fahrradfissematenten zum Bacharach-Song, der Sprung der Verfolgten in den gähnenden Abgrund sowie der legendäre Freeze Frame am Ende des Films.

»The Sting« kommt genauso epochal daher, eine so leichtfüßige wie facettenreiche Studie der Kultur der ›con men‹ von Chicago, ebenfalls stilsicher in Szene gesetzt von George Roy Hill (der später noch »Slap Shot« mit Newman drehte). Der Ragtime-Soundtrack mag nicht in die Zeit der 30er Jahre passen, aber er passt in den Film, setzt perfekt den augenzwinkernden Ton.

DL: Mr. Shaw, we usually require a tie at this table … if you don’t have one we can get you one.
HG: Hey, that’d be real nice of you, Mr. Lonneman!
DL: Lonnegan.
HG: [nods, belches]

Große Klasse: Newman als Bauernfänger Henry Gondorff, der beim Poker mit Mobster Doyle Lonnegan (Robert Shaw) den beschwipsten Haudrauf markiert, um dann gewiefter zu betrügen als der. Wo die vier Buben plötzlich herkommen, weiß man nicht, aber Lonnegans Moment ohnmächtigen Zorns ist schier köstlich.

Die ›Daily Poll‹ der IMDb präsentierte letzte Woche die memorabelsten Rollen des Paul Newman; »Butch« und »Sting« wurden nur noch überflügelt von »Cool Hand Luke«, dem Südstaaten-Gefängnis-Drama, das zeigte, dass ein Mann fünfzig Eier am Stück essen kann, wenn er nur will. Die raue Menschlichkeit des Films berührt nach wie vor, und Newmans unbeugsamer Luke wurde zum prototypischen Rebell.

Redford war hier nicht dabei, aber in einer wunderbaren Parallelität der Schicksale spielte er Jahre später in »Brubaker« die Hauptrolle – ebenfalls ein Knastdrama in den Südstaaten, ebenfalls von Stuart Rosenberg, ebenfalls um einen kämpferischen Idealisten, nur eben auf der anderen Seite der Gitterstäbe.

»I have lost a real friend. My life – and this country – is better for his being in it.« – Robert Redford

Newman und Redford hatten der Filmgeschichte eigentlich noch einen dritten gemeinsamen Film hinzufügen wollen, eine Adaption des Bryson-Klassikers »A Walk in the Woods«. Der rapide abbauende Newman hatte das Projekt jedoch in letzter Minute absagen müssen.

Seine Rolle wäre die von Stephen Katz gewesen, einem übergewichtigen, ungehobelten Ex-Alkoholiker. Newman hätte die Rolle sicher aufs vortrefflichste ausgefüllt, so wie wir ihn kennen. Und wir kennen ihn.


Erinnerungen: Richard Wright

Hamburg, 10. Oktober 2008, 13:50 | von San Andreas

Eine Floyd-Platte wollte mir der Schönling aus der Parallelklasse verkaufen, aber er wusste ihren Titel nicht. »Ein Stück ist da drauf, irgendwas mit ’nem Kobold …« Hmm, das konnte nur »The Piper at the Gates of Dawn« sein, und ich schlug ein; die hatte ich noch nicht auf CD. Das Stück, das er meinte, hieß »The Gnome«, und mir war klar, wieso er die Scheibe loswerden wollte. Die frühen Floyd gehen zunächst nicht besonders glatt ins Ohr.

Dabei ist diese erste Phase so wichtig, um den tiefen Eindruck zu verstehen, den die »Jahrhundertband Pink Floyd« in der Musikgeschichte hinterlassen hat. Vor mehr als vierzig Jahren, als die Legende sich im pulsierenden Londoner Untergrund zu formen begann und aufregend neue, psychedelische, progressive Blüten hervorbrachte, prägte ein Mann das musikalische Gesicht der Band, dessen eigenes vielen unbekannt bleiben sollte: Richard Wright.

Nachts um eins kam die SMS von Todd aus San Francisco. Ich musste sie mehrmals lesen, bevor ich ihren Inhalt begriff: »pink floyd keyboards wright passes.«

Unerwartet traf vor drei Wochen die Nachricht vom Tod des Keyboarders ein, doch wie man jüngst erfuhr, hatte Wright schon einen Monat vorher den Kampf gegen den Krebs aufgegeben und sich von seinen engsten Freunden verabschiedet. Seine Errungenschaften wirken fort – unaufdringlich wie sein Charakter, vielgestaltig und von sublimer Raffinesse.

Wright war nie ein kultiger Tastenzauberer vom Schlage eines Rick Wakeman gewesen, nie ein verrückter Keyboardschrubber wie Keith Emerson. Inspirationen suchte er im Jazz, aber die Wurzeln seines Könnens lagen weder dort noch im Rock, sie lagen nirgendwo. Wie den Rest der Band trieb ihn das Fehlen irgendeiner Nischen-Kompetenz dazu, neuartige Texturen zu erforschen, Klangvisionen ohne die Einschränkung althergebrachter Schablonen in Musik zu verwandeln. Eine Musik, die ehrlicher und überzeugender ausfiel als die ewig plagiierenden Ergüsse vieler Zeitgenossen.

Wrights einfache, doch bestechende Akkorde verströmen eine seltsame Art von Pathos – eine, die nicht stört. Seine sphärischen Soundscapes, seine verspielten Einsprengsel, sein gesamter kompositorischer Input hatten einen Anteil an der Musik von Pink Floyd, der lange Zeit unterschätzt wurde. Das schreibt auch David Gilmour in seinem Nachruf; eine Platte wie »Dark Side of the Moon« wäre ohne Richard Wright kaum zu der Institution geworden, die sie ist.

Wrights Spiel beherrscht darüber weite Teile von »Shine on you Crazy Diamond«, dem Titel, der in der Oktober-Ausgabe von »UNCUT« die Ehre des ›Greatest Pink Floyd Songs‹ zugesprochen bekam – völlig zu Recht. Das Schluss-Segment des Stücks ist Wright pur – es sollte bis 1994 seine letzte Komposition für die Band bleiben.

Während der Aufnahmen zu »The Wall« nämlich ekelte Roger Waters den Keyboarder aus der Band. Der packte vergnatzt seine Koffer und genoss die mittleren Jahre seines Lebens segelnderweise auf dem Mittelmeer – bis Waters selbst Pink Floyd im Streit verließ. Wright kehrte langsam aber sicher in den Schoß der Band zurück; auf »The Division Bell« haute er wieder voll in die Tasten – für das Instrumental »Marooned« gab’s einen Grammy, sein Stück »Wearing the Inside out«, bei dem er auch singt, bildet einen emotionalen Fixpunkt mit typisch Wright’scher, schwelgerischer Schwere.

Von den ersten Gigs vor langhaarigen Studenten in brodelnden Londoner Clubs bis zu den gigantischen Bühnenshows der späteren Jahre – Richard spielte auf sämtlichen Tourneen der Band. Gleichwohl schlug er nach dem Ausklang des Floyd-Daseins das Angebot Waters‘ aus, auf dessen Solo-Tour die Tasten zu bedienen. Wer mag es ihm verdenken.

Waters für seinen Teil bewies aber Stil und Größe, als er nach Wrights Ableben seine komplette Homepage zugunsten eines persönlichen Nachrufs frei räumte. Die kurze Wiedervereinigung der Band (nach 24 Jahren) im Zuge von Live 8 hatte offenbar alte Wunden gekittet – und zudem Wrights Spielfreude so weit angefacht, dass er mit Gilmour auf Tour ging.

»And on the keyboards … Mister Richard Wright«, sagte Gilmour, und die gesamte Royal Albert Hall erhob sich von den Plätzen. Tosender Beifall. Ich sah den grauhaarigen Mann in seiner Keyboardburg aufstehen und seine Hand in einer Dankesgeste heben. Dann setzte er sich wieder. Der Beifall hielt an.

Die Ovationen auf den Konzerten der letzten Jahre waren dem Keyboarder eher peinlich. Heimliche Genugtuung mag er empfunden haben, als gelegentlich seine Komposition »Breakthrough« zur Aufführung kam. Wrights Soloplatten waren von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt geblieben, obwohl sich darauf echte Perlen befinden. Man höre sich nur das phänomenale »Night of a Thousand Furry Toys« an – ein warmer, hypnotischer Groove, fast floydiger als Floyd.

Sein Meisterstück aber bleibt der wohl erhebendste Song über den Tod, der je komponiert wurde, jener musikgewordene Malstrom der Emotionen, der in frühen Live-Versionen noch »The Mortality Sequence« hieß. Ohne Text, und doch mit Gesang, schraubt sich das Stück in orgiastische Höhen, um dann in süßer Melancholie seinem Ende entgegenzutaumeln. Der perfekte Titel für Richard Wrights letzten Auftritt – »The Great Gig in the Sky«.


Das wahrscheinlich unwahrscheinlichste Remake aller Zeiten

Hamburg, 8. Oktober 2008, 07:57 | von San Andreas

Wo immer die »Welt« ihre Quelle hat für die Serie kleiner Artikel großer Leute zum Thema »Meine DVD« (u. a. Jerry Seinfeld, Marc Forster und Guillermo del Toro) – neulich gab die Rubrik dem Regisseur Abel Ferrara die Möglichkeit, seinen Unmut über das bevorstehende Remake seines kontroversen Cop-Dramas »Bad Lieutenant« zum Ausdruck zu bringen:

Nichts gegen Werner persönlich, aber ich wünsche der gesamten Crew der Neuverfilmung die Pest an den Hals.

Oh, wie harsch. Und welcher ›Werner‹? Doch nicht etwa …? Aber ja, ganz genau: our very own Werner Herzog. Hierzulande kurz davor, vergessen zu werden (sein Vietnam-Fluchtdrama »Rescue Dawn« von 2006 harrt immer noch eines Starttermins, während die halbe Welt ihn schon sehen durfte, darunter Kuwait, Polen, Island und Brasilien), schickt sich Meister Herzog nun an – 16 Jahre nach dem Original – »Bad Lieutenant« neu zu erfinden.

Eine merkwürdige Idee, gelinde gesagt, zumal die Thematik so gar nicht in Herzogs Output der letzten Zeit passen will: da hatten wir fantastische Dokus wie »Grizzly Man«, »The White Diamond« und aktuell »Encounters at the End of the World«, er schrieb die köstliche Mockumentary »Incident at Loch Ness«, in der er sich selbst spielte, und seit dem Hanussen-Vehikel »Invincible« war der hervorragende »Rescue Dawn« sein erster Spielfilm seit langem gewesen.

All diesen Werken ist eines gemein: Herzog zeichnet höchstselbst für das Drehbuch verantwortlich, so wie sich das für einen Autorenfilmer gehört. Für »Bad Lieutenant« nun nimmt er die Dienste eines gewissen William M. Finkelstein in Anspruch, seines Zeichens Autor und Produzent von TV-Polizeiserien wie »NYPD Blue« und »Law & Order«. Aha. Hmm. Hä?

Aber der Knaller kommt erst noch: Die Hauptrolle übernimmt kein anderer als Mr. Nicolas Cage, derletzt als Träger schlechter Frisuren in noch schlechteren Filmen zu bewundern (»Bangkok Dangerous«, »National Treasure: Book of Secrets«, »Next«). Ihm zur Seite stehen attraktive Akteure wie Eva Mendes und Val Kilmer. Nach üblem Mainstream riecht das, und Ferrara kann die zu erwartende Hollywoodisierung seiner grenzgängerischen Filmprovokation nur schwer verknusen. In Cannes nach seiner Meinung dazu befragt, reagierte er fast etwas ungehalten:

I wish these people die in hell. I hope they’re all in the same streetcar, and it blows up.

Und Herzog, der ja durch die harte Kinski-Schule gegangen ist und Verbalausfälle seelenruhig zu parieren weiß, wie reagiert er auf diese Anfeindungen? Wie erwartet:

That’s beautiful! […] Wonderful, yes! Let him fight! He thinks I’m doing a remake.

Jetzt wird es kompliziert. Herzog steht offenbar unter dem Eindruck, sein Film wäre *kein* Remake. Wie man hört, soll tatsächlich der Schauplatz ein anderer sein, was auch ein Untertitel unmissverständlich klar macht: »Port of Call New Orleans«. Aber es geht schon um einen Officer, der allen möglichen unschicklichen Obsessionen nachhängt? Jawohl.

Nun ist das eher eine Sache von Wortklauberei: Wann ist ein Remake ein Remake? Herzogs Verteidiger bringen Beispiele wie James Bond und Inspektor Clouseau, doch sind das eindeutig Filmserien und keine Versionen derselben Geschichte. Ist Werner Herzogs »Nosferatu« ein Remake gewesen? Nein, sagt er, das war eine Hommage. Aha. Und kann sein Bad Lieutenant eine Hommage an Abel Ferrara sein? Aber nicht doch, denn:

I have no idea who Abel Ferrara is. […] I don’t know what he did – I’ve never seen a film by him. I have no idea who he is. Is he Italian? Is he French? Who is he?

Es scheiden sich die Geister, ob man Herzog so viel Ignoranz abnehmen kann. Irgendein Stabmitglied muss ihn doch irgendwann mal beiseite genommen und ihm geflüstert haben, dass es da draußen schon einen Film mit diesem Titel und dieser Geschichte gibt …

Wie dem auch sei, Abel Ferrara soll mal ganz ruhig sein, schließlich war sein Film »Body Snatchers« ebenfalls das Remake eines gerade mal 15 Jahre alten Streifens (seinerseits bereits ein Remake), und ein überflüssiges und schlechtes noch dazu.


Baader, Meinhof, Coen, Coen

Hamburg, 3. Oktober 2008, 10:26 | von San Andreas

Vorgestern den »Baader Meinhof« gesehen. Sicher besseres deutsches Kino, wenn nicht sogar großes. Bisschen formlos in Teilen, auch emotionslos, aber then again will der Film ja kein Thriller sein wie etwa »Munich«.

Obwohl er, wenn’s zur Sache geht, ebenso wenig zimperlich ist wie der. Einige junge Leute verließen trotzdem mit dem Kommentar »laaangweilig« den Saal. Die Jugend von heute schert sich den Teufel um die Jugend von gestern.

Anders sieht’s beim neuen Coen aus. Guter Film, da gibt’s nix. Clever und silly zugleich, dann wieder recht unkonventionell (das Ende!), wenn das Werk auch vor lauter Story manchmal klinisch, ungewohnt lieblos wirkt.

Verzeihbar, wenn das Skript dann wieder Situationen hervorbringt, in denen die Dinge kulminieren – und sei es nur in den Köpfen der Zuschauer, die dann laut lachend in ihren Sesseln hängen. So geschehen gestern im UCI um die Ecke. Der nächste Coen wird eine Nummer kleiner und hat in der Hauptrolle Richard Kind, Larry Davids legendären Seriencousin »Andy«.

Womit wir wieder bei »Curb Your Enthusiasm« wären. Wenig Neuigkeiten darüber, auch weil LD gerade am ominösen neuen Woody-Allen-Film mitwirkt. Wie man liest, soll die 7. Staffel »at the end of next year« kommen. Moment. NEXT year? Und AT THE END? Aaargh.