Best of Feuilleton 2009

Der Goldene Maulwurf

Der Goldene Maulwurf 2009
Die 10 besten Texte aus den Feuilletons des vergangenen Jahres
*5. Jahrgang*

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(Vorwort und Kommentare hier.)

Inhalt: Ossifizierung, Obama, Zentralrat, Kaffeehaus, Jubiläen, Kippenberger, Facebook, Buchhandel, Buchcover, Slayer

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1. Maxim Biller

Deutsche deprimierende Republik. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 22. 3. 2009.

Nein, es gab im letzten Jahr wirklich keinen besseren, größeren, wahnsinnigeren Feuilletontext als diesen. Die Kunde von diesem Biller-Inferno hat am Morgen des vorletzten Märzsonntags sofort die Runde gemacht und ist bis heute nicht aus den Nebensätzen von Kaffeehausgesprächen verschwunden. Maxim Biller erzählt die Nachwendegeschichte einmal unter einem alternativen Gesichtspunkt und beschreibt, wie der »lähmende Einfluss … der Duckmäuserossis« das Klima in der BRD verändert und die Gesellschaft ossifiziert habe. Diese zunächst zum Gähnen anregende Provo-Schiene ist letztlich doch erstklassiges Feuilleton, und zwar gerade deshalb, weil man aller eineinhalb Sätze einhaken und die Fehler, Gewagtheiten und Ungerechtigkeiten aufzählen könnte. Der Witz an vielen Biller-Texten ist aber ja, dass oft kein einziges Detail wirklich stimmt, weil es entweder zu überzogen oder zu ausgedacht ist. Aber die Summe der Beispiele bildet dann eben doch ein beispiellos klares Argument. Und man wird sofort gepackt von der Nonstop-Wucht des Formulierungsfeuers (»Maybrit Illner, früher SED, heute ZDF« usw.). Billers Generalthese, die Bonner Republik sei nach 1968 das »so ziemlich coolste, freieste Land der Welt« gewesen, erinnert zwar doch sehr an dieses Jammerossihafte, das er eigentlich kritisiert. Die von ihm verbratenen Teilwahrheiten und Verunglimpfungen halten sich aber auf einem so hohen poetischen Niveau, dass diese Verwandtschaft schnell verblasst. Fast standesgemäß gab es übrigens auch eine Einstweilige Verfügung gegen eine Passage, die sich in der Online-Version des Artikels als drei Auslassungspünktchen bemerkbar macht. Im Kern aber ist Billers Anliegen ein philosophisches, eine Klage über das »Verschwinden des Ich, des Individuums und seiner Schönheit aus dem gesellschaftlichen Diskurs«.

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2. Peter Richter

Obama sitzt. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 6. 9. 2009.

Der beste Peter-Richter-Text des Jahres! Es handelt sich dabei um die fast klassisch zu nennende Interpretation eines offiziellen Fotos des Weißen Hauses, das Obama auf einer Treppe sitzend zeigt, umgeben von drei teils äußerst leger gekleideten Beratern. Mit der Erörterung dieses unerhörten »Verlusts des Vertikalen«, dieses Sitzliegens des US-Präsidenten, gelingt Richter eine moderne Herrscher-Ikonografie, die detailliert bis zu den Flip-Flops der Entourage vordringt. Die Aufzählung möglicher kunsthistorischer Vorbilder reicht bis zu Raffaels »Schule von Athen«. Interessanter aber sind die assoziierten Künstler aus der zweiten Reihe, denn Joris Hoefnagel oder der Boucicaut-Meister sind sicher lange nicht mehr in einer Zeitung erwähnt worden. Und wenn sich selbst Zitate aus der Sekundärliteratur weglesen wie ein Harry-Potter-Band, dann ist das, und das soll hier mal positiv gemeint sein, Bildungsfeuilleton at its best, ja, man könnte wirklich ein Register der kulturhistorischen Verweise anlegen, die alle geistreich und niemals belehrend sind. Die manchmal in Richters Texten überhand nehmende Lustigkeit findet sich hier ideal dosiert, der Vergleich Obamas mit Christus etwa ist wirklich schlagend: »beide haben keine Geburtsurkunde, aber Jünger in Sandalen«. Am Schluss wendet Richter seinen Blick auf die deutsche Politik und auf Claudia Roth, und wie so oft bei ihm ist die Pointe das Schlechteste am ganzen hervorragenden Text (vgl. Best of Feuilleton 2007).

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3. Henryk M. Broder

Meine Kippa liegt im Ring / Der ideale Kandidat. In: Der Tagesspiegel, 22. 10. 2009 / Der Spiegel 45, 2. 11. 2009.

Es begann mit einem dieser schnippischen Broder-Dampfmacher im »Tagesspiegel«, mit der Behauptung, er höchstpersönlich werde demnächst für das Amt des Präsidenten des Zentralrats der Juden kandidieren: »Meine Kippa liegt im Ring«! Einige Pressemeldungen und erboste Kommentare später folgte die Beendigung der Performance in Form eines »Spiegel«-Artikels, der das epische Highlight dieses Feuilletonjahres war und mit dem wunderbaren Satz startet: »Kurz vor dem Autobahnkreuz Kassel-Ost klingelte das Handy.« Broder hat mit dieser Aktion nicht nur sich selbst zum Medienthema gemacht, sondern auch eine der erwartbarsten Institutionen des Landes, die »sich inflationär zu allem und jedem äußert« und nun auf unverhoffte Weise einen Hauch Verwegenheit verpasst bekam. Nachdem der eigentlich als Wallraff bekannte Investigativjournalist (oder das, was davon übrig blieb) zwei »Spiegel«-Nummern zuvor von Juan Moreno seziert wurde, steht nach dieser erfolgreichen Unternehmung fest: Broder ist der bessere Wallraff!

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4. Wolfgang Büscher

Der Schaum der Tage. In: Die Zeit 18, 23. 4. 2009.

Wolfgang Büscher ist, bewaffnet mit einem traditionellen Begriff von Kaffeehauskultur, in feindliches Gebiet vorgestoßen, ins St. Oberholz in Berlin-Mitte. Dort sitzt der adigitale Bourgeois dann der digitalen Bohème gegenüber. Büscher hat dabei etwas von einem Professor, der die Jugendsprache untersucht, und greift auch dezidiert auf Distanzierungsvokabular zurück (»Heißschaumgetränk«). Weitere heuristische Werkzeuge sind ein Abgleich mit der Welt des legendären »Romanischen Cafés« in Charlottenburg, außerdem vorurteilsbehaftet-fremdelnde Beobachtungen und progressive Unkenntnis: »Alles ist so seltsam.« Diese letztlich perfekt gelungene Außenbeobachtung der »Wir nennen es Arbeit«-Fraktion findet zwar tausend Jahre nach jeder Relevanz statt, und Büschers Erkenntnisse sind auch marginal, beschreiben aber in schöner Schlichtheit die Transformation der Kaffeehauskultur, die im 21. Jahrhundert vor allem bedeutet: Café Latte holen, Laptop aufschlagen. Und viel mehr eben nicht. Ist das schlimm? Oder nicht schlimm? Dass man den Arbeitsplatz an einen öffentlich zugänglichen Holztisch verlegt, das kann der bürgerliche Beobachter aber auch gutheißen: »Eines immerhin hat sich geändert. Man steht früher auf in Berlin.« Und vollkommen richtig ist auch die Beobachtung, dass es in diesen deutschen Szenecafés keine generationelle Durchmischung gibt wie etwa in Südeuropa (»Berliner Apartheid«). Mittendrin im Text gibt es noch eine der schlechtesten Wortspielereien des Jahres: »Ist denn alles Kunst geworden? Sind wir alle gefangen im Traum von St. Joseph Beuys? Und war dessen richtiger Name nicht Professor Beuys-Oberholz?« Aber dann schreibt sich Büscher warm und findet bei der Charakterisierung der oberen Etage des St. Oberholz in einen verschwärmten Odenton hinein: »Skypend fläzt sich ein schöner Russe.«

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5. Hans Ulrich Gumbrecht

Die Gegenwart wird immer breiter. In: Literaturen 5/2009, 24. 4. 2009.

In den »Literaturen«, der Zeitschrift, die kaum einer mehr lesen dürfte, stand dieser Artikel von Hans Ulrich Gumbrecht, ein substanzieller Metabeitrag zum Supergedenkjahr 2009. All die armen Jahre, die auf -9 enden, sind ja auf ewig mit dem Weltkriegsbeginn, den Gründungen von BRD und DDR, der Wende usw. verbunden, da gibt es kein Entrinnen. Gumbrecht greift dabei seinen Aufsatz aus dem Merkur 55/2001 (S. 769–784) auf und aktualisiert ihn, Ausgangspunkt ist die Erfahrung, dass sich die Quantität der Jubiläen langsam ins Qualitative verkehrt hat: »Historische Phänomene oder Fragen können kaum mehr auf der öffentlichen Tagesordnung platziert werden, ohne durch ein Gedenk-Datum markiert zu sein.« Geschichtskultur scheint sich dabei »von einer linearen in eine vielfach konzentrische Gestalt« zu wandeln, in der sich größere und kleinere Versionen jeweiliger Jahresringe abwechseln. Der Trend gehe dabei weg von Diskursen zu punktueller Vergegenwärtigung, zum Heraufbeschwören von Vergangenheit durch Medien und Museen. Und eigentlich erwartet man nun etwas Bedenkenträgerisches, aber das schöne Erstaunliche ist: Gumbrecht findet das ganz in Ordnung so. Geschichte als Glaube, der jubiläumsliturgisch immer wieder neu bestärkt werden kann, Vergangenes erhalte dabei eine sinnliche Präsenz wie die Gegenwart Gottes in der Eucharistiefeier.

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6. Nora Reinhardt

Ein Bild ist ein Bild ist ein Bild. In: Der Spiegel 44, 26. 10. 2009.

Im Oktober wurde bei Christie’s das »Paris Bar«-Gemälde versteigert, das Kippenberger im Jahr 1992 nicht selbst gemalt hat, das aber trotzdem sein Werk ist. Bis 2004 hing es an dem Ort, den es darstellt, in der »Paris Bar« in Berlin-Charlottenburg, »Kippenbergers Wohnzimmer«, und wurde nun für über zwei Millionen Euro veräußert. Das Outsourcing der eigentlichen Pinselei gehört nun zum erwartbaren Repertoire von Kippenberger. Nora Reinhardt nimmt aber einige kleine Ungenauigkeiten bei der Werkbeschreibung durch das Auktionshaus zum Anlass, ganz exemplarisch die Geschichte dieses Bildes zu erzählen. Leitthema ist dabei eine Anomalie des Kunstmarkts, die Diskrepanz zwischen der erlösten Millionensumme und den lediglich 1.000 DM Entgelt, die der eigentliche Maler des Bildes, Götz Valien, bekommen hat. Die einzige Begegnung zwischen Valien und Kippenberger, bei der sich Ersterer als Maler der »Paris Bar« vorstellt, ist gleichzeitig Klimax und Antiklimax des Textes, denn Kippenberger dreht sich einfach weg und lässt Valien mit seiner Biografie allein. Immerhin hat dieser aber, schwarz auf braun, seine Signatur an ein Stuhlbein gemogelt und kann heute wahrheitsgemäß sagen, dass er einen der teuersten Kippenberger gemalt hat. Freunde feuilletonistischen Feuerwerks werden den Artikel eine Spur zu brav formuliert finden, an seinen besten Stellen erinnert er aber an das grandiose Porträt des »Warhols der Geldfälscher« vom letzten Jahr, das ebenfalls im »Spiegel« erschienen ist.

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7. Tom Kummer

Moritz trinkt immer noch. In: der Freitag, 30. 7. 2009.

Vielleicht hätte niemand anderes treffender über unser alltägliches Facebook schreiben können als Tom Kummer. Er beginnt mit einer klassischen Herausgeberfiktion: Nur weil er nicht wisse, wie er bei seinem iPhone die automatischen Facebook-Benachrichtigungen abschalten kann, werde er mit den Meldungen seiner Facebook-Freunde umschwirrt, die er dann aus ihrer Halbprivatheit heraus großzügig zitiert. Kummer vermutet dabei, dass Facebook als idealer Ausweg aus der »ein bisschen unerträglich gewordenen … Journalisten-Gegenwart« diene. Seine medienschaffenden Freunde laufen hier »als Ästheten des Alltags zu Höchstform auf«, die sich in einer Art folgenloser Poetisierung der Welt ergehen. Für ihn weisen diese Textformen zurück auf das Copyshop-Feeling bei »Tempo« in den späten Achtzigern und das popliterarische Internetprojekt ampool (1999–2001). Und nun – Germanistik, aufgepasst! – nun zeigt Kummer, in welcher Form die deutsche Popliteratur weiterlebt, und zwar durch die möglichst funkelnde Beantwortung der von Facebook vorgegebenen Textboxfrage »What’s on your mind?« Sein Erlebnisbericht von den nächtlichen Straßen in Los Angeles hat nebenbei auch erotische Komponenten, angefangen von der Beschreibung der Facebook-Sucht, für seine Kurztexte von allen toll gefunden werden zu wollen, bis hin zu seinem iPhone, das an der Brustwarze vibriert.

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8. Birk Meinhardt

An der Kette. In: Süddeutsche Zeitung, 14. 10. 2009.

Diese »Seite Drei«-Reportage war der unangefochtene Startext der Frankfurter Buchmesse. Es geht darin ums große Ganze, um Bücher, Autoren, Verlage und Leser, und um die Buchhändler, deren Reflexe dieser Artikel vor allem bedient, indem er zur Problematisierung ganz klassisch jemanden an den Pranger stellt, in diesem Fall die Buchhandelskette Thalia, die mit für die »Zerstörung einer ganzen Branche« sorge. Die tendenziöse Problemreduzierung auf Thalia und den Geschäftsführer Michael Busch einmal beiseitegelassen: Stilistisch versucht der SZ-Autor unverkennbar mit Feuilletonmitteln, die Lage abzubilden und zu dramatisieren. Seine Leitmotive sind dabei eine Rolltreppe und ein Farbeimer. Erstere steht für die Zusatzgelder, die Thalia von den Verlagen eintreibe, Letzterer für wütende Verlagsvertreter, die mit diesem Leitmotiv am liebsten um sich werfen möchten. Außerdem versucht der SZ-Autor, das Bourdieu’sche Spiel der »feinen Unterschiede« zu spielen: Muss man als Geschäftsführer einer der größten Buchhandelsketten (oder auch nur als einfacher Buchhändler) Hans Henny Jahnn und Warlam Schalamow kennen? Wenn es dabei, wie recht unleidenschaftlich erläutert wird, nur um »eine großartige Romantrilogie« oder »schonungslose Gulag-Geschichten« geht, sicher nicht. Zu den Ausweisen der Verbundenheit mit dem »Kulturgut Buch« gehört auch, dass der Autor als Decknamen für seine anonym bleibenden Informanten aus der Branche die Namen deutschsprachiger Nachkriegsautoren wählt (Bachmann, Frisch, Hildesheimer, Jelinek, Handke). Wie dem auch sei, bei so viel Untergang des Abendlandes darf dann noch eine Asterix-Komponente ein wenig Hoffnung bringen, und zwar in Form einer Braunschweiger Buchhandlung, die sich Thalia nicht ergeben und der bald eröffneten Konkurrenzfiliale Paroli geboten hat.

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9. Felicitas von Lovenberg

Auf dem Umschlagplatz. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (Bilder und Zeiten), 23. 8. 2009.

Nach Autorenfotos und Verlagsvorschauen ein weiteres Gesellenstück in Sachen Paratexte. Diesmal hat sich Felicitas von Lovenberg in der zuletzt öfters wieder exzeptionell bestückten »Bilder und Zeiten«-Beilage der Samstags-FAZ ausführlich mit Buchumschlägen auseinandergesetzt. Bis auf eine poetische Eingangssituation (»Es ist ein großes, ermattetes Daliegen, so weit das Auge reicht«) ist in dieser Phänomenologie aber kaum Platz für einen eigenen Stil, dafür werden in den 20.000 Zeichen Text ausgiebig einige Auswüchse im Cover-Segment dargestellt. Zu kleinteilige Cover seien etwa »nicht katalogfähig«, mithin ungeeignet für den daumennagelgroßen Abdruck im Prospekt oder für die Präsentation im Netz. Anhand einer ganzen Buchgalerie bespricht sie auch Trends der aktuellen Saison, etwa den Coup von Joachim Unselds Frankfurter Verlagsanstalt, mit Neo Rauch einen echten zeitgenössischen Kunststar für die Covergestaltung verpflichtet zu haben. Darüber waren einige Verlagsvertreter so entsetzt, dass sie kündigten, »zu elitär … für den herkömmlichen Buchhandel« seien diese Umschläge. Die Feinde des anspruchsvollen Covers lauern also überall. Und so geht FvL anhand einiger Neuerscheinungen die Dos & Don’ts durch, und diese Befunde kann man sicher auch in zehn Jahren noch mit Gewinn lesen. Am schönsten, wenn auch literaturfeindlichsten ist übrigens die Kategorie: »ein Buch, das man zwar nicht lesen, aber auf jeden Fall anfassen möchte«.

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10. Dietmar Dath

Ich hab’ meinen Hass, der hält mich warm. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 1. 11. 2009.

Dietmar Dath erzählt seine Rezension des neuen Slayer-Album »World Painted Blood« als Fantasy-Story, die damit beginnt, dass eine personifizierte »Naturschönheit« in den Laden geht und sich die Platte zulegt, unter notwendiger Vorlage ihres Personalausweises (Alter: »Fünfzehn Milliarden Jahre«). Die Bezahlung erfolgt mit, äh, »Wanderfalkenfedern«. Das Album selbst ist dann übrigens unaktuell wie gute Kunst nur unaktuell sein kann und besteht aus »durchweg Geglücktem«. Stilistisch wechselt der Text rasant hin und her und bietet auch schon mal regionalzeitungstypische Formulierungen auf, wenn es um die Zuordnung von Kulturprodukten zu ihren Erschaffern geht: vom »Herbstangebot der Heavy-Metal-Band Slayer« ist da die Rede und von einem Beipackvideo »aus dem Hause Slayer/Brooks«. Wie dem auch sei, dass seit Daths Rückzug als FAZ-Redakteur etwas fehlt im deutschen Feuilleton, wird dann spätestens bei der Klangbeschreibung deutlich, das ist Dath-Poesie in schönster reinster Reinkultur: »Die Gitarrensoli von Kerry King zum Beispiel klingen mehr denn je wie chinesisch schnatternde Muskelentzündungen, die eine vier Meter breite Fleischfachverkäuferin mit Geschirrspülmittel eingeseift hat, damit sie besser weh tun.« Die Stimme von Tom Araya riecht »nach Jägerbratensoße«. Und neben all der sprachgewaltigen Plastizität ist auch noch Platz für den kürzestmöglichen Kommentar zur gegenwärtigen »eh doofen« politischen Lage (»Gustav Gans ist deutscher Außenminister«), der einfach mal so hunderte Seiten politischer Berichterstattung ersetzt.

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[ veröffentlicht am 12. 1. 2010 ]