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Kaffeehaus des Monats (Teil 27)

sine loco, 21. März 2008, 11:32 | von San Andreas

Wenn du mal richtig Zeitung lesen willst:

Café Leonar, Hamburg, Grindelviertel

Hamburg
Das Café Leonar am Grindelhof.

(»You had me do a two hour turn around
to Anchorage to pick up bagels––
Maggie zu Joel in »Northern Exposure«
)


Neulich vorm Kino

Hamburg, 13. März 2008, 18:03 | von San Andreas

Ein ganz normales deutsches Filmtheater, eine ganz normale Fassade. Meint man. Aber auf den zweiten Blick bemerkt der aufmerksame Kinogänger, dass alle drei Titel in fließendem Englisch daherkommen:

Marquee in Hamburg

Ebenso tun das »Into the Wild«, »27 Dresses«, »Control«, »I’m not there«, »Once« … Was ist los mit der deutschen Titelfindungs­kommission?

Ein Anruf wird Klarheit bringen. »Danke der Nachfrage«, informiert mich die Sekretärin, »der Zuständige ist leider krank und liegt zuhause im Bett.« Wie erholsam das wäre, murmele ich, und sie meint: »Ja, es geht ihm schon viel besser.« Ich beeile mich zu präzisieren: »Nein, ich meine erholsam für das Kinopublikum –«, doch da hat die gute Frau bereits aufgelegt.

Wir waren gefasst darauf gewesen, dass uns ein Titel wie »Öl! – Blut wird fließen« das Wasser in die Augen treiben würde. Oder dass zumindest die deutsche Überschrift der Coen-Vorlage – »Kein Land für alte Männer« – den Zuschlag bekommen würde. Obwohl durchaus auch Kreationen wie »Tod in Texas« oder »Anton, der Bolzenschuss­killer« denkbar gewesen wären.

Der letzte Film auf der Tafel entpuppt sich frappierenderweise als astreine deutsche Produktion. Scheint, als wolle Musik-Dokumentar Grube (erster Film: »Rhythm Is It!«) dem profanen Klang einer »Reise nach Asien« entgehen. Hat er die Zeichen der Zeit erkannt? Sind die besten deutschen Titel englisch?

Eben in der Mittagspause fuhr ich am Kino vorbei. »Meine Frau, die Spartaner und ich« stand da. Alles klar. Der Titelmann ist also wieder auf Arbeit. Hat er sich ins Büro gequält, womöglich nicht auskuriert, immer noch kränklich und bald rückfällig. Well … keine falschen Hoffnungen.

P.S. In Bälde auf dem Umblätterer: eine so umfassende wie vergnügliche Phänomenologie der deutschen Filmtitel-Landschaft.


Cloverfield!

Hamburg, 16. Februar 2008, 14:46 | von San Andreas

»I knew that if I went to the theater having never heard about this movie and saw that trailer I’d lose my mind.«

Besagter Trailer verfehlte seine Wirkung nicht. Im Vorprogramm zu »Transformers« tauchte er zum ersten Mal auf. Verwackelte Amateuraufnahmen, fremde Gesichter, eine Party. Plötzlich ein Erdstoß. Verwirrung. Eine Explosion in der Ferne. Hektik, Chaos. Ein Objekt fällt vom Himmel, stürzt krachend die Avenue entlang, kommt zu liegen. Es ist der Kopf der Freiheitsstatue. Das Bild reißt ab. Dann in kleiner Schrift der Code »1-18-08« sowie ein Name: J. J. Abrams.

Die Kino-Community spielte verrückt: Wo kam dieser Film her? Wieso wusste niemand davon? Und los ging die Schnitzeljagd. Ein T-Shirt-Aufdruck im Trailer führte zunächst zu einem japanischen Erfrischungsgetränk namens Slusho. Fotos auf der Seite www.1-18-08.com bargen Namen auf der Rückseite, zu denen komplette MySpace-Seiten aufgespürt wurden.

Auf einem der Bilder fand sich ein Rezept in japanischer Schrift, dessen obskurste Zutat – ›deep sea nectar‹ – per Babelfish und Google zum Konzern Tagruato führte, dem Slusho-Hersteller, der offenbar wegen weltweiter Tiefseebohrungen in der Kritik stand. Hatten die am Ende etwas aufgeweckt in der Tiefe des Ozeans …?

Man muss Berufs-Geheimniskrämer Abrams dankbar sein, dass er die Idee nicht zu einer zehnstaffeligen Serie ausgewalzt hat. Der Teaser und die Köder im Netz entfachten zumindest eine Euphorie, wie es der beste »Lost«-Cliffhanger nicht vermag. Freilich hatten die Info-Schnipsel nur peripher etwas mit dem Film zu tun – nichts konnte die Filmgemeinde darauf vorbereiten, was sie im Begriff war zu erleben.

»Amazing! It lives up to the hype.« (Empire Magazine)

Ja, tatsächlich. Die angesichts der sich überschlagenden Erwartungen recht wahrscheinliche Enttäuschung blieb aus. Es geschah stattdessen der seltene Fall einer Filmerfahrung, die einen mit dem Gefühl zurückließ, etwas wirklich Neues, genuin Neues gesehen zu haben.

Die Betonung liegt auf ›sehen‹. Seeing is believing, sagt man ja gerne, und die Devise findet in »Cloverfield« wohl ihre Vollendung. Mit dem Film hat der ›as real as can be‹-Anspruch des F/X-Kinos einen vorläufigen Höhepunkt erreicht.

Spielbergs »War of the Worlds« hatte vor drei Jahren diesbezüglich ein neues Kapitel aufgeschlagen – mit einer dreckigen, ungeschliffenen Optik, den Effekten gleichsam beiläufig im Hintergrund, nahtlos integriert.

Cloverfield kombiniert diesen Ansatz mit dem »Blair Witch«-Kniff der subjektiven Wackelkamera. Ein cleveres Manöver, denn die ungeschönte, erratische Ästhetik von Home Movies verweist in unserer visuellen Erfahrung auf ein Höchstmaß an Authentizität. Bilder so schlecht, dass sie unmöglich künstlich sein können.

Bei Onkel Heinzens Hochzeitsvideos wirkt diese Wahrhaftigkeit durchaus schmerzhaft, denn ohne ästhetische Distanz, ohne formale Stilisierung wird das Ereignis seines Zaubers beraubt – genau des Zaubers, den Onkel Heinz eigentlich festhalten wollte. Kein Montage-Rhythmus, kein Bildaufbau, nicht die Spur einer vernünftigen Mise-en-scène. Stattdessen unerbittliche Wirklichkeit.

Derselbe profanisierende Effekt ereilt das »Cloverfield«-Publikum, nur dass der ungeschliffene Boden der Tatsachen hier keine banale Realität, sondern ein wahnwitziges Monsterszenario darstellt. Das Ergebnis ist frappierend.

»An effective film, deploying its special effects well and never breaking the illusion that it is all happening as we see it.« (Roger Ebert)

Die Abwesenheit filmischer Konventionen reduziert den Zuschauer auf ein Kaninchen im Bannstrahl der Bilder, auf einen Spielball seiner Reflexe. Konditionierte Erwartungen gehen über Bord, zur Neu-Justage bleibt keine Gelegenheit, denn der Echtzeit-Malstrom reißt einen fort. One hell of a ride.

Wiewohl sich, sieht man New Yorker Wolkenkratzer in ultimativ dokumentarischem Augenschein in sich zusammenbrechen, automatisch auch beklemmendere Assoziationen einstellen. Die Tatsache, dass die mediale Berichterstattung uns den Terror immer öfter über die fahrigen Handy-Kamera-Clips von Passanten vermittelt, findet in »Cloverfield« einen Widerhall, der den Schrecken nicht eben mindert.

Dass der Film ansonsten thematisch nicht großartig über sich hinauswächst, ist leicht verziehen. Wie soll er auch. Das Konzept kappt zerebralen Ballast, reduziert die Filmerfahrung auf das nackte, unmittelbare Erleben. Liefert man sich dem aus, wird man mit einer sensorischen Achterbahnfahrt belohnt.

Ein guter Teil des deutschen Feuilletons hatte dazu keine Lust, mäkelte sauertöpfisch, gab sich intellektuell unterfordert, degradierte Kino-Begeisterte im Handstreich zu willfährigen Objekten cleverer Hype-Strategen und mahnte eine mangelnde emotionale Tiefe ebenso an wie das Fehlen inhaltlicher Originalität.

Doch in »Cloverfield« übersteigt die Form den Inhalt, knüpft die Filmwelt direkt an die Alltagserfahrung des Zuschauers an: subjektive, selektive, ungeordnete Wahrnehmung. Irgendwo ist das Kino pur; gilt doch gerade die Filmkunst als prädestiniert dafür, perzeptive Kanäle so zu bespielen, dass fast-reale Eindrücke möglich werden. Selten kam Fiktion dem Publikum so nahe.

Dass uns die Essenz des Kinos gerade aus einem Monstermovie heraus neu begegnet, der noch dazu das Vokabular der Leinwand links liegen lässt, hätten wir nicht erwartet. Kudos, Mr. Abrams.


»There Will Be Blood«

Hamburg, 13. Februar 2008, 07:33 | von San Andreas

New Mexico, 1898. Der Mann in der Wüste, er ackert. Er gräbt, er hackt. Er meißelt, er hämmert, er sprengt. Er klettert, er fällt, er keucht, er kämpft. Er sucht Silber, findet Gold – schwarzes Gold. Der Mann in der Wüste ist Daniel Plainview. Er ist ein Ölmann.

Kein Kommentar, kein Dialog, kein einziges Wort stört die raue, körperliche Unmittelbarkeit der ersten zehn Minuten von »There Will Be Blood«. Geradeso kündigt sich ein außergewöhnlicher Film an: Bereits die Exposition atmet das Flair eines Klassikers.

Es ist dies der fünfte Film von Paul Thomas Anderson. Mit »Boogie Nights« und »Magnolia« empfahl er sich als brillanter Autor/Regisseur facettenreicher, einfühlsamer Ensembledramen. »There Will Be Blood« nun ist von einem anderen Schlag: die spröde, düstere, epische Geschichte eines materialistischen Misanthropen.

Zunächst lernen wir Daniel Plainview als integeren, fürsorglichen Mann kennen, der kompetent und instinktsicher eine beachtliche Karriere aufbaut. Hinter der Fassade des distinguierten Entrepreneurs aber verbirgt sich ein verschlagener Soziopath, dessen Hass auf seine Mitmenschen im selben Maße offenbar wird, wie seine monetäre Unabhängigkeit wächst.

Schon wird der Film mit »Citizen Kane« verglichen, mit dem er die Thematik des so gewieften wie gemütsarmen Tycoons teilt (auch »Chinatown« und »Giganten« fallen uns ein). Doch entwickelt »There Will Be Blood« seine Qualitäten aus sich selbst heraus: Reminiszenzen an andere Filme entspringen vielleicht dem Filmwissen des Cineasten, nicht aber dem Film selbst.

Anderson erzählt direkt und kraftvoll, einfach und effizient, spart Fingerzeige auf Metaebenen aus und enthält sich jeder aufdringlichen Metaphorik. Der Film steht da wie ein Axiom, gründet auf Befindlichkeiten der menschlichen Natur, die nicht expliziert oder per Symbolvorrat entziffert werden müssen.

Gewiss verhandelt der Film irgendwo den moralischen Zwiespalt zwischen Business und Religion, kontrastierenden Elementen der Frühzeit der Nation, doch schweben diese Kategorien wie Blaupausen über dem eigentlichen Kern der Geschichte: dem unauflösbaren Antagonismus zweier starker Persönlichkeiten.

Denn Plainview findet seine Nemesis in Gestalt Eli Sundays, einem charismatischen, hingebungsvollen Prediger und Gesundbeter, der um seine junge Gemeinde kämpft und die Toleranzbereitschaft des Ölbarons ein ums andere Mal auf eine harte Probe stellt.

Zwischen Plainview und Sunday bilden sich sehr wohl Brücken, doch erweisen die sich als kaum belastbar. Die Annäherung entspringt weder einem ehrlichen Harmoniebedürfnis noch menschlichem Respekt; sie entpuppt sich als notwendiges Übel: Der Geschäftsmann bedarf des kirchlichen Segens, um sich das Wohlwollen der Gemeinde zu sichern, während der Kleriker auf die materielle Unterstützung des Monopolisten angewiesen ist.

So kriechen beide zu Kreuze, heucheln Anerkennung, nehmen Erniedrigungen in Kauf, die der andere jeweils weidlich ausbeutet. Sunday verrät seine religiöse Würde, Plainview lässt sich in blinder Verfolgung seiner Ziele tief demütigen.

Die Persönlichkeit des Daniel Plainview aber erlaubt keine Unterordnung. Bald zeigen sich Risse auf der Oberfläche gesitteter Eloquenz; dicht darunter lauert das Unheil. So speist jede neuerliche Begegnung der beiden die bange Befürchtung, dass der fragile Moralkodex, der die Aggressionen leidlich in Schach hält, schließlich wegbrechen und die Prophezeiung des Filmtitels ihre Erfüllung finden wird.

Es ist wohl der Klischeefreiheit des Films und seiner entschlackten Ästhetik zu verdanken, dass der Zuschauer vollends die Distanz zum Geschehen verliert. So erliegt er umso einfacher den expressiven Nuancen des Werks, wird absorbiert in einen Rausch, der seine Energie vor allem aus einer Quelle bezieht: Daniel Day-Lewis.

Die schiere Präsenz dieses vermutlich besten Darstellers seiner Generation ist atemberaubend. Wie er mit raumgreifenden Schritten über seinen Claim stakst. Sein Ehrfurcht gebietender Duktus, wenn er redet. Seine kohlenschwarzen Augen, das Blitzen darin. Seine punktgenauen Gesten. Ihm zuzusehen: eine körperliche Erfahrung.

Plainviews archaischem Ego entgegengesetzt ist Sundays sanftes Gemüt. Paul Dano spielt den Prediger mit irritierender Ambivalenz. Von Anfang an nicht wirklich sympathisch, oszilliert er zwischen süßlich-bestechendem Sermon und kratzig-kreischender Ekstase. Man wird den Eindruck nicht los, dass Sunday mindestens ebenso abgefeimt und durchtrieben ist wie sein Gegenpart.

Andersons Dialoge sind von Kubrick’scher Präzision. Leicht manieriert, aber nie pathetisch, führen sie keinen Ballast mit sich und quellen wie Öl in die dunklen, dreckig-schönen Bilder von Andersons Hauskameramann Robert Elswit.

Diesen Bildern verleiht Jonny »Radiohead« Greenwoods erstaunlicher Soundtrack eine wunderbar extravagante Note, entrückt sie gleichsam eine Spur in Richtung Avantgarde. Minimalistisch, dissonant, unverhohlen modern. Was Penderecki für »Shining« war, ist Greenwood für »Blood«. Schon das erste schwellende Crescendo verbreitet ein enervierendes Gefühl unausweichlicher Bedrohung.

Manche meinen, »There will be Blood« fehle die Wärme, die Menschlichkeit. Doch enthüllt der Film vielleicht gerade dadurch viel über das Menschsein, indem er unerbittlich den Unmenschen in uns bloßlegt. Der Film laugt emotional aus, er überwältigt und erschüttert, aber die Erfahrung ist heilsam, ja kathartisch.

Ein Musterbeispiel filmgewordener Psychologie, eine cineastische Quintessenz, ein kühner künstlerischer Triumph. Großes, großes Kino.


Kein Mist: »Der Nebel«

Hamburg, 6. Februar 2008, 14:08 | von San Andreas

Der Nebel musste aus den Niederungen gekommen sein. Mit einem Mal war er aufgezogen und hatte die Stadt überspült. Er schluckte meine Schritte, raubte mir die Orientierung. Lief ich nach Süden, nach Osten? Der Höllenbach lag gewiss hinter mir. Aus dem fahlgelben Widerschein der Laternen sah ich Straßenschilder auftauchen; sie sagten mir nichts. Kahle Bäume streckten ihre Gliedmaßen durch den Dunst.

Da! In der Ferne gab der Nebel, kurz und widerwillig nur, den schwachen Umriss eines Gebäudes frei. Ich beschleunigte meinen Schritt in diese Richtung, das matte Kopfsteinpflaster verlor sich hinter mir in züngelnden Schwaden. Als ich schon meinte, mein Ziel verfehlt zu haben, ragte das Bauwerk plötzlich dräuend vor mir auf. Erlöst blickte ich die glatte Fassade empor. Es gab keinen Zweifel: Das war der UCI-Kinopalast.

Zu Jugendzeiten bin ich ein großer Fan der King-Novelle »The Mist« gewesen; ferner hat die Liaison zwischen Stephen King und Frank Darabont dem Kino bereits zwei Schmuckstücke beschert (»The Shawshank Redemption«, »The Green Mile«). Grund genug, sich auf den Film zu freuen. Hatte es diesmal wieder geklappt? Oh ja (und ein wenig nein).

Darabonts Herangehensweise konnte freilich verschiedener nicht sein; der Stoff eignet sich auch kaum für eine ausladende A-Liga-Produktion, die hinten und vorne nach dem Oscar schielt. Solcher Ansprüche ledig, inszenierte er frank und frei ein klassisches amerikanisches Genrestück, das weder in Belangen der Story noch ihrer Umsetzung irgendwelche Kompromisse eingeht.

Das erfrischt. Obwohl die Prämisse als altbekannte Formel daherkommt: Ein zusammengewürfelter Haufen Leute sieht sich einer ominösen Gefahr gegenüber, die sie von der Außenwelt abschneidet und derer sie sich erwehren müssen. In diesem Fall: der Supermarkt einer Kleinstadt in Maine, drinnen ein paar Dutzend Kunden, und draußen: der Nebel.

Wie schon die Vorlage versteht sich der Film als Hommage an die Horrorgeschichten der 50er Jahre. Doch erzielt er – wie jeder gute Horror – eine gewisse universale Qualität, da er doch weniger von bizarren Monstern als von Menschen erzählt, ihrer Weltsicht, ihren Reaktionen. Das wahre Grauen kommt nämlich gar nicht aus dem bösen Gewölk – es befindet sich bereits im Supermarkt.

Die Makulatur des friedlichen Miteinanders zerbröselt in extremen Situationen. Die Gefahr im Nebel löst Angst aus, und Angst – so der wenig eloquente Subtitel des Films – verändert alles. Sie setzt eine verhängnisvolle Dynamik in Gang, welche die Gruppe schließlich sprengt: Anführer und Mitläufer, Aufwiegler und Beschwichtiger, Nihilisten und Idealisten. Entscheidungen müssen getroffen werden, und das Abwägen zwischen Eigennutz und Edelmut fällt nicht jedem leicht.

Also hängt man sich an Parteien und Meinungsführer. Da gibt es Drayton, den Pragmatiker, der eine Gruppe rationaler Geister um sich versammelt und altruistische Ideale hochhält. Auf der anderen Seite gibt es Mrs. Carmody, die religiöse Fanatikerin, um die herum sich spirituell angehauchte Fatalisten scharen.

Die Abwehraktionen gegen die Kreaturen aus der Nebelbank bergen so manch drastische Schockmomente, doch was die »aufgestachelten Gläubigen anrichten, stellt alles in den Schatten, was man in den letzten Jahren in einem Horrorfilm gesehen hat« (Sascha Westphal in der »Welt«).

Dem wäre eigentlich nichts hinzuzufügen … gäbe es da nicht das schlimme Ende, dass Darabont dem Film in Abweichung vom ungleich besseren, offenen Ausgang der Novelle verpasst hat. Eine böse, zynische Pointe, die den Zuschauer jäh aus dem Film herausreißt, weil sie in so krassem Gegensatz zur restlichen Handlung steht und reichlich unmotiviert inszeniert ist. Schade, schade.

Ein Gefühl der Frustration beschlich mich, als ich den Saal verließ. Der Grusel war verflogen, die Illusion lag in Scherben. Das Gebäude entließ mich ohne Verzug, ich trat auf die Straße. Eine nüchterne Nacht umfing mich, ihre Luft kühl und klar. Ich blickte auf. Der unheimliche Nebel, er war verschwunden.


Endlich fertig: Das Kinojahr 2007

Hamburg, 30. Januar 2008, 05:15 | von San Andreas

Etwas spät dran, aber nicht zu spät: Wie jedes Jahr (hehe) präsentiert der Umblätterer eine umfängliche wie kurzweilige Phänomenologie des vergangenen Filmjahres – die Spitzenleistungen, die Instant Classics, die Beachtlichen, die Erwähnenswerten, die versteckten Perlen, aber auch jene Filme, die enttäuscht haben.

Das Panoptikum speist sich ausschließlich aus Filmen, die im Jahr 2007 ins deutsche Kino kamen. Ihre Auswahl orientiert sich sowohl am Rauschen im Medienwald, an der kritischen Resonanz in den Feuilletons als auch an meinem persönlichen, hoffnungslos subjektiven Urteil. Komplettisten werden allerdings das Nachsehen haben; die Simpsons fehlen, die Piraten ebenso, und auch Herr Potter hat sich entschuldigt.

Zur kommentierten Übersicht geht es hier bzw. direkt zu den einzelnen Titeln:

5 Sterne
»The Assassination of Jesse James …« (Andrew Dominik)
»The Bourne Ultimatum« (Paul Greengrass)
»Ratatouille« (Brad Bird)

4einhalb Sterne
»The Prestige« (Christopher Nolan)
»Atonement« (Joe Wright)
»Blood Diamond« (Edward Zwick)
»Zodiac« (David Fincher)
»Little Children« (Todd Field)   Perle!

4 Sterne
»Notes on a Scandal« (Richard Eyre)
»The Queen« (Stephen Frears)
»Gone Baby Gone« (Ben Affleck)
»The Last King of Scotland« (Kevin Macdonald)
»Eastern Promises« (David Cronenberg)
»Efter brylluppet« (Susanne Bier)
»Letters from Iwo Jima« (Clint Eastwood)
»Die Fälscher« (Stefan Ruzowitzky)
»Reign Over Me« (Mike Binder)   Perle!
»Stranger than Fiction« (Marc Forster)   Perle!

3einhalb Sterne
»3:10 to Yuma« (James Mangold)
»Vier Minuten« (Chris Kraus)
»La Tourneuse de pages« (Denis Dercourt)
»A Prairie Home Companion « (Robert Altman)
»Sicko« (Michael Moore)
»Irina Palm« (Sam Gabarsky)
»Waitress« (Adrienne Shelly)   Perle!
»Jesus Camp« (Heidi Ewing, Rachel Grady)   Perle!
»Junebug« (Phil Morrison)   Perle!

Enttäuschung
»The Golden Compass« (Chris Weitz)
»The Invasion« (Oliver Hirschbiegel)
»Spider-Man 3« (Sam Raimi)
»Death Proof« (Quentin Tarantino)
»The Good German« (Steven Soderbergh)
»The Number 23« (Joel Schumacher)


Science Fiction fürs Regal

Hamburg, 10. Januar 2008, 14:03 | von San Andreas

Heute beantworten wir wieder Leserbriefe. Gabi aus Bad Salzdetfurth möchte wissen, ob es neben »Blade Runner« noch andere tolle Science-Fiction-Filme gibt. Ja, Gabi, es gibt sie.

Das Genre ist freilich schwer zu greifen, vor allem weil SciFi häufig lediglich den Hintergrund bildet für Geschichten, die eher dem Horror- oder Actionfilm, der Komödie oder dem Drama zuzuordnen sind.

Was all diese Filme jedoch eint, ist das spekulative Element – sei das eine bestimmte Technologie oder Fähigkeit, ein alternativer Verlauf der Geschichte, die Erkundung unbekannter Welten oder der Kontakt mit fremden Lebensformen.

Beschränkt man sich auf solche Filme, die tatsächlich derlei Elemente als prominente Aufhänger haben, ergibt sich folgender – freilich unvollständiger – Reigen hervorragenden SciFi-Kinos.

Oldtimer (3) | Meilensteine (6) | Moderne Klassiker (3) | Erwähnenswert (5)

OLDTIMER

»Metropolis« (Fritz Lang, 1927). Der deutsche Expressionismus als Geburtshelfer des SciFi-Films – der Einfluss dieses Werks ist kaum zu überschätzen. Botschaft und Schauspiel sind nicht eben subtil, man sehe den Film tunlichst durch die historische Brille; aber selbst durch diese sind die Bauten und Effekte schier überwältigend.

»Things to Come« (William Cameron Menzies, 1936). H. G. Wells adaptierte seinen Roman höchstpersönlich, eine ausladende Vision über den Fortbestand der Zivilisation. Prophetisch wie Jules Verne, aber eher auf die nüchterne, idealistische, didaktische Art.

»The Day the Earth Stood Still« (Robert Wise, 1951). Eine rühmliche Ausnahme unter den haarsträubenden Invasionsszenarien der 50er Jahre. Ein kluges Script, eine zeitlose Botschaft, dazu der herrliche Score von Bernard Herrmann. Klaatu barada nikto!

Oldtimer (3) | Meilensteine (6) | Moderne Klassiker (3) | Erwähnenswert (5)

MEILENSTEINE

»2001: A Space Odyssey« (Stanley Kubrick, 1968). Kein Film, ein Ereignis. Ein Epoche machendes Kunstwerk, ein Trip kosmischen Ausmaßes, mysteriös und kontemplativ. Bilder von ausgesuchter Schönheit paaren sich mit einem ätherischen Soundtrack, erzielen schier außerweltliche Wirkung. Kein Kinowerk ist weiter über sich selbst hinausgewachsen – damals nicht, heute nicht.

»Solaris« (Andrei Tarkovsky, 1972). Die russische Antwort auf »2001«, so liest man gerne. Tatsächlich eine Lem-Story von 1961, die eher den inneren als den äußeren Kosmos thematisiert. Schwer meditativ, teils kryptisch. Während der endlosen Sequenzen horche man tief in sich hinein – begegnet einem eine große Leere, teste man vielleicht Soderberghs destillierte Remake-Version.

»Close Encounters of the Third Kind« (Steven Spielberg, 1977). Fraglos ein großes Stück Kino, das den Widerstreit zwischen Rationalem und Rätselhaftem anregend auf die Leinwand bringt. Ein immenser künstlerischer Erfolg für Spielberg, von Truffaut geadelt.

»Star Wars« (George Lucas, 1977). Lucas‘ Sternenepos ist nicht so gut gealtert wie »Encounters«, entwickelte sich jedoch mit all seinen Sequels/Prequels zu einer kulturellen Institution. Eine globale Mythologie, deren Helden nicht der Literatur entspringen, sondern direkt von der Leinwand stammen: erst mal nachmachen.

»Alien« (Ridley Scott, 1979). Meisterhafter Horror-SciFi-Thriller, dunkel poetisch, atmosphärisch dicht und ultimativ Angst einflößend. Das Raumschiff kein blinkendes High-Tech-Vehikel, sondern ein dreckiger Industrie-Koloss, die Insassen echte Menschen. Scotts geniale Choreographie steigert subtile Bedrohung in blanken Terror.

»Blade Runner« (Ridley Scott, 1982). Visionärer Überfilm, dessen differenzierte Metaphorik dem Premierenpublikum nicht auffiel. Heute gilt er vielen als der beste. Die Ästhetik arg düster, eine Spur prätentiös gar, aber in ihrer Konsistenz entwaffnend, gerade adäquat für profunde Fragen um menschliche Insolenz und Identität.

Oldtimer (3) | Meilensteine (6) | Moderne Klassiker (3) | Erwähnenswert (5)

MODERNE KLASSIKER

»The Matrix« (Andy & Larry Wachowski, 1999). Durch seine Sequels ein wenig in Misskredit geraten, bleibt »The Matrix« dennoch ein fulminanter Meilenstein des modernen Kinos. Ein berauschender Genre-Mix, berstend vor kinetischer Energie und innovativ im Stil. Was steckt hinter der ganzen Ästhetik? Substanz, wer hätt’s gedacht.

»Minority Report« (Steven Spielberg, 2002). Ein pulsierender, intelligenter future-noir-Thriller, der wie »Blade Runner« eher pessimistisch in die Zukunft blickt: Es lügt der Mensch, solang er strebt. Einfallsreich im Visuellen, nervenzerrende Spannungsspitzen, famos inszeniert. Kein Whodunit, sondern ein Whowilldoit!

»Children of Men« (Alfonso Cuarón, 2006). Dieses Juwel kam überraschend: eine ungeschminkte, vielschichtige Dystopie über eine infertile, desolate Zivilisation. Perfekt die Regie: Dramatische Plansequenzen bringen ein beispielloses Level an Authentizität.

Oldtimer (3) | Meilensteine (6) | Moderne Klassiker (3) | Erwähnenswert (5)

ERWÄHNENSWERT

»THX 1138« (George Lucas, 1971). Eine orwellsche Vision unserer Zukunft, kühl, minimalistisch und spröde, das komplette Gegenteil des Star-Wars-Pomp. Auch mal angenehm.

»Contact« (Robert Zemeckis, 1997). Gerne übersehen: feinsinnige, ruhige Verfilmung der Geschichte des großen Carl Sagan, die auch die Debatte Wissenschaft vs. Religion nicht scheut.

»Pi« (Darren Aronofsky, 1998). Aronofskys Debüt, so befremdend wie der frühe Cronenberg, so anspruchsvoll wie Nolan, so sperrig wie Lynch, so originell wie … wie Aronofsky.

»Primer« (Shane Carruth, 2004). Außergewöhnliche Low-Budget-Produktion um profitables Zeitreisen. Faszinierend authentisch gefilmt, gleichwohl inhaltlich beinahe unzugänglich. Für Mitdenker.

»War of the Worlds« (Steven Spielberg, 2005). Spielberg hält das Genre am Leben. Das eindrucksvolle Remake verleiht Wells’ politischer Parabel aktuelle Bezüge, setzt visuell neue Maßstäbe.

Oldtimer (3) | Meilensteine (6) | Moderne Klassiker (3) | Erwähnenswert (5)


25 Jahre »Blade Runner«

Hamburg, 20. Dezember 2007, 07:00 | von San Andreas

Manche Filme prägen einen. Sie beeinflussen die Art und Weise, wie man Filme sieht, öffnen einem die Augen dafür, was Filme vermögen. »Blade Runner« wurde aus eben jenem Meilensteinholz geschnitzt, vor nunmehr 25 Jahren, von Ridley Scott.

Science-Fiction-Filme altern nicht gut, heißt es. An »Blade Runner« aber scheint der Zahn der Zeit sich denselben auszubeißen. Zwar sehen wir in Scotts L.A. des Jahres 2019 klobige Monitore und beinahe gilliameske Apparaturen, aber die Technik-Vision stand nie im Vordergrund. Der Film entwirft eine Zukunft, in der der Umgang mit der Technologie Fragestellungen aufwirft, die zeitlos sind: nach Selbst-Bewusstsein, nach Identität, nach dem Menschsein schlechthin.

»Replicants are like any other machine. They’re either a benefit or a hazard. If they’re a benefit, it’s not my problem.«

Rick Deckard ist kein Philosoph; er macht nur seinen Job: durchgebrannte Replikanten ausschalten. Seine Weltsicht ist rigide, er selbst unzugänglich und ausdruckslos. Welch anregende Ambivalenzen ergeben sich allein daraus, dass die Archetypen des Films gegenläufig angelegt sind: Roy Batty, Deckards artifizieller Widersacher, hat ein überschäumendes Wesen, ist leidenschaftlich, poetisch. Wer von beiden ist menschlicher?

»Commerce is our goal here at Tyrell. More human than human is our motto. Rachael is an experiment. Nothing more.«

Um das potenziell gemeingefährliche Gemüt der neuen, intelligenten Generation von Replikanten besser kontrollieren zu können, implantierte Tyrell ihnen einen emotionalen Erfahrungsschatz – Erinnerungen. Auf diesem Polster wähnt sich Rachael, mangels besseren Wissens, ein Mensch zu sein. Ihr Bezugsrahmen unterscheidet sich im Grunde nicht von dem Deckards – wie kann sich Deckard im Umkehrschluss sicher sein, *kein* Replikant zu sein?

In der Tat gibt es Anzeichen, dass er einer ist, aber die Debatte schwappt konsenslos hin und her. Selbst Scott, Ford und Peoples (Drehbuch) sind sich uneins: Mal wird diese Intention geleugnet, mal eingestanden. Was wiederum auch folgerichtig ist; der Film befasst sich mit Fragen in Grenzbereichen des Urteilsvermögens; einfache Antworten verweigert er, ja muss er verweigern.

»I want more life, father.«

Ganz und gar allegorisch wird der Film, als Batty den Konzernboss Eldon Tyrell aufsucht – entspricht dies doch dem ureigensten Bedürfnis des Menschen, seinem Schöpfer gegenüberzutreten und ihn höflich um etwas mehr Lebenszeit zu bitten. Nexus-6-Replikanten haben nämlich eine Lebensdauer von vier Jahren, und sie betrachten ihr Enddatum mit Unmut. Denn mit der Selbsterkenntnis, mit dem Aufkommen einer emotionalen Existenz, beginnt auch das geistige Ringen mit dem Tod.

»I’ve seen things you people wouldn’t believe. Attack ships on fire off the shoulder of Orion. I watched C-beams glitter in the dark near the Tannhauser gate.«

Wer weiß schon, was C-Beams sind, oder wo sich dieses Tannhauser Gate befindet. Battys abstrakter Monolog fügt sich ebenso in die grandiose Schlusskonfrontation ein wie die weiße Taube und der strömende Regen – Elemente, die eigentlich gefährlich nah am Klischee gebaut sind. Aber bis dahin hat die Kraft des Films derlei Bedenken ausgehebelt. Zu fesselnd die Ästhetik, zu dicht die Assoziationen, zu hypnotisch der visuelle Rausch.

»Ah, kinship!«

Battys letzte Tat rettet Deckard das Leben – ein wahrhaft humaner Akt, der Feindbilder ins Wanken bringt und Deckard, der eine morbide Affinität für den Tod hegt, in gewisser Weise läutert. Er sagt kein einziges Wort, doch kulminieren in diesen Minuten Einsichten immenser Tragweite – auch für den Zuschauer. Es ist frappierend, wie der Stoff (Vorlage: Philip K. Dick, 1968) bioethische Sachverhalte derart eindringlich problematisiert, Jahrzehnte vor Dolly.

Wie jeder Film, der seiner Zeit voraus ist, wurde Blade Runner seinerzeit als unverständliches, trübsinniges Machwerk verkannt. Scott wurde genötigt, optimistischere Bilder ans Ende zu tackern (er verwendete »Shining«-Outtakes), und Ford, der schon während der Dreharbeiten schwere kreative Schlachten mit dem Regisseur zu schlagen hatte, sprach zähneknirschend einen peinlichen Off-Kommentar ein.

Der Film verlor an der Kinokasse gegen »E.T.«, aber als Warner merkte, dass die Zweitauswertung großen Erfolg hatte und vereinzelte Workprint-Screenings riesigen Zulauf verbuchten, wurde 1992 ein erneuter Kinostart anberaumt, mit einer Version, in der die unliebsamen Verschlimmbesserungen getilgt waren – der Director’s Cut war geboren, mittlerweile eine fast lästige Unvermeidlichkeit.

Für Verwirrung sorgten später abweichende US- und internationale Kinofassungen, merkwürdige Special Editions und neu geschnittene Fernsehfassungen. Den (vorläufigen) Schlusspunkt setzt dieser Tage der »Final Cut«, die definitive Version, gründlich gereinigt und mit etlichen Schönheitsoperationen versehen, natürlich ohne Off-Kommentar und mit dem Original-Ende: Die Fahrstuhltür schließt sich hinter Deckard und Rachael, Vangelis‘ herrliche »End Titles« grooven los, und in der Luft hängen noch Gaffs bittersüße Worte:

»It’s too bad she won’t live. But then again, who does?«


Evan Almighty

Hamburg, 19. Dezember 2007, 12:40 | von San Andreas

Dann sah ich gestern aus reinem Geigel diesen »Evan Almighty« mit Steve Carell. Dieses Monstrum von Komödie, Hunderte von Millionen hat die gekostet, wegen der vielen Effekte und der Riesenarche.

Der Film wurde von der Kritik regelrecht vernichtet. Man fragt sich, warum. Hierzulande bemängelte man, dass der Film nicht den Arsch in der Hose hat, dabei zu bleiben, dass die Flut eine ›Wrath of God‹-Geschichte ist. Morgan Freeman stammelt sich irgendeine Ausrede hin, und am Ende bricht sich alles auf diese kleine Family runter, und ein habgieriger Politiker (John Goodman) ist der Bösewicht, nee is klar.

Anyhow, DAS ist doch die Art von harmloser, überkanditelter Familienkomödie, die der Amerikaner abgöttisch liebt. Wenn man den Film für das nimmt, was er ist, macht er durchaus Laune. Ich meine, Carell baut da dieses riesige Boot im Hof, und ihm wächst ein halber Meter Noah-Bart, und er haut sich mit dem Hammer auf den Finger, und die Tiere des Planeten rücken ihm auf den Pelz – es gibt Unlustigeres.

Der herrliche Andy aus dem US-»Office« spielt einen wortverspielten Newsguy, und Wanda Sykes gibt wieder einmal die Wanda. Und mein Herz hüpft, wenn Noah, als die Wassermassen heranstürzen, ruft: »We’re gonna need a bigger boat!«


American Gangsters

Hamburg, 12. Dezember 2007, 12:10 | von San Andreas

Ridley Scott, versatiler Meilensteinfilmer (»Alien«, »Blade Runner«, »Gladiator«) und gelegentlicher In-den-Sand-Setzer (»G. I. Jane«, »White Squall«) nahm sich dieser Tage das Verbrechen zur Brust, das Verbrechen in Amerika. Zum einen drehte er »American Gangster«, die episch angelegte Geschichte von Frank Lucas, dem New Yorker Drogenboss, der die Stadt in den siebziger Jahren mit hochreinem Heroin überzog und neben dem einen oder anderen Mord zig Drogentote auf dem Gewissen hat.

Zum anderen produzierte Scott »The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford«. Der Titel trocknet einem den Mund aus, ist aber hervorragend gewählt. Im Stile der Presseschlagzeilen der 1870er Jahre gibt er das Verhältnis wieder, das Amerika zu einem der bekanntesten Bandenführer seiner Geschichte hat. Jesse James wurde nicht einfach nur erschossen – auf ihn wurde ein Mordanschlag verübt. Und der Mann, der ihn zur Strecke brachte, war kein Held, sondern ein Feigling.

Vordergründig behandeln beide Filme die Karrieren berühmt-berüchtigter amerikanischer Krimineller und deren jeweiliges Ende – Knast in dem einen, Ableben in dem anderen Fall. Sie eröffnen aber auch Einsichten in die Funktionalität amerikanischer Mythenbildung, und insbesondere die dabei auftretenden Ambivalenzen.

»The Assassination …« beobachtet die Transformation eines Verbrechers in einen Helden, sucht dabei die psychologische Nähe zu dessen schlussendlichem Mörder, Robert Ford, der sich in der Wahrnehmung seiner Mitmenschen wiederum vom anerkannten Erlöser zur verhassten Spottfigur wandelt. Wie konnte es passieren, dass das, was wir Ehre nennen, einem Banditen zugesprochen, seinem Eliminierer aber entzogen wurde?

Gut, Robert Ford (eine Offenbarung: Casey Affleck) war ein schmieriger Emporkömmling, der seinen Chef denunzierte und hinterrücks erschoss – das galt als unschicklich. Ausschlaggebender für den schlechten Stand seiner Tat war jedoch vielmehr der gute Stand des Jesse James. Seine Bande war aus den Guerilla-Bewegungen in den letzten Tagen des Bürgerkrieges hervorgegangen, und seine Überfälle wurden in der Presse politisiert, instrumentalisiert, glorifiziert. In den Händen der Medien taugt jeder zum Held: Jesse James wurde ohne sein Zutun zum amerikanischen Robin Hood.

Im Film stehen diese Erkenntnisse nicht im Vordergrund, aber er lässt einem viel Zeit, über derlei Zusammenhänge nachzudenken. Die Sequenzen tasten sich langsam an die Charaktere heran, machen James‘ wachsenden Verfolgungswahn ebenso erfahrbar wie Fords linkische Versuche, seinem Idol näher zu kommen, demgegenüber er abwechselnd grenzenlose Bewunderung und zermürbenden Neid empfindet.

Andrew Dominik (Regie) zeichnet ein realistisches Bild des gar nicht so glamourösen Banditenlebens. Auch wenn Jesse James in seinem Quasi-Exil einen gehobeneren Lebenswandel führt, zerstört sein gebrochener Charakter jegliche Idylle. Ungeachtet dieser nüchternen Authentizität entwickelt der Film eine kontemplative Poesie, wie man sie vielleicht noch aus Malicks »Days of Heaven« kennt. Über jeder Szene schwingt eine schicksalsschwere Note, die auf den Showdown hindeutet, dessen Ausgang bereits zu Beginn des Films klar ist.

Insofern konstruiert der Film keine klassischen Spannungsbögen, ebenso geizt er mit Revolver-Action. Spannung erzeugt er einzig über die vielschichtigen Beziehungen seiner Charaktere, die Doppelböden in ihren Gesprächen, den Hintersinn in ihren Blicken. Ein psychologisches Drama zeitloser Klasse, einer der besten Filme des Jahres.

Hoffnungsträger dieser Kategorie war ebenfalls »American Gangster« – das Werk überzeugt auch, aber nicht auf ganzer Linie. Scott hat sich zwar von der visuellen (Über-)Ästhetisierung seiner Anfangsjahre gelöst und einem eher authentischen Filmentwurf zugewandt, was den Figuren gut tut. Aber dieser Film, so sorgfältig er das illegale Geschäft im alten New York auch rekonstruiert, verschenkt die Chance, wirklich mehr zu sein als lediglich ein Abbild desselben.

Man darf dem Film vor allem vorwerfen, dass er Frank Lucas mit ethischer Indifferenz behandelt, als gewöhnlichen, wertebewussten Kapitalisten mit einer tollen Geschäftsidee (die Ware direkt beim Hersteller beziehen und billiger als die Konkurrenz verticken). Vielleicht rührt diese laxe Moral ja daher, dass Amerika mit dem Kriminellen tatsächlich vergleichsweise milde verfahren war. Weil er Mittäter und korrupte Beamte verpfiff, wurde Lucas schon nach fünf Jahren aus der Haft entlassen (Urteil: 70 Jahre).

Dabei half kurioserweise der Polizeibeamte, der ihn hinter Gitter gebracht hatte, Detective Richie Roberts (anständig verkörpert von Russell Crowe). Die beiden Männer pflegen heute eine innige Freundschaft und freuen sich bestimmt, dass Hollywood ihre Geschichte auf die Leinwand bringt. Frank Lucas ließ es sich auch nicht nehmen, jeden einzelnen Drehtag am Set zu sein, um Denzel Washington zu zeigen, wie man jemandem herrlich das Hirn wegpustet.

Das mag eine vortreffliche Authentizität ergeben, der Erkenntnisgewinn über das historisch-dokumentarische Element hinaus bleibt dennoch einer aus zweiter Hand. »American Gangster« wird zum Ausdruck einer apologetischen, mythisierenden Faszination für das Verbrechen, scheint sich dessen aber nicht bewusst zu sein – im Gegensatz zu »The Assassination …«, der diesen Prozess eben nicht betreibt, sondern analysiert.

»American Gangster« bleibt immer noch ein Stück großes Kino – für den Moment. »The Assassination …« bleibt das auf Jahre hinaus.