Neue Erkenntnisse
Stanford, 3. Januar 2011, 11:30 | von Srifo
Endlich besteht die Möglichkeit, unsere Reduplikationssektion »Buchbuch« hintenrum etwas aufzubohren. Wenn es nämlich eine Sache gibt, die man von Jacques Derrida mitunter hätte lernen können, dann wohl die, dass übers Schreiben zu schreiben intellektuell ausgereizt und institutionell verkrustet ist.
Leider haben aber nur wenige die Fährten gewittert, die der Repräsentationsphilosoph sorgfältig dorthin gelegt hatte. Zum Beispiel ließ er sich für den Film »Ghost Dance« (in dem zwei wundersame Fräulein auf postmodernste Weise die Welt erkundschaften) klammheimlich nur vor einer verspiegelten Sitzecke im regnerischen New-Wave-Paris von 1983 aufnehmen. (Vielleicht liegt das aber auch daran, dass sich Derrida damals außer im Spiegelcafé höchstens noch in seinem gräulichen Büro im Pavillon Pasteur der ENS sehen lassen konnte. Das ist der zweite Schauplatz des Films, mit Pfeife und Telefonunterbrechung – »voilà, le téléphone, c’est le fantôme«. Bei YouTube in der schönen alten ZDF-Version.)
Wer da nur den ins Geistermedium Film gewölkten philosoph-spielenden Philosophen sah, lag prompt daneben. Hätte man im Café auf den Spiegel im Hintergrund geachtet – Rodolphe Gasché brauchte hier in den Staaten immerhin 3 weitere Jahre um vom »Tain of the Mirror« zu berichten – wäre fix klar gewesen, dass dieser nicht philosophiert. Glas mit aufgedampftem Silber denkt nicht.
Umso treffender ist es daher, dass Jürg Altwegg heuer mit kalter Schulter Benoît Peeters neue Derrida-Biografie rezensiert. Treffender, weil Altwegg sich im Gegensatz zu Peeters nicht darum bemüht, mit bewegenden Endnotizen das Buch oder die Materie zu umspielen, sondern schlicht schließt:
»… Nochmals gewinnt Peeters neue Erkenntnisse. Derridas Essgewohnheiten seien keineswegs so konservativ gewesen, wie er, Peeters, sich das gedacht hatte: ›Er war ein Feinschmecker und offen für kulinarische Abenteuer.‹ Derrida habe der Köchin seine Bücher geschenkt, ›die sie nicht immer zu verstehen vermochte‹. An der Biographie ihres Stammgasts wird sie sich freuen und ergötzen wie viele Leser, die – wie selbst sein wohlwollender Biograph – mit Derridas Werken ihre liebe Mühe haben.«
So ein einsichtenerstickender Ton findet sich ansonsten nur, wenn der »Hausmeister des deutschen Geistes« Rüdiger Safranski – »immer ein Lob wert« – rezensiert wird. Dem ist Unordentlichkeit das Schlimmste und sie muss ihm daher selbst umgemünzt in »gutes Barmixertum« (das Dieter Thomä 1994 ganz offiziell anerkannt hat) noch alle philosophische Aufgeräumtheit mit »überzuckerter Spätlese« à la heideggerienne verderben. Womit wir wieder am Ecktischchen im Paris der 80er wären.
Altwegg hat also in den Spiegel geschaut und bemerkt, dass Peeters wohl über Derridas Fährten drübergetrampelt ist, denn: Zusätzlich zu den 740 Seiten »Derrida« sind noch 247 Seiten unter dem Titel »Trois ans avec Derrida. Les carnets d’un biographe« erschienen, womit wir auch das Buchbuch hätten. Insgeheim ist Peeters also wohl Erzderridist, der durchführt, was er verstanden hat: Über das eigene Beschreiben des Schreibesschreibers ein Schreiben zu schreiben.
Für den einen wie für den anderen metaphysischen Lichtanknipser liest sich da ebenso schön, womit Thomä schließlich seinen Besuch bei Hausmeister Safranski beendete, davongekommen mit einem blauen Auge der 80er:
»Der existentialitische Stiefbruder Heideggers, Jean-Paul Sartre, hat sich einmal schaudernd gefragt, ob ›die Menschen überhaupt nie ein anderes Leben haben als das, welches sie verdienen‹. Für Heideggers Leben gilt dies sicherlich; den Biographen aber, den er verdiente, hat er noch nicht gefunden.«