Best of US-Serien 2005/06

Die 10 besten Serien der amerikanischen Fernsehsaison 2005/2006
(a.k.a. Besuch im Serienland #1)

*

1. Curb Your Enthusiasm
2. Desperate Housewives
3. Rome
4. Lost
5. Big Love
6. Over There
7. The Office
8. Everybody Hates Chris
9. The Simpsons
10. Veronica Mars

*

1. Curb Your Enthusiasm   (5. Staffel, HBO)

»Well, then you wait! You wait!« Das sind Larry Davids letzte Worte in der fünften Staffel. Nach einer Nierentransplantation und einem träumerischen Kurzbesuch im Himmel ist er wieder genesen und verlässt nun aufgrund der »hospital policy« per Rollstuhl das Krankenhaus. Auf dem Weg nach draußen dann der Zwischenstopp am Behindertenklo, aus dem gerade ein Unbehinderter herauskommt und sich damit rechtfertigt, dass das andere WC besetzt war. Larry nutzt die letzte Gunst der Stunde im Rollstuhl und äußert genüsslich dieses »Well, then you wait! You wait!« Es geht also wieder um Diskussionen in den Detailbereichen der Conditio Humana, um Unsicherheiten beim politisch-korrekten Verhalten, das durch die endlosen Diskussionen schließlich ad absurdum geführt wird. Seit der dritten Staffel gibt es in »Curb Your Enthusiasm« rote Fäden, die eine ganze Staffel durchziehen, und in der fünften Staffel ist das der in Larry aufkeimende Verdacht, dass er in Wirklichkeit ein Adoptivkind ist. Und das hofft er dann auch wie besessen, ein alter Topos aus »Seinfeld«, wo sich George Costanza genau dasselbe wünscht. Ausgelöst wird der Verdacht durch eine undeutliche Aussage seines Vaters, der von Shelley Berman herrlich als unternehmungslustiger Tattergreis gespielt wird. Als Larry dann Beweise dafür erreichen, dass er andere, überdies noch christliche Eltern hat (»Oh my God! I’m gentile!«), scheint ihm plötzlich Nächstenliebe angesagter zu sein als jüdische Verschrobenheit, und er spendet seinem etwas windigen besten Freund Richard Lewis eine Niere. Richard dankt es ihm nicht und möchte ihm nicht einmal einen bestimmten Golfputter leihen, und später verschlechtert sich Larrys Zustand so sehr, dass er kurz in den Himmel abberufen wird, wo er Dustin Hoffmann als Engel begegnet, der Larry stehenden Fußes wieder zurückschickt, weil dieser auch im Himmel weiter seinen Obsessionen nachgeht. Die Drehbücher holen bei der Kreuzung der verschiedenen Themen wie eh und je das Äußerste an Skurrilität und Komik heraus, und wieder ganz ohne billige Standup-Witzeleien und Hintergrundlachen. Und trotz des Titels der letzten Folge (»The End«) soll Larry David angeblich an einer neuen Staffel schreiben. Das wäre auch gut, denn was sind denn »You wait!« für letzte Worte?

*

2. Desperate Housewives   (2. Staffel, ABC)

Bree, Bree und nochmal Bree: Sie hat den Tod ihres Mannes Rex am Ende der ersten Staffel zu verarbeiten, ihre Beziehung zum freundlich-fiesen Apotheker George, der für sie über Leichen ging (Rex) und weiter gehen will (Dr. Goldfein), ihre Mitschuld an Georges Tod, dann die Fiesheiten ihres Sohnes Andrew – der vor seiner Volljährigkeit an das Geld heran will, das seine Großeltern für ihn angelegt haben, und in einem ausgeklügelten Komplott seine Mutter bezichtigt, ihn missbraucht zu haben –, dann ihre aus all dem resultierenden Alkoholprobleme, die Sitzungen bei den Anonymen Alkoholikern, ihre Beziehung zu ihrem Suchthelfer, der noch dazu sexsüchtig ist und auf keinen Fall rückfällig werden will. Und zuguterletzt beginnt ihr auch noch der von Kyle MacLachlan als ganz fies und hintertrieben gespielte Zahnarzt Orson den Hof zu machen. Dass er kurz vorher noch eine Mordattacke auf Mike Delfino gestartet hat, wird ihn auf alle Zeiten bei der Susan-Fangemeinde diskreditieren, lässt aber interessante neue Subplots für die dritte Staffel erahnen.

*

3. Rome   (1. Staffel, HBO)

»Rome« gelingt eine Inszenierung der Caesar-Zeit, die gar nicht genug zu preisen ist. Abgesehen von der großzügigen Ausstattung strotzt die Serie vor schönen Drehbuchideen. Schon der seltsame Titel der zweiten von insgesamt 12 Folgen zeigt das an. Er lautet »How Titus Pullo Brought Down The Republic«. Eine im Auftrag Caesars mit Pompey verhandelnde Abordnung unter der Führung von Mark Antony wird vor dem Forum trotz garantierten freien Geleits aus der Menge heraus attackiert. Denn in der Formation steht auch der einfache Legionär Titus Pullo, und nur ihm gilt eines unausgefochtenen Kneipendisputs wegen dieser Angriff. Ausgelegt wird er aber als Angriff auf Caesars Botentrupp und speziell auf den Senator Mark Antony, ein Missverständnis, wegen dem nun der Bürgerkrieg beginnt. Historische Zusammenhänge werden hier mit viel Laune neu verknüpft, und es sind dramaturgische Höhepunkte, wenn man entgegen historischen Konventionen sieht, was Titus Pullo (statt Caesar) mit Cleopatra macht, die noch dazu wirklich schön plausibel als eine verwöhnte Göre gespielt wird, die sich qua Langeweile auf ihrer Sänfte die Birne zukifft (Folge 8). Statt auf die Rhetorik des Cicero, der ein bisschen wie Loriot aussieht und nur als ungeistiger, schwacher Taktierer wegkommt, setzt »Rome« auf das Pathos der Caesar-Reden und schickt einem (vor allem am Ende von Folge 2) eiskalte Schauer über den Rücken, und überhaupt ist die Rolle mit Ciarán Hinds so erstklassig besetzt, dass Caesar bei seiner Ermordung dankenswerterweise nicht das Shakespeare’sche »Et tu, Brute?« bringen muss. Sein Gesichtsausdruck sagt viel mehr als diese drei ausgedachten Worte. Demnächst wird es aufgrund des Erfolgs eine zweite Staffel geben, höchstwahrscheinlich mit dem Kampf um die Republik im Mittelpunkt, mit Brutus und Cassius bei Philippi. Und vielleicht sogar bis zur Inthronisierung des jungen Octavian? Es wäre zu wünschen, denn gerade die Darsteller des Brutus (Tobias Menzies) und des jungen Octavian (Max Pirkis) haben ihr Potenzial in der ersten, Caesar-zentrierten Staffel noch nicht voll ausgeschöpft.

*

4. Lost   (2. Staffel, ABC)

Das Motto der zweiten Staffel könnte lauten: »To push or not to push (the button).« Hinter der Luke aus Staffel 1 befindet sich also ein Bunker der »Dharma Initiative«, in der diese Tastatur herumsteht, in die alle 108 Minuten ein Code einzugeben ist. Was aber eigentlich passiert, wenn der Button nicht gepusht wird, diese Diskussion zieht sich durch bis zur letzten Folge. Die Story unternimmt dabei nur scheinbar Riesenschritte nach vorn, denn natürlich eröffnet sich mit jeder gefundenen Erklärung hydraartig ein regelrechter Kosmos an neuen Fragen. Die Verrätselungen, mit der die Serie ihre Spannung halten will, werden dabei immer kruder. Dass eine als Robinsonade gestartete Serie ständig neue Charaktere ins Spiel bringt, ist auch schon wieder fast lustig, aber so lernen wir etwa einen mysteriösen Henry Gale kennen, der zum gesteigerten Gruselfaktor der zweiten Staffel beiträgt. In (fast) jeder Folge gibt es wieder eine Background-Story zu einem Inselcharakter, wobei einzelne dieser Storys die Schicksale der Figuren interessanterweise schon vor dem Flugzeugcrash verknüpfen. Die in der ersten Staffel begonnenen Teilgeschichten werden weitererzählt, ein paar neue kommen hinzu, etwa die von Mr. Ekos Vergangenheit als nigerianischer Kindersoldat und kaltblütiger Drogenmafioso und Ana Lucias Rachefeldzug als Killerpolizistin, die dann auf der Insel auch aus Versehen dafür sorgt, dass die nervtötende Shannon dran glauben muss (Danke, Ana Lucia!). Der »man of faith« Locke verliert ein wenig, Sawyer gewinnt hingegen ungemein an Kontur, wie er da mit einer übergroßen Damenbrille die Buchschwarten und das Manuskript (»Bad Twin«) liest, die der Flugzeugabsturz übrig gelassen hat. Die durch Hurleys Lotteriegewinn in der ersten Staffel ausgelöste Nummernhysterie (»4 8 15 16 23 42«) nimmt zu, die Others bleiben irgendwie unnahbar und unlogisch, und die Geschehnisse in der letzten Folge kann sowieso erst mal keiner verstehen. Sind Grusel-Henry (der am Ende gar nicht so heißt) und seine Crew wirklich die so genannten Others? Und dann dieses riesige steinerne Fußfragment, das den Koloss von Rhodos leicht in den Schatten stellen dürfte und komischerweise nur 4 Zehen hat. Was zur Hölle soll das denn sein!

*

5. Big Love   (1. Staffel, HBO)

Die ersten 12 Folgen der Polygamieserie, die folgerichtig auch eine Serie über Viagrakonsum ist und in Salt Lake City spielt, beginnen mit einem sensationellen Vorspann. Bill Henrickson und seine drei Frauen laufen sich auf dem Eis in die Arme und wieder auseinander, verwirren sich in einem Schleierwald der Gefühle, der Zweifel und der Angst, um am Ende doch gemeinsam am Essenstisch zu sitzen. Der durchschimmernde religiöse Unterbau des polygamistischen Weltbildes zeigt, wie viel Recherchearbeit in die Serie geflossen ist. Zu seinen Problemen beim Frauenhandling muss sich der Hausvater Henrickson von einem polygamen Kollegen etwa daran erinnern lassen: »they’re the path you’ve chosen, you gotta pray for guidance« (Folge 2). Das ist derselbe Kollege, der dann freudig berichtet, dass er eine neue Flamme hat und sie schnell als vierte Frau zur Familie hinzufügen möchte, weil sich auch die anderen Frauen schon auf den Neuzugang freuen würden. Neben dem Alltag des Versteckspiels um den eigenen Lebensstil (»I hate that about this life: all of us having to hide«, Folge 9) werden auch die skurrilen Seiten der Vielweiberei gezeigt, etwa wie die Ehefrauen die Daten ihres Menstruationszyklus austauschen, damit die Zweitfrau durch rechtzeitige Paarung mit dem Hausmann empfangen kann (Folgen 6 und 7). Und auch einen Satz wie den von Roman Grant, dem Impresario der Polygamisten, haben wir noch nicht gehört: »I have 31 children and 178 grand-children and I love every one of them.« (Folge 3) Roter Faden der ersten Staffel ist ein Businessfight innerhalb der Polygamistenszene. Da wird mit harten Bandagen gekämpft, und das führt soweit, dass ein Hausvater den anderen für seine Vielweiberei anschwärzt. Die Polygamie der Henrickson-Familie wird ausgeplauzt, sie müssen um alles fürchten, am Ende sind sie zurückgeworfen auf ihre Viersamkeit und die (bisher) 7 Kinder. Das Unhappy Ending spiegelt natürlich die Gesetzeslage in den USA wider, wo Polygamie seit langem verboten ist, und schafft aber auch Raum für die zweite Staffel, die nach dem großen Erfolg der ersten sofort durchgewunken wurde.

*

6. Over There   (1. und letzte Staffel, FX)

»For us is not to reason why« heißt es im Titelsong dieser Serie über den andauernden Irakkrieg, und damit steht sie in bester Kriegsfilmtradition. Es geht um die Kampfhandlungen und nicht um deren Ursachen. Im Gegensatz zu Sam Mendes‘ »Jarhead« gibt es hier auch Geschichten zu erzählen, und die Serie versucht, die großen Kinogefühle zu wecken. Wie »Lost« zeigt die in »Over There« begleitete Infanterie-Einheit ein teils gespanntes, am Ende aber funktionales multiethnisches Amerika mit African Americans, Hispanics und Weißen, zu denen sich als Ersatz für einen verwundeten Private der Vollständigkeit halber noch der irakischstämmige Übersetzer Tariq gesellt. Hier wird der Irakkrieg von unten gezeigt, und außer einem nur sporadisch auftretenden Leutnant, der (auch das eine Kriegsfilmtradition) irgendwie völlig unfähig ist, stellt der Sergeant »Scream« den höchsten Dienstgrad dar. Der Serie gelingt das seltene Kunststück, Kriegs- und Heimkehrerdrama zugleich zu sein, denn der junge Private Bo Rider wird schon in der ersten Folge der Unterschenkel weggebombt, und die restlichen Folgen zeigen den prototypischen, aber jetzt verkrüppelten Sunnyboy, wie er im Lazarett und später nach der Rückkehr in seinen Heimatort mit der Situation fertig zu werden versucht. Die Hauptszenen, die sich weiter mit seiner im Irak kämpfenden Einheit beschäftigen, zeigen das Soldatsein als mehr oder weniger normalen Beruf mit einem allerdings deutlich höherem Berufsrisiko, das sich im Irak mit seinen den Soldaten unbekannten Zeichen- und Verhaltenssystem noch steigert. Aber fast jeder Zweite darf im Terrorkrieg mal schnell auf Kurzurlaub nach Hause in die US-amerikanische Provinz, wenn Not in der Familie ist. Trotz dem Verständnis, das die Serie den irakischen Verhältnissen und in Ansätzen auch den Aufständischen entgegenzubringen versucht, und trotzdem sie aus der Sicht größtenteils unpolitischer einfacher Soldaten erzählt wird, ist ihre Sicht eben eine amerikanische, und wohl wegen der schwierigen internationalen Vermarktung wurde für sie keine zweite Staffel vorgesehen.

*

7. The Office   (2. Staffel, NBC)

Für die 6 Folgen der ersten Staffel hatte NBC testhalber auf eine solide Nachahmung des BBC-Originals »The Office« mit teils identischen Folgen gesetzt, so wie jetzt auch der französische Sender Canal+ mit dem gerade angelaufenen »Le Bureau«. Für die nun gleich 22 gezeigten Folgen der zweiten Staffel hat sich die US-Version inzwischen für einen ganz eigenen Manierismus entschieden. Der Humor wirkt anfangs viel künstlicher als beim britischen Pendant oder etwa auch beim deutschen Ableger »Stromberg«. Steve Carrell spielt seinen Michael Scott in der peripheren Papierfabrik Dunder-Mifflin im gottverlassenen Scranton in Pennsylvania als einen weiteren Boss, der es nach dem Peter-Prinzip so lange nach oben geschafft hat, bis er eine Stelle voll und ganz mit seiner gebündelten Inkompetenz ausfüllen kann. Er ist zwar ambitioniert, aber immer auf den falschen Gebieten. Er ist ein verhinderter Komiker, Sänger, Schauspieler, engagiert sich auf diesen Feldern auch stets bis zur Lächerlichkeit und geht dabei garantiert unsensibel und taktlos allen auf die Nerven. Aber er ist ja der Boss, der das dann alles mit Monologen in die Kamera des Aufnahmetrupps zurechtbiegen will, sich dabei jedoch immer mehr selbst entlarvend vertut. Bei dieser Überpräsenz fällt es den anderen Figuren (und auch deren Darstellern) schwer, sich in Szene zu setzen, doch gelingt dies fast allen durch teils genialen Minimalismus. Wer einmal gesehen hat, wie der dicke Kevin breit in die Kamera grinst, muss nicht mehr über ihn wissen. Ein Gipfel des Manierismus der zweiten Staffel ist übrigens »Dwight’s Speech« (Folge 16), eine überambitionierte und völlig missratene Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede des Büronerds Dwight K. Schrute vor einem aus »Salesmen of Northeastern Pennsylvania« bestehenden Tausenderpublikum, das ihm dann aber fassungslos applaudiert. Der Erfolg, von dem alle in den Monologen vor der Kamera reden, kommt hier als Ausrutscher, und natürlich spielt Michael den fremden Erfolg herunter und will ihn vielmehr für sich reklamieren: »Dwight gave a great speech. That’s the word on the street, anyway. And I entertained Dwight to no end with my bar stories – so I captivated the guy who captivated a thousand guys. Can you believe that? A thousand guys!« Inzwischen hat sich das NBC-»Office« also erfolgreich von seinem BBC-Vorbild emanzipiert, unter anderem weil die Kameras des Pseudo-Doku-Teams häufig das Bürogebäude verlassen, auch mal in die Wohnung eines Bürokollegen, in ein Restaurant oder auf ein Schiff zum Booze Cruise. Durch diese Überschreitungen wird die Schilderung des Bürolebens deutlich aufgelockert und die Plots versanden nicht so wie im BBC-»Office«. Michael Scott und sein Team sind für NBC eine gewichtige Größe geworden. Es wird im Herbst natürlich eine folgenreiche dritte Staffel geben, aber dabei wird es nicht bleiben.

*

8. Everybody Hates Chris   (1. Staffel, UPN)

Brooklyn 1982/83. Der Teenager Chris zieht mit seiner Familie nach Brooklyn und er ist schwarz und muss auf eine fast ausschließlich von Weißen besuchte Schule gehen, weil sich seine Mutter eine gute Ausbildung für ihn wünscht. Das Schicksal tendiert dazu, sich gegen Chris zu wenden, und sobald die Erlebnisse einen Tiefpunkt erreicht haben, erklingt stets der Jingle der Serie: »Ehevrybody hahates Chriiis«. Außer seinem Schulfreund Greg, der sich als einziges weißes Kid mit ihm abgibt, passiert ihm wirklich nicht viel Gutes an der Corleone Junior High, und auch zu Hause wird er mit hohen Erwartungen malträtiert. Dort verliert er doppelt, denn sein jüngerer Bruder ist körperlich größer und reifer als er selber und trotzdem fällt alles immer auf Chris als verantwortlichen Älteren zurück. Neben Chris nimmt sich die Comedyserie, die ohne Lachsäcke auskommt, auch viel Zeit für die Spleens der anderen Figuren. Chris‘ Vater Julius ist der hart arbeitende Geizhals, der alle Preise im Kopf hat und stets tobt, wenn er seine sauer verdienten Cents in den Ausguss fließen sieht. Da auch Hobbys Geld kosten, hat er außer Schlafen keine, und so ist das beste Geschenk zum Vatertag dann auch eine bezahlte Stromrechnung (Folge 22). Chris‘ Mutter Rochelle will nach außen hin unbedingt eine normale Familie abgeben und auf gar keinen Fall als arm gelten. Sie liebt ihr geregeltes Hausfrauenleben, und ihre ausgelebten Impulse bewahren sie davor, stattdessen arbeiten zu gehen, und stets schickt sie nach einer Kündigung stolz hinterher: »I don’t need this! My man has two jobs!«, einen der vielen Running Gags der Serie. Außer mit ihren Figuren überzeugt die Serie aber auch mit ihrer gelungenen Achtzigerjahre-Ausstattung (der erste Walkman, Lederjacken, Arcade-Konsolen, Playboy-Hefte usw.), die für ein fröhliches Sich-Erinnern sorgt, auch wenn mit der Zeit die aufgedrehte Erzählerstimme von Chris Rock, der in »Everybody Hates Chris« seine Autobiografie ausschlachtet, etwas zu nerven beginnt. Aber nicht zu sehr.

*

9. The Simpsons   (17. Staffel, Fox)

Nach den doch recht schwächelnden Staffeln 15 und 16 ist die 17. Staffel neue Begeisterung wert. Zum Beispiel: Das »Make War Not Stamps«-Plakat gegen das Briefmarkenmuseum, das direkt neben das Simpsons-Haus gebaut werden soll (Folge 2). – Lisa lernt Italienisch aus Versehen mit dem Lehrbuch »Italian for Italian-Americans«: »Progetto di scaricare questo corpo nell’oceano« (»I plan to dump this body in the ocean«) (Folge 7). – Überhaupt die Italienaffinität der Staffel, in Folge 8 reisen die Simpsons quer durch das Land, wo die Zitronen blühen. – Die Weihnachtsfolge (9) mit Homers Evangelium, in dem Bart als Klein-Jesus mit Heiligenschein geboren wird. – Oder die »Seemingly Never-Ending Story«, die sehr plastisch mehrere Erzählrahmen setzt (Folge 13). – Folge 15 von und mit Ricky Gervais aus dem BBC-»Office«, die übrigens mit einem (vom UK Sky Network gedrehten) Vorspann gesendet wurde, in dem echte Schauspieler die Comicfiguren ersetzen (siehe YouTube). – Die Seegeschichten in Folge 18: Lisas Neufassung der Mayflower-Überfahrt und Barts Version der Bounty-Meuterei. – In Folge 21 landet Ned Flanders mit seinen Söhnen zufällig in einer Darwinismus-Ausstellung, die er sofort wieder verlässt, weil er diese seinen Söhnen ersparen will, die aber gleich nachfragen: »Daddy, was mommy a monkey? I can’t remember.« Flanders: »No one was *ever* a monkey!« – Und dann natürlich der schön überzogene Pseudo-Cliffhanger am Ende der letzten Folge: Eine uneingeführte Nebenfigur, ein Spieler der Springfield Isotopes, hat gerade herausgefunden: »Bandits just kidnapped my mother!«, untermalt von einem dramatischen Tusch.

*

10. Veronica Mars   (2. Staffel, UPN)

»It just went straight off the cliff. They’re all dead!« Gleich in der ersten Folge rast der Schulbus aus unerklärlichen Gründen die kalifornischen Klippen runter, und mit den letztlich 6 toten Schülern plus Lehrerin plus Fahrer verursacht die Teenieserie in einer Szene gleich mehr Tote als das »A-Team« in all seinen Staffeln zusammengenommen. Entlang der Verwicklungen um den Buscrash ist die zweite Staffel so überbordend mit halben Spuren und Nebenhandlungen gefüllt, dass ihr die 22 Folgen kaum ausreichen. Sie will erzählen und die vielen Verwicklungen der Handlung forttreiben und wirft dabei manchmal etwas Plausibilität über Bord, aber ganz à la Hitchcock, der François Truffaut einst mitteilte: »Ein Kritiker, der mir etwas von Wahrscheinlichkeit erzählt, hat keine Phantasie.« Höhepunkt in dieser Hinsicht ist sicherlich Folge 13, die man sich lieber zweimal ansehen sollte, um auch alles mitzuschneiden. – Eingeleitet durch den starken Intro-Song »We Used To Be Friends« von den Dandy Warhols gibt Veronica nach wie vor die Jungdetektivin, die ihre Fälle vorwiegend auf dem Mädchenklo annimmt. Sie ist das nicht ganz sprichwörtliche starke Mädel von nebenan, das auf ihre Art die schlimme (Männer-)Welt verbessern möchte. Einer Mitschülerin, die Opfer eines kleineren Rufmords geworden ist, empfiehlt sie als Gegenmittel gegen die Schikanierungen ein »getting tough«: »You get tough, you get even.« (Folge 8) Ästhetisch hat sich »Veronica Mars« viel von anderen Serien abgeschaut, von »Six Feet Under« etwa die geflashten Rückblenden sowie die Erscheinungen der toten Lilly Kane und der durch den Buscrash umgekommenen Mitschüler und von »Desperate Housewives« das obsessiv über-den-Dingen-stehen-wollende Geraune aus dem Off, das aber hier zusammen mit den Coolness heischenden Kommentaren zunehmend nervt. Veronicas heimliche große Liebe Logan Echolls fragt sie dann auch an einer Stelle rhetorisch: »Can you just once save my ass without comment?« (Folge 12) Überhaupt ist Logan sicher die bei weitem interessanteste Figur der ganzen Serie, und Jason Dohring spielt sie mit all ihren Brüchen, ihren Sehnsüchten und ihren unlogischen Taten so, dass sie stetig an Faszination gewinnt. Trotz der nicht optimalen Einschaltquoten wird es übrigens eine dritte (und wahrscheinlich letzte) Staffel geben.

*

[ first published on satt.org and serienjunkies.de ]