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Curb Your Enthusiasm: 6. Staffel, 10. Folge

Hamburg, 5. Dezember 2007, 08:05 | von San Andreas

Die schwierige letzte Folge also. Normalerweise ein Grund zur Betrübsamkeit, aber wir wissen ja: Larry macht weiter. Und nach dieser letzten Episode verbleibt der geneigte Zuschauer mit einem Hochgefühl, wie man es noch aus den besten Zeiten der 3. oder 4. Staffel kannte. Larry leaves on a high note, wie weiland sein alter ego George Costanza (Seinfeld 9.16).

»The Bat Mitzvah« ist eine Episode von herber Frische; sie strotzt vor wahnwitzigen Ideen, schwelgt in den dramatischsten Zuspitzungen und lässt so manches Tabu ramponiert links liegen. Ihren Inhalt kann man folglich nur gegenüber abgehärteten CYE-Adepten andeuten; unbedarfte Leute mögen auf die Abstrusitäten, die da passieren, mit Befremden reagieren.

Als wüssten wir nicht schon genug über Larrys Intimsphäre, dringt die Geschichte diesmal in die Gefilde der Gastroenterologie ein – eine Thematik, die in Sitcoms ein eher scheues Dasein führt. Obwohl, wir erinnern uns, dass »The Fusilli Jerry« (Seinfeld 6.21) gewisse proktologische Tendenzen aufwies, wenn auch deutlich appetitlicher, denn es ging um kunstvoll arrangierte Pasta.

An dieser Stelle würde es vermutlich den Rahmen sprengen, en detail nachzuvollziehen, wie es dazu kommt, dass zum Ende der Episode ganz Hollywood davon überzeugt ist, Larry David würde ein Nagetier aus der Familie der Rennmäuse bei sich tragen, und zwar dort, wo die Sonne nicht scheint. Es muss ein gutes Drehbuch sein, das den Weg dorthin auf plausible Weise konstruiert; die besten Geschichten sind ohnehin immer jene, die beim Nacherzählen entweder schrecklich kompliziert oder aber schrecklich banal wirken.

Jedenfalls treffen wir Larry beim Gastroenterologen, und nach alter Manier ereifert er sich zunächst leidenschaftlich über die Wartezimmermodalitäten. Er tat ähnliches bereits in der allerersten Staffel (Folge 1.05, »Interior Decorator«), wo er sich außerdem mit einer obstinaten Leidensgenossin überwarf. Das ist diesmal nicht der Fall: Larry – unbeweibt – umflirtet heftig seine Sitznachbarin, die auch anbeißt und ihm im Laufe der Episode Gesellschaft leistet – bis zum unvermeidlichen Zerwürfnis.

Besagtes Gerücht aber entsteht, als sich die Ärgernisse im Behandlungszimmer fortsetzen. Larry – und das ist wieder ein Fall bestürzender Ironie im LD-Martyrium – setzt es höchstselbst in die Welt, weil er eine inquisitorische Arzthelferin zu foppen sich nicht bremsen kann. Sofort nimmt das Schicksal seinen Lauf, die Kunde verbreitet sich mit schmerzlicher Unausweichlichkeit, denn Larry verscherzt es sich natürlich ausgerechnet mit potentiellen Multiplikatoren.

Fortan sammelt Larry kalte Schultern bei Bekannten, erntet scheele Blicke auf der Straße. Als ihn ein Fremder im Vorbeigehen voller Abscheu mustert, erklärt Richard Lewis dem fassungslosen Larry in seiner bekannt trocken-schnodderigen Art: »He’s read Gerbil Magazine, and you’re fucking on the cover.« An dieser Stelle darf man ruhig mal laut lachen.

Wie bitter dann aber die Enttäuschung für Larry, als Richard, den er vertrauensvoll über seine rückwärtige Anamnese in Kenntnis setzt, davon nichts wissen will, die Nähe zu Larry scheinbar rein körperlich nicht mehr ertragen kann und ihn einfach stehen lässt.

Diese tragische Note, diese ungerechte Härte des nonkonformen Lebens ist das prägende Element der ganzen Serie. Larry hat nicht einfach nur Pech. Er sträubt sich gegen allgemeine Übereinkünfte und eckt dabei an, bringt verhängnisvolle Kausalketten in Gang, weil er nicht bereit ist – mal aus Bedenkenlosigkeit, mal aus Charakterstärke – gewissen Normen Genüge zu tun. Und deswegen ist Larry unser Held. Ein tragischer zwar, und nicht ohne Mitschuld, aber ein Held.

So sind wir auch voller Verständnis, wenn Larry sich in seiner Verzweiflung an die versammelte Gesellschaft auf Sammie Greenes Bat Mitzvah wendet, um jenes unliebsame Gerücht aus der Welt zu schaffen. Die Gelegenheit ist natürlich nicht besonders glücklich gewählt, und warum er es auch noch für richtig hält, coram publico über seine tatsächlichen rektalen Beschwerden zu referieren – Mensch, Larry!

Pikierte Blicke allerorten. Derlei Sachen sagt man nicht, so die gesellschaftliche Abmachung. Das sozialkritische, entlarvende Element bei CYE sei nicht zu unterschätzen. Der Protagonist Larry David nimmt ja nicht zum Spaß jedes Fettnäpfchen mit, er geht ihnen für uns auf den Grund. Denn vielfach sind damit verkrustete Tabus verbunden, hohle Konventionen, Fälle von kollektiver Heuchelei, falsch verstandener political correctness.

Der Macher Larry David zieht die Fäden, und er geht mit einer Chuzpe zu Werke, die bisweilen atemberaubend ist. In dieser Folge bringt er einen zerebralparetisch beeinträchtigten Mann ins Spiel, was allein schon ein Wagnis darstellen mag, gerade im US-TV. Das Unerhörte nun aber ist, dass jener Mann seine Behinderung nur vortäuscht, um zügig an Kinokarten zu kommen. Überraschend: Protagonist Larry macht kein Fass auf, sondern zieht den Hut.

Es ist entweder diese unbekümmerte Bewunderung oder die totale Verzweiflung, die Larry dazu bringt, entgegen etwaiger moralischer Bedenken dem Beispiel des Mannes zu folgen: Um einen potentiellen Büronachbarn zu vergraulen, mimt er den sprachgestörten Spastiker. (Ziemlich überzeugend sogar, muss man sagen.)

Jaw-dropping und mind-boggling ist diese Szene, weil sie auf so vielen Ebenen Resonanzen provoziert. Zunächst befällt einen unwillkürlich jene Befangenheit, die man beim Umgang mit körperlich/geistig Eingeschränkten oft entwickelt. Die abgegriffene Metapher ›Der Gesellschaft den Spiegel vorhalten‹ nutzt man nur ungern, aber sie trifft nun mal den Kern: Der Zuschauer ist beschämt, dass er wahrscheinlich ganz genauso reagieren würde wie Larrys Opfer.

Freilich fährt »Curb« niemals eine eingleisige Betroffenheitsschiene. Diese betretene Empathie wird nämlich postwendend ausgehebelt von der Entrüstung über die Skrupellosigkeit dieser schändlichen Maskerade. Selten hat sich unser Held dermaßen unverschämt Vorteile verschafft. Andererseits überrumpelt einen die Szene auch mit einem unübersehbar komischen Element – jedoch fragt man sich: Darf ich lachen?

Auf einer Meta-Ebene entzückt ferner die Unverfrorenheit, mit der der Macher Larry David gleich mehrere Tabus torpediert. All das ergibt eine haarsträubende Karambolage von empörender Anstößigkeit, possenhafter Komik, eigenem Schuldbewusstsein und entwaffnender Impertinenz. Wo sonst im Fernsehen bekommt man solch einen anregenden Mix?

Die Strafe für Larrys unbotmäßiges Verhalten folgt natürlich auf dem Fuße. Ein indirekt Betroffener erwischt ihn und schwört fürchterliche Rache: Er werde Larrys peinliches Nagetierproblem, von dem er über Umwege erfahren hat, in großem Stile publik machen. Womit wieder einmal zwei Handlungsstränge, einer absonderlicher als der andere, nahtlos ineinanderklicken.

Die Abstrusität der Geschehnisse, die einem eigentlich erst bewusst wird, wenn man genau darüber nachdenkt, erinnert stark an die überkanditelten Episoden der 8. und 9. Staffel von »Seinfeld« (man denke nur an »The Muffin Tops« oder »The Butter Shave«). Nun sind das unpassenderweise eben jene Staffeln, bei denen Larry David nicht mehr mitgemischt hat. Aber vielleicht ist dieses Überborden eine natürliche Entwicklung in Sitcoms, die sich ›Nothing‹ auf die Fahnen schreiben oder, etwas genauer, die Tücken des Alltags und die Stolpersteine des Miteinanders.

Nach einer gewissen Anzahl von Staffeln und mit einem gewissen Grad an Erfolg beginnen Autoren gern, mit etablierten Charakteren herumzuspielen, sie in immer extremeren Situationen auszutesten. Die »Seinfeld«-Schreiber bekamen zuletzt jeden noch so fantastischen Wunsch erfüllt (und bezahlt), sie erweiterten Jerrys Universum um eine ganze Reihe bizarrer, aber wunderschöner Blüten.

Larry David verwirklicht diese Tendenz in seiner One-Man-Show bis zum Exzess. Er zelebriert die unangepasste Lebensweise seines Protagonisten regelrecht, feiert dessen Marotten und ihre Konsequenzen. Beim Erfinden der Geschichten genehmigt er sich immer mehr Extravaganzen, strapaziert mitunter bewährte Drehbuchformeln aufs Ärgste.

Dieser Manierismus mag in sich die Gefahr der schleichenden Entfremdung zwischen Macher und Protagonist bergen – wir hatten zwischendurch manchmal das Gefühl. Aber Larry David, der Macher, ist tatsächlich noch weit von selbstzweckhafter Künstelei entfernt, so dass Larry David, der Protagonist, so bleiben darf, wie er ist – obwohl das Schicksal ihm diesmal einiges abverlangt.

Die 6. Staffel transportiert den im Grunde menschenscheuen Larry in die unmittelbare Nähe einer fremden Familie (den Blacks) und entzieht ihm als Freund häuslicher Geborgenheit in einem zweiten Schritt auch noch den Lebenspartner (Episode 7).

Das sind folgenreiche Zäsuren, die die narrativen Nährböden für eine Vielzahl fabelhafter Verwicklungen bilden, unnachahmlich verschachtelte Handlungsebenen, die sich auf wundersame Weise immer wieder selbst befruchten und bedingen. Dass wir uns in diesem Chaos immer noch selbst wieder finden, verdanken wir Larry Davids untrüglichem Gespür für alles, was uns aufregt, entzückt, eingrenzt, belustigt, nervt, verwirrt und erbittert auf dem Schlachtfeld des täglichen Lebens.

Der Umblätterer über andere »Curb«-Episoden:
Season 6: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10
Season 7: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10


Curb Your Enthusiasm: 6. Staffel, 7. Folge

auf Reisen, 30. Oktober 2007, 03:05 | von San Andreas

Mag sein, dass wir nach fünf Staffeln hypersensibel auf gewisse »Curb«-Formeln reagieren oder gar die eigene Ermüdung oder schlechte Tagesform der Serie ankreiden; stellenweise beschlichen uns aber Zweifel, ob die neuen Folgen die Klasse hatten, die wir erhofft hatten. Folge 7 nun wischt diese Zweifel erst einmal wieder weg.

Fulminant schon der Einstieg, das aufregende Telefonat zwischen Larry, der Besuch vom schwer zu bekommenden TiVo-Repairman hat, und Cheryl, die in einem vom Absturz bedrohten Flugzeug sitzt (aufwendig gefilmt, mein lieber Mann!) und angsterfüllt Abschied nehmen will. Larry beendet das Gespräch, und Cheryl hernach die Partnerschaft.

Eine große Zäsur, und man fragt sich, was das für Konsequenzen für die Serie haben wird. Schließlich schlagen sich fast alle Freunde des Paares auf Cheryls Seite, wie Larry zu seinem Verdruss im Laufe der Episode feststellen muss. Und nicht nur Freunde, nein, auch Restaurants und Reinemachefrauen.

Doch er trägt das mit Fassung und findet sogar die Nerven, sich mit dem Für und Wider von Herrenunterwäsche ohne Eingriff oder den Reservierungs-Gepflogenheiten von Nobelgaststätten auseinanderzusetzen. Von Trauer keine Spur.

Wir wussten bereits, dass Larry es vorzöge, seiner Frau nicht unbedingt über den Tod hinaus treu bleiben zu müssen. So wundert es nicht, dass er sofort nach Cheryls Abfuhr beginnt, seine Fühler auszustrecken – dumm nur, dass ihm ein skrotaler Zwischenfall einen Strich durch die Rechnung macht.

Dieser Zwischenfall wirkt wie Larrys seltsamer Klo-Hörsturz in Episode 6.04 arg konstruiert, und die Improv-Ästhetik der Show vermag das auch kaum noch zu kaschieren. Doch diese fast zwanghaft in tabulastigen Gefilden angesiedelten Drehbuchkrücken gehören mittlerweile zum LD-Repertoire, man muss sie wahrscheinlich einfach mal so hinnehmen.

So schließt sich dann auch der Kreis zur Unterwäsche des neuen Verehrers von Cheryl, und wir bekommen obendrein ein phänomenales Schlussbild serviert, das einem lange im Gedächtnis bleibt. Leider, möchte man sagen, denn es ist kein Bild für die Götter.

Obwohl Larry in diesem Schlussbild als lädierte, gebeutelte Existenz erscheint – die 6. Staffel zeigt gern mal einen Larry, der an Selbstsicherheit gewonnen hat. Er ist nicht mehr nur Spielball des Schicksals und Opfer der Tücke des Objekts. Immer öfter nimmt er das Zepter selbst in die Hand, pflaumt lautstark Leute an, geht sogar der Senatorin ans Revers, und vergilt genüsslich Gleiches mit Gleichem.

Diesmal geradezu emblematisch in einer starken, überaus köstlichen Szene, in der Larry einem Freihandtelefonierer, dem überhaupt nichts peinlich zu sein scheint, kräftig den Abend verdirbt. Wer war nicht schon irritiert von diesen wichtigen Herrschaften, die in aller Öffentlichkeit laut ins Leere labern und sich zunächst nicht von einem lamentierenden Dorftrottel unterscheiden. Larry sagt: »To the outside observer, it’s the same level of annoyance.« True, so true.

Der Umblätterer über andere »Curb«-Episoden:
Season 6: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10
Season 7: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10


Böse Räume, böse Zellhaufen:
»1408« und »The Invasion«

Hamburg, 26. Oktober 2007, 09:47 | von San Andreas

Von Zeit zu Zeit lohnt es sich, in den kleineren Kinosälen nach Filmperlen zu fischen, da verstecken sich manchmal kleine, feine Genre-Filme. Meist klein, selten fein, muss man sagen, aber das ist Berufsrisiko.

Die Synopsis der King-Verfilmung »1408« ließ mich gleich an Mr. Halloran denken, wie er seinerzeit den kleinen Danny im Overlook-Hotel warnte:

»There ain’t nothin‘ in Room 237. But you ain’t got no business goin‘ in there anyway. So stay out. You understand? Stay out.«

Das war 1980, »The Shining«. Anno 2007 nun wird John Cusack, seines Zeichens Spuk-Guide-Verfasser, ans Herz gelegt, er möge um Gottes Willen von Zimmer 1408 fernbleiben. Sam Jackson gibt den distinguierten Hotelmanager, dem nur einmal, als Zugeständis an die Fans seiner coolen Sprüche, ein herzhaftes »It’s an evil fucking room.« entfleucht.

Die Warnung wird freilich tunlichst ignoriert, und die Reihe blauer Wunder, die der Gast in Zimmer 1408 erlebt, sind gruseltechnisch überaus effektiv realisiert. Die üblichen Schockmomente aus der Klischeekiste glänzen durch Abwesenheit, an ihrer Stelle gibt es klirrenden Suspense, trockenen Humor, die eine oder andere haarsträubende Überraschung und das wohlige Gefühl des Abdriftens in eine Welt, in der alles möglich scheint.

Der Film packt es tatsächlich, das typische King-Feeling auf die Leinwand zu bringen. Wer erinnert sich nicht: diese fantastischen Geschichten, die wir damals als Halbwüchsige verschlungen haben, die unumwundene Bewunderung für ihren Autor – welche wir heute gern in Abrede stellen.

Aber jeder sollte seine Stephen-King-Phase gehabt haben; sie ist unschätzbar als kribbelnde Initiation in die Welt der Fiktion, in menschliche Abgründe und aufregende Grenzwelten. Und was wäre das Kino ohne die rund 75(!) King-Adaptionen, darunter neben »The Shining« Meisterstücke wie »Misery«, »The Shawshank Redemption«, »Stand by me« und »Carrie«. King-Serientäter Frank Darabont (»Shawshank«, »Green Mile«) hat nun »The Mist« verfilmt, eine meiner Lieblingsgeschichten von damals über eine mysteriöse Gefahr in einer Nebelbank …

Im Film »The Invasion« kommt die Gefahr aus den Tiefen des Alls, eine parasitäre Intelligenz, die Persönlichkeiten ausradiert und aus Menschen seelenlose, gleichgeschaltete Existenzen macht. Die Story (Jack Finneys »Invasion of the Body Snatchers«) wurde schon oft erzählt; sie gilt als Klassiker der metaphorischen SciFi. Die berühmteste Version von 1956 entwickelte als Spiegel der McCarthy-Ära profunde Bezüge – ob das von den Machern gewollt war oder nicht.

Oliver Hirschbiegel, eigentlich unser Mann für starken historischen und psychologischen Tobak (»Das Experiment«, »Der Untergang«), hat in seinem Neuaufguss die Chance auf gesellschaftskritische Doppelböden nun leider vollständig vergeben. Er injiziert dem Stoff stattdessen eine halbgare Moral, die nach hinten losgeht: In einem gestelzten Tischgespräch ergehen sich Quasi-Intellektuelle in einem Lamento über die Niedertracht des Menschen, seine Kriege und Laster.

Der Gegenpol dieser nichtsdestoweniger *normalen* Umstände, das sind in der Realität humanitäre, pazifistische Bewegungen, im Film sind das – Achtung! – die seelenfressenden Invasoren, die ja nebenbei auch sämtliches Unbill beseitigen. Diese Gleichsetzung kann so nicht gemeint sein, steckt aber im Film drin und spricht für dessen Nachlässigkeit in vielen Belangen.

Hirschbiegel mag nicht der Alleinverantwortliche sein; wie man hört, fanden extensive Nachdrehs unter der Regie von James McTeague statt. Vielleicht veranlasste der auch die lachhaften Animationen von bösen Zellhaufen in der Blutbahn.

Die Kidman ist gut, aber Daniel Craigs Rolle besitzt auch vor ihrer Infektion keine bemerkbare Persönlichkeit. Was bleibt, ist eine brave Nacherzählung, so solide wie überflüssig (Slate: »the poor man’s version of suspense«). Man halte sich an das Original, und wer kein schwarz/weiß kucken mag, schaue sich Philip Kaufmans exzellente 1978er Version an, den seltenen Fall eines kongenialen Remakes. Allein wenn ich da an diese eine schaurige Szene mit Donald Sutherland denke … aaah, the horror, the horror!


All you Zombies

wieder in Hamburg, 27. September 2007, 23:43 | von San Andreas

Eben erst der Maschine aus Madrid entstiegen, praktisch noch den halben Cortado in der Hand, und sofort ins Kino geflitzt, hurtig das Programm gescannt und zack! im Sessel versunken.

Es soll ja Leute gegeben haben, die in der Hektik den Film »28 Days« (Bullock-Dramödie) mit »28 Days later« (Zombie-Horror) verwechselt und eine böse Überraschung erlebt haben. Den Fehler werden sie bei dem angenehm sinnfällig betitelten Sequel »28 Weeks later« nicht noch einmal machen.

Geboten wird allerdings dasselbe: Wutgeifernde, blutdurstige Virusopfer ziehen gegen Überlebende in einem entvölkerten London. Danny Boyle hat den Regiestuhl abgegeben, wohlwissend, dass der Novitätsabschlag seinem Ruf als Runderneuerer nicht eben zuträglich gewesen wäre. »Days« hatte seinerzeit das in Nischen dahindarbende Horrorgenre mit, nun ja, frischem Blut versorgt.

Wie erquicklich war es, als die dumpf dahinwankenden Romero-Zombies per Boyle-Update zu fiesen, flinken, hochinfektiösen Psychopathen mutierten, während das Pandemie-Szenario zeitgenössische Ängste reflektierte und den Film durchaus in die Nähe postapokalyptischer Perlen wie »Twelve Monkeys« oder »Mad Max« rückte.

Ungemein attraktiv natürlich allein die Prämisse, einen Menschen in einer eben noch pulsierenden Metropole auf sich allein gestellt zu sehen. Boyle verzettelte sich allerdings ein wenig im letzten Drittel; die Handlung in diesem Militärcamp litt an einer allzu fahrigen, gewollt provokanten Dramaturgie.

Gerade dieses Thema – ›Moralinstanz Militär‹ – setzt sich in der Neuauflage fort. Zunächst treten die Streitkräfte als Retter und Wiederaufbauer auf, dann, als das Virus erneut ausbricht und unter den Überlebenden fröhliche Urständ feiert, als Verantwortliche unter moralischem Zugzwang: Will man die Menschheit retten, muss getötet werden.

Doch die Grenze zwischen Infizierten und Gesunden verschwimmt aus der Distanz des Zielfernrohrs. Dies kann man als politischen Kommentar lesen, Irak und so weiter, muss man aber nicht. Es ist dennoch bezeichnend, dass die drastischsten Szenen des Films von uniformierten Helfern ausgehen: Massentötungen mit schwerem Gerät, aber leider – o Dilemma! – nicht zu vermeiden.

Dankenswerterweise stilisiert der spanische Regisseur Fresnadillo die Metzelgewalt so, dass sich ihr verstörendes Potenzial in Grenzen hält und der Film auch nicht zum billigen Guts’n’Gore-Verschnitt gerät. Die verwischten Stakkato-Montagen ergeben zusammen mit dem hypnotischen Soundtrack manchmal sogar eine ganz gefällige Filmerfahrung. Die »Welt« hält sie sogar für Annalen-würdig.

Den dramatischen Rest des Films bildet die Geschichte einer Familie, die durch eine tragische Kette von Infizierungen arg dezimiert wird. Im Grunde erschütternde Schicksale, die aber mit der genre-üblichen Lapidarität abgehandelt werden, nach dem Motto »Daddy ist jetzt einer von denen? Hmm … schade eigentlich.«

»Weeks« strebt wie sein Vorgänger nach Authentizität, sei es durch die Abwesenheit von Stars oder durch die Einbeziehung des desolaten Stadtgebiets. Dennoch wirkt die Fortsetzung größer, gewaltiger, geschliffener, und ihr Pech ist, dass auch ihre Schwächen größer und gewaltiger wirken.

Was bleibt, ist eine immer noch akzeptable Verquickung von Fantastischem aus den Archiven des Horrorgenres mit realen Ängsten vor virulenten Gefahren. Weniger beklemmend als unterhaltsam, ein leidlich origineller Adrenalinrausch aus der Splatter-Ecke, der weitaus verträglicher ausfällt als die andere neue, eher bedenkliche Blüte der Sparte: ›Torture Porn‹ made in USA.

Die Combo aus Apokalypse und Monstermovie erfährt bald weitere Variationen: Will Smith sieht sich auf sich allein gestellt in der Nicht-kleckern-sondern-klotzen-Produktion »I am Legend«, während Kidman und Craig in »The Invasion« wie weiland Wynter und McCarthy gegen böse Body Snatchers antreten. Und irgendwann – ich verwette meine ABC-Schutzmaske – kommt bestimmt auch »28 Months later«.


Curb Your Enthusiasm: 6. Staffel, 2. Folge

Madrid, 20. September 2007, 12:14 | von San Andreas

Nachdem wir am Samstag aus dem Prado heraus waren (Patinir war noch sehr gut, siehe auch »Die Welt« von neulich), gingen wir zu einem Albóndigas-Wettessen. C’etait le fun, soviel kann man sagen, auch weil Dique ständig Marty Funkhouser in Äppsoht 6.01 imitierte:

»Come on, guys, you’re SUPPOSED TO BE HERE, you have NO OTHER PLANS.«

Die »Curb«-Spezialwochen wurden dann zwei Tage später fortgesetzt. Wir saßen mit einigen »Curb«-Leuten vor dem Bigscreen eines ungenannten Hotels und sahen Folge 2. Eine sehr gute Folge 2, Titel: »The Anonymous Donor«, mit wieder starken Konzepten:

– jerking off at a friend’s house
– anonymous generocity, but everybody knows
– the Dry Cleaner’s law
– the playful-platonic hit
– the KKK ghost game

Ein paar schöne Zitatoes:

– »That’s just the unwritten law of dry-cleaning.«
– »I’ll have your semen-covered blanket ready on Wednesday.«
– »Never had a wing before.«
– »I will temporarily lift the ban.«
– »People should know you’re Anonymous.«

Und mein Lieblings-Larry-Laut in der Folge ist zu hören, als Susie mit der Puppe reinkommt und sagt: »This is a new low, even for you, Larry.« Da macht er so ein herrliches Geräusch, in dem alles liegt: die Verwunderung, dass Susie reinschneit, den Widerwillen, irgendeinen Mist rechtfertigen zu müssen, den er getan haben soll, den festen Vorsatz, sowieso alles zu leugnen, den Ärger, dass Susie sein Spiel unterbricht, und überhaupt alles andere. Great acting.

A flirtatious tap for all of you, und helau Paco, wo bleibt eigentlich der Aufregerbeitrag zum SZ-Artikel von Jochen Schmidt? Eile ohne Weile, sonst mach ich das!

Der Umblätterer über andere »Curb«-Episoden:
Season 6: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10
Season 7: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10


Bourne again

auf Reisen, 11. September 2007, 03:08 | von San Andreas

Dritte Teile haben es bei Kritikern meist schwer. Oft gilt der erste Teil als der gelungenste (»Alien«, »Matrix«, »Jaws«), manchmal auch der zweite (»Godfather«, »Spider-Man«), sehr selten aber der dritte (»LOTR«?). Die Sache ist die: Rezensenten werden einer Sache schnell überdrüssig, sie ermüden angesichts derselben Gesichter in denselben Rollen und haben böse Wörter wie ›Aufguss‹ und ›Geldschneiderei‹ fix bei der Hand.

Bei abgeschlossenen Trilogien hingegen profitiert das Threequel von einem Bonus, denn hält der Film das Niveau und erzählt er die Geschichte vernünftig und womöglich fulminant zu Ende, verschafft er das befriedigende Gefühl von ›closure‹: Der Rezensent kann Rückschau halten und die Filmschaffenden mit einem jovialen ›Bravo!‹ in neue Projekte entlassen.

Wie allerorten zu lesen, schlägt dem Finale der »Bourne«-Trilogie eben jenes Wohlwollen entgegen, ein überbordendes sogar, und das, liebe Kritiker, auf jeden Fall und ohne jeden Zweifel vollkommen zu Recht. Damon und Greengrass laufen zur Höchstform auf, führen die Story um die Identität des Jason Bourne stilsicher und unerhört kraftvoll zu ihrem Höhepunkt und Abschluss, wobei sie die beiden ersten Teile in punkto Spannung und Turbulenz scheinbar mühelos übertreffen.

Was lässt »Bourne« über den 08/15-Actioner von der Stange hinauswachsen? Manche (z. B. Hanns-Georg Rodek in der »Welt«) sehen das Besondere in der Konstruktion der Geschichte: Der Agent erfüllt nicht länger Aufträge des Geheimdienstes, sondern wendet sich gegen seine Organisation und löst kraft seiner antrainierten Fähigkeiten ein persönliches Trauma.

Gut, aber in der Rolle des abtrünnigen Geheimdienstlers sahen wir u. a. bereits Robert Redford (»Three Days of the Condor«), Gene Hackman (»The Conversation«), Tom Cruise (»Mission: Impossible«) oder erst kürzlich Ulrich Mühe (»Das Leben der Anderen«).

Das Geheimnis liegt vielleicht auch im Subtext verborgen, im Konzept ›Identität‹, das alle drei Filme umspannt. Eine Identitätskrise, ein Prozess der Selbstfindung, sonst in leisen Dramen abgehandelt, hier ungewöhnlicherweise im kreuzgefährlichen Umfeld mörderischer Geheimdienstoperationen.

Perfiderweise lebt oder lebte der Held gleich drei Identitäten: zum einen jenen an Amnesie leidenden Namenlosen, zum anderen Jason Bourne, und schließlich David Webb. Die Entscheidungen, Handlungen und Motivationen jeder einzelnen dieser Identitäten ergeben ein Geflecht von Schuld und Verantwortung, das die Filme durchzieht und ihnen bei aller Haudrauf-Action Resonanz auf moralischer Ebene verschafft.

Auch in punkto Machart bricht »Bourne« Konventionen: Die geschliffene Ästhetik gängiger Agentenfilme weicht einer spröden, ruppigen, ungeschönten Wahrhaftigkeit. Der erste Film, inszeniert von Doug Liman, setzte da in den schmuddeligen, neonbeschienenen Hinterhöfen Berlins Zeichen.

Und Paul Greengrass, ein Mann für anspruchsvolle, an die Nieren gehende Kost mit dokumentarischem Einschlag (»Bloody Sunday«, »United 93«) perfektionierte die schroff-authentische Action-Atmo, ohne jedoch die Persönlichkeit des Helden aus den Augen zu verlieren.

Schwer genug, denn Damons Charakter ist als stoischer Einzelkämpfer angelegt, der nicht eben übersprudelt vor Mitteilsamkeit. Nicht einmal knackige One-Liner kommen ihm über die Lippen, sonst gern genommenes Standard-Repertoire von Actionfilmen.

Bourne/Webb gewinnt durch seine Handlungen an Profil, durch kleine Momente der Barmherzigkeit, flüchtige Blicke, kurze Sätze im Umgang mit seinen Helfern und Gegnern. Damon glänzt mit präzisem, nuancierten Underacting, lässt seine Rolle, trotzdem man ihn kaum einmal lachen, ja nicht einmal essen oder trinken sieht, zum Empathie-Fixpunkt werden, der alle drei Filme zu tragen imstande ist.

So wie Robert Ludlum seine Werke (auf denen die Filme im Übrigen nur lose beruhen) stets handschriftlich verfasst hat, um den Geschichten näher verbunden zu sein, drehte Greengrass »Ultimatum« gleichsam per Hand. Eine entfesselte Kamera jagt durch echte Menschenmengen, sucht Dialogpartner in nervösen Gegenschüssen über die Schulter.

Für Verfolgungsjagden wurden keine Straßen abgesperrt; was man kreischen und splittern hört, ist echtes Metall, echtes Glas. Der Schnitt ist rastlos, die Sequenzen hasten voran, der Film bietet nur wenige, knapp kalkulierte Verschnaufpausen. One hell of a ride.

Die spontane Frische der Filme spiegelt die Produktionsbedingungen wider: Wie man erfährt, waren Damon und Greengrass unablässig am Modifizieren des Scripts, probierten Ideen aus, verbesserten oder verwarfen sie. Nachdrehs waren an der Tagesordnung. Die letzte Szene des zweiten Teils ersann das Team beispielsweise erst zwei Wochen vor Kinostart: Bourne befindet sich in New York und konfrontiert CIA-Sympathisantin Pamela Landy mit seiner Anwesenheit.

Die Szene bildet das Sprungbrett für den dritten Teil: Was um Himmels Willen macht Bourne in der Höhle des Löwen? Wir erfahren es im dritten Akt von »Ultimatum«, denn da taucht die Szene noch einmal auf: Bourne kennt seinen wirklichen Namen, vollführt eine Kehrtwende und geht gegen seine unsichtbaren Feinde an, will die Bedeutung seiner Identität endgültig ergründen und, wenn man so will, seinem Schöpfer vor die Augen treten.

Selbiger wird vom großen Albert Finney verkörpert, der dem Gipfeltreffen eine wunderbare Gravität verleiht. Fabelhaft besetzt auch David Strathairn. Sonst eher in Independent-Perlen vertreten, gibt er den sinistren Schreibtischtäter Noah Vosen, aus dessen Perspektive Bournes Bewegungen häufig gezeigt werden – wenn er ihn gerade mal auf dem Schirm hat.

Denn Bourne ist Vosen oft genug in nahezu traumwandlerischer Sicherheit einen Schritt voraus; das CIA-Debakel auf der Waterloo Station komprimiert dieses Verhältnis in Form einer ungeheuer intensiven Sequenz, an der sich zukünftige Filme dieser Art werden messen lassen müssen. Ebenso schweißtreibend die Auto-Verfolgungsjagd in New York, die in bester French-Connection-Tradition schier birst vor kinetischer Energie.

Perfekte Regie, geerdete Ästhetik, effizientes Timing: »The Bourne Ultimatum« verbindet Grips mit Action und avanciert im Handstreich zu einem der besten Actionthriller der letzten Jahre. Bleibt zu hoffen, dass die Macher es bei der Trilogie belassen, denn das Ende von »Ultimatum« ist einfach zu schön. Außerdem haben es vierte Teile bei Kritikern gemeinhin noch viel, viel schwerer als dritte.


Todd D. Monokohli

Hamburg, 31. August 2007, 00:45 | von San Andreas

Todd D. KohliWeil hier doch gerade vom aktuellen »Monocle« die Rede war; ich hab heute bei meinem Newsagent drin geblättert. Auf Seite 54 befindet sich tatsächlich ein Interview mit meinem San Franciscaner Buddy Todd D. Kohli, und das kleine runde Konterfei ist ein Foto, dass ich seinerzeit vorm Hamburger Planetarium von ihm gemacht habe. Von Rechts wegen müsste ich diesem »Monocle«-Menschen jetzt eine Rechnung schreiben, aber ich hab gesagt: Tyler, lass gut sein.

(Edit: Story wird hier fortgesetzt.)


»Transformers«: Darf man das sehen?

Hamburg, 7. August 2007, 12:51 | von San Andreas

Ich hatte noch diesen Kinogutschein einzulösen und nicht übel Lust auf gute Unterhaltung. »Transformers«, hab ich gedacht, hat vielleicht jene larger-than-life-Qualität, die man als Gegengewicht zu verkopftem Kunstkino bisweilen zu schätzen weiß.

Doch schon als das Publikum bei den Trailern zu der Pubertätsklamotte »Superbad« und dem Fließbandblödsinn »Rush Hour 3« schier aus dem Häuschen geriet, beschlich mich der Argwohn, ich säße womöglich im falschen Film.

Hollywood orientiere sich mehr und mehr an bekannten Marken als Erfolgsgaranten. Verlasse sich allzu sehr auf CGI. Treibe die Rechenpower in ungeahnte Höhen und lasse die Erzählkunst verkümmern. So das Feuilleton, und es stimmt ja irgendwo alles.

So weit wie Tarantino möchte man jedoch nicht gehen, der Filme mit Computerunterstützung mit dem unschönen Wort ›Verarsche‹ etikettiert. Mithilfe des Rechners lassen sich im Kino Geschichten bebildern, die unsere Väter nur in papierner Form kannten. Unbestritten können da feine Filme bei rauskommen, man denke nur an die gelungeneren Comicverfilmungen der letzten Jahre.

Aber man muss unterscheiden: Comic-Helden auf der einen, Spielzeug auf der anderen Seite. Ich hätte besser aufpassen sollen, als mein Neffe mit seinen Bionicles spielte: Plaste-Roboter haben keine interessanten Geschichten zu erzählen. Die kloppen sich nur.

Das ist teilweise auch recht hübsch anzusehen. Es heißt, bei einer einzelnen Transformation bewegten sich 10 108 Bauteile (von denen der Zuschauer eh nur 50 auszumachen vermag, wie Hanns-Georg Rodek so spöttisch wie korrekt bemerkt). Aber 2 1/2 Stunden Roboterhatz ermüden einen dann doch, ganz zu schweigen davon, dass diese Lauflänge mein Filmtheater veranlasste, eine Pause einzufügen.

Mit Jon Voight, John Turturro und Shia LaBeouf sind durchaus respektable Leute am Start (Letzterer wird den Film eventuell als Jugendsünde abtun, sobald er zu dem Tom Hanks gereift ist, als dessen Nachfolger er gehandelt wird). Das hindert den Film aber nicht daran, eine vollkommen überdrehte, infantile Art an den Tag zu legen. Ganze Dialoge drehen sich darum, dass ein kleiner Erden-Chihuahua einem 20-m-Roboter-Alien nicht an die Karosserie zu urinieren habe, weil: das rostet.

Be that as it may, man muss dem Film zugute halten, dass er sehr wohl weiß, wie albern er ist. Die Komik ist selten unfreiwillig, stets jedoch so subtil wie eine Tüte Knallfrösche – aber letztendlich ist eine derart naive Unbefangenheit wahrscheinlich die einzige Form, Kinderspielzeug filmisch gerecht zu werden. Ob man sich das ansehen muss, ist eine andere Frage. Eher nicht. Aber: man darf.


Geschichten aus der Bahn

Hamburg, 2. August 2007, 20:45 | von San Andreas

Ich hatte gerade den IC nach Schwerin bestiegen und auf meinem reservierten Gangplatz im Wagen 23 Stellung bezogen, als ich auf dem leeren Sitz vor mir eine saftige FAZ bemerkte. Bar jedes anderen Lesematerials griff ich erfreut zu und begann, das Konvolut zu sichten.

Während ich mich in einem Artikel über das Billigflieger-Dilemma festlas, bemerkte ich im Augenwinkel einen Mann, der den Gang aus Richtung Zugmitte entlangkam und in der Nähe meines Platzes verharrte. Tatsächlich stand er genau neben mir, wie ich überrascht realisierte, als ich aufschaute.

Er war korrekt gekleidet, älteren Alters, sah mich ausdruckslos an und schnurrte: »Darf ich bitte meine Zeitung wiederhaben?« Ich verstand augenblicklich, faltete die FAZ zügig zusammen und überreichte sie dem Herrn zusammen mit einer Entschuldigung.

Und obwohl ich ein klein wenig das Gefühl hatte, dass er sie mir eher entriss als dass ich sie ihm gab, war ich doch froh, dass sich die Situation auf solch hochzivilisierten Niveau hatte auflösen lassen. Gute Erziehung ist eben alles.


Johnny Trash at San Quentin

Hamburg, 24. Juli 2007, 22:21 | von San Andreas

Der bekannte amerikanische Regisseur Quentin Tarantino hat mit »Death Proof« seinen ersten Flop gelandet, und man hat dazu allerhand hämische Bemerkungen gelesen. Hier ein paar mehr.

Es scheint tatsächlich so, als hätte das »Regie-Wunder« seinen Pulp-Fiction-Freibrief aufgebraucht; Kritik und Publikum scheinen seiner Masche allmählich überdrüssig. Masche ist ein schweres Wort, doch bei Lichte besehen sind seine Filme dies: simple Geschichten, raffiniert erzählt auf einem nostalgischen Bett vergangener Filmformeln, deftig abgeschmeckt mit bizarrer Gewalt und nur den abartigsten Todesarten, garniert mit ultracoolen Dialogen und als Beilage das Beste aus Tarantinos Plattenschrank.

Vielleicht kein schlechtes Rezept, doch während der frische Wind langsam abflaut, schleicht sich doch der Gedanke ein, der Mann könnte überbewertet worden sein. Die Kritik hatte ihn jubelnd ins Herz geschlossen, seine unbändige Verve genossen, seine Filmkompetenz goutiert. Doch sah das Publikum den Quentin’schen Hintersinn? Ich habe Leute gefragt, warum sie »Kill Bill« gut fanden und bekam Antworten wie »Geile Gemetzel!« oder »Schon allein der Soundtrack!« Und da krieg ich Angst.

Die Cineasten unter uns mögen einwenden, es sei doch egal, aus welchem Grund die unbedarfte Masse diese Filme guckt: Wir sehen sie als mythologische, filmkulturell vernetzte Meisterwerke eines genialischen Autorenfilmers. Bitteschön. Trotzdem muss erlaubt sein zu sticheln, dass Tarantino vor lauter Zitaten und Hommagen gar nicht dazu käme, *eigene* Filme zu drehen.

Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich nie eine romantische Beziehung zu 70er-Jahre-Schundfilmen entwickelt; meine Begeisterung für diese Kunstform hält sich in Grenzen. Sie in »Death Proof« bis ins Detail nachzuempfinden, ist eine Fingerübung für Tarantino, und man kann nicht sagen, sie wäre nicht geglückt. Nur interessiert sie kaum einen. Er hätte auch die Mona Lisa nachmalen können, aber Fakt ist: Es gibt sie schon. Why bother?

Aus Spaß vielleicht. Kino um des Kinos willen. Ein Mann fährt gerne Frauen zu Klump, na klar, die Geschichte fehlte noch im Trash-Kanon. Oder ist da noch mehr? Mancher Rezensent suchte verzweifelt nach etwas, das den Film über sich hinaus wachsen ließe. Die banal-vulgären Dialoge der Heldinnen werden kurzerhand zu intimen feministischen Einblicken glorifiziert – Tarantino als Frauenversteher.

Meinetwegen. Nichtsdestoweniger bleibt der Film klein. Ein Exploitation-Musterbeispiel für Insider, ein nostalgisches Abziehbild, Originalität aus zweiter Hand. Angenehm wahrhaftig in der Realisierung, rund, stilsicher – aber herzlich irrelevant.

Zur Rettung eilt das postmoderne Filmzitat, welches Tarantino zur Kunstform erhoben hat. So klingelt ein ohnehin anachronistisches Handtelefon mit dem Pfeifmotiv aus »Kill Bill« – der Fan klopft sich auf die Schenkel. Doch das hätte er schon in »Kill Bill« tun sollen, denn bereits da war das Stück ein Zitat, nämlich Bernard Hermanns Leitmotiv aus dem Thriller »Twisted Nerve« (1968) – bloß: Wer weiß das schon. Spätestens hier beißt sich die Zitate-Katze in den Schwanz.