Archiv des Themenkreises ›Der Spiegel‹


Die FAS vom 1. 6. 2008:
»Zur Erinnerung«

Rom, 4. Juni 2008, 23:57 | von Dique

Auch hier von Tauben eingekreist, am Sonntag, bei Sonnenschein, im Schatten des Konstantinsbogens. Und aus dem FAS-Feuilleton grüßte John McEnroe, ein Artikel von Tobias Rüther zur McEnroe-Biografie von Tim Adams. Aber ich dachte zunächst an das »Freak Book« und erst später an 1-a-Tenniswetter.

Denn in einer der besten Episoden der 6. Staffel von »Curb Your Enthusiasm« (wir berichteten) verdingt sich Larry als Limo-Driver und holt einen berühmten Fahrgast ab, nämlich John McEnroe. In der FAS wird er als »grau und drahtig und garstig« beschrieben, der auch mal »You’re shit!« ins Publikum des Düsseldorfer »Masters of Legends« brüllt.

In der Serie amüsiert sich der garstige Tennisstar später mit Larry lauthals über einem Bier in einer VIP-Lounge über dieses »Freak Book«. Und wir amüsierten uns beim Lesen der FAS-Leserpost. Einem Leser gefiel die traumhafte Titelseite mit der Haartracht von Gesine Schwan nicht (wir berichteten), wozu er Folgendes anmerkt:

Die FAS unterm Konstantinsbogen

Etwas schwer zu erkennen im Bild (im Hintergrund übrigens der erwähnte Triumphbogen), deshalb hier noch mal geOCRt:

»Zur Erinnerung: Es gibt in der deutschen Geschichte unselige Zeiten, in denen Menschen einer bestimmten Religionszugehörigkeit oder Rasse ähnlich selektiv-herabsetzend bildlich dargestellt wurden, was, wie wir wissen, die Vorstufe zur tödlichen Selektion war.«

Das schreibt also der unfassbare FAS-Leser, es klingt fast wie sehr gut ausgedacht, aber das Thema ist denn doch zu delikat.

Irgendwann, zwischen Trastevere, San Giovanni und Parioli, ging die FAS dann verloren, teilweise ungelesen. Glücklicherweise gab es am nächsten Morgen den frischen »Spiegel«, trotz feiertäglicher Festa della Repubblica. (Alles Gute, Silvio.)

Und in diesem »Spiegel« gibt es auf S. 40-43 ein Interview mit Gesine Schwan, und da sagt sie das hier:

»Vorige Woche hat eine Zeitung auf der ersten Seite ein Foto gedruckt, auf der nur meine Locken zu sehen waren. Ich habe mich totgelacht.«

So schnell kann es also heutzutage gehen mit der »tödlichen Selektion«, hehe.


Die FAS vom 25. 5. 2008:
Nils Minkmar: Große Kitsch-Geständnis-Beichte!

Rom, 29. Mai 2008, 23:59 | von Paco

Der »Spiegel« von dieser Woche war – gerade im Kulturteil – ein Hammerspiegel (allein die Rowohlt- und Winehouse-Storys!), dass man sich zurecht fragen wird, warum ich hier lieber wieder die FAS recappe. Also warum? Wir werden es wie immer nicht verraten.

Auch die letztsonntägliche FAS ist natürlich wie immer gut bestückt. Auf der Frontpage prangt ein Bild von Gesine Schwan. Dachte ich zuerst. Beim Aufklappen der Zäätung war da aber nur die Bildunterschrift und danach gleich ein anderer Text. Es ist also tatsächlich nur die großformatige Frisur der Schwänin zu sehen, ihre »auffällig hochgehauenen Locken«, wie es im Text auf S. 2-3 heißt. Der stammt von Oliver Hoischen, Eckart Lohse und Volker Zastrow und ist in einem ganz superb spiegelig gehaltenem Tonfall geschrieben.

(Falls diesen Recap in 10 Jahren noch mal jemand lesen sollte (unwahrscheinlich), kurz zur Erklärung: Gesine Schwan wurde einen Tag nach dem Erscheinen dieser FAS wie erwartet zur SPD-Kandidatin für die Bundespräsidentenwahl 2009 gekürt.)

Fortgesetzt wird der Lead vom Feuilleton-Aufmacher, den diesmal »der alte Schirrmacher« (Matussek) persönlich übernommen hat (»Der Roman, in dem wir leben«, S. 23). Es handelt sich um ein lässiges Zitate-Workout. Das Personenregister des Textes sieht so aus, unter Ausschluss von Leviathan und Parzifal, hehe:

Charles Dickens
H.G. Wells
Dirk Kurbjuweit
Honoré de Balzac
Thomas Mann
Gesine Schwan
Horst Köhler
Peter Hacks
Mary Shelley
Friedrich Dürrenmatt
Leszek Kołakowski
Sahra Wagenknecht
Andrea Nahles (»Frau Nahles«)
Kurt Beck

Weiters hat Julia Encke ein Interview mit dem hervorragenden israelischen Autor David Grossman geführt (S. 25), der hinsichtlich des Nahostkonflikts rhetorisch auf die Tube drückt:

»Wir haben nur noch wenig Zeit, ich denke, drei bis fünf Jahre. Wenn in diesem Zeitraum keine keine Lösung gefunden wird, habe ich aufrichtig Angst um die Zukunft aller Seiten.«

Grossmans Hauptwerk (so nenne ich das jetzt mal ohne Umschweife), das auch gut als Einführung in sein Œuvre geeignet ist, kann man sich übrigens auf YouTube ansehen. Vorsicht, Ohrwurm! Es handelt sich bei dem »Sticker Song« um die von Hadag Nachash unternommene Vertonung & Bebilderung eines Gedichtes von ihm. Das fällt angenehmerweise auch weniger prophetisch aus als das Zitat oben, eher sozialrealistisch bis expressionistisch.

Im Feuilleton gibt es diesmal auch eine Art Centerfold, ein Special zu Jupp Darchingers Farbfotos aus der Urzeit der westdeutschen BRD (S. 26-27). Ein paar Bilder werden gezeigt, außerdem hat Sascha Lehnartz ein Interview mit dem Fotografen geführt und Claudius Seidl einen einschätzenden Text geschrieben. Eine Bilderserie gibt es bei SP*N, die Snapshots sind ja auch prädestiniert für deren »einestages«-Rubrik.

Und dann …

… habe ich endlich mal diese (nicht mehr ganz so) neue Kolumne »Nackte Wahrheiten« gelesen. Der lustige Textcontainer hat ja vor einiger Zeit Peter Richters Jahrhundertkolumne »Blühende Landschaften« abgelöst und wird im Gegensatz zu dieser von wechselnden Autoren verfasst. Heute schreibt Nils Minkmar einen super Text, der die Überschrift trägt: »Pop-Beichte« (auch S. 26).

Er behandelt ein Thema, das ich bisher nur von Dietmar Dath her kenne: Warum kann man die Neuerscheinung eines Popveteranen als Rezensent nicht einfach mal nur gut finden, ohne gesuchte Abstriche, ohne einordnende Relativierungen usw.? Noch mal im Original:

»Weil die Disziplin der Popberichterstattung noch relativ neu ist, bemüht sie sich um verdoppelten Ernst und den Ausweis unmäßiger Anstrengung. Hat man je gelesen, dass sich ein Rezensent über die neue Platte einer beliebten Künstlerin einfach mal nur freut?«

Gut, das dürfte schon daran scheitern, dass auf diese Weise nicht genug Text erzeugt würde, und wenn man von Zeilengeld lebt, wird man derart leicht verhungern.

Sehr, sehr gut fand ich auch den Porträttext über Bürger Lars Dietrich, den Peer Schader für die Medienseite (S. 31) geliefert hat. Er handelt von einem sympathischen Entertainer, der nie richtig weg war, nachdem er vor allem mit seinem sagen-wir-mal Hit »Sexy Eis« berühmt wurde, aber auch nie wieder richtig da.

Und nach seinem sehr nicht-guten Text über die »Lindenstraße« neulich, singt Stefan Niggemeier in seiner Teletext-Kolumne die RBB-Trendsendung »Polylux« in den Schlaf. Bzw. landet einen Knockout: »Am besten funktionierte ›Polylux‹ zuletzt als Maßeinheit für verspätet entdeckte Zeitgeistthemen.« Wir alle wissen, was gemeint ist.

Das wirkliche Highlight dieser Ausgabe ist aber wie so oft im Gesellschaftsteil zu finden. So abenteuerlich wie damals bei seiner »Subway«-Safari geht es zu, wenn Jürgen Dollase diesmal Fertiggerichte testet und mit dem eher unangebrachten Gourmetvokabular zu beschreiben versucht (»Aufgewärmt und abgesahnt«, S. 56). Da ist jeder Satz ein Hit, bitte laut vorlesen!

Erwartungsgemäß kommt das Meiste nicht gut weg, obwohl Dollase erkennbar den benefit of the doubt walten lässt. Trotzdem wird es ein Stelldichein von Verrissversatzstücken:

»… um Klassen schlechter als alles, was in einer durchschnittlichen Stehpizzeria anzutreffen ist.«

»… eine penetrante Überwürzung, die die Geschmackspapillen geradezu lähmt.«

Usw. usf. Auch positive Beispiele werden gegeben, und die werde ich nächstens gleich mal kaufen gehen.


Fußball-Feuilleton (Teil 1):
Die beste Stadionzeitung zur Fußball-EM

Konstanz, 23. Mai 2008, 07:19 | von Marcuccio

Fußball-Paralipomena gibt’s heutzutage eigentlich überall, und wohl spätestens das Masern-Szenario im letzten »Spiegel« (20/2008, S. 44) macht klar: Zwar ist die »Euro 08« noch lang nicht angepfiffen, aber trotzdem (oder gerade deswegen) läuft der Nachrichtenzirkus längst rund.

So kommt mit jedem Turnier wieder dieses Festival der Meldungen, die die Welt nicht braucht und doch ganz gerne feiert. Mein liebstes Genre ist ja die Großveranstaltungs-Apokalyptik: Neulich zum Beispiel gingen der Schweiz schon die Kartoffeln für die Stadionpommes aus, davor die Pelle für den Cervelat … (und wer erinnert sich nicht noch an diesen ominösen Stadiontest, mit dem die Stiftung Warentest vor 2 Jahren sogar dem Bundesinnenminister ein Statement abrang, vor allem aber Franz Beckenbauer die legendäre Empfehlung, man solle sich doch besser um »Gesichtscremes, Olivenöl und Staubsauger« kümmern …).

Für alle, die in den nächsten Wochen da wieder mittendrin statt nur dabei sein wollen, empfehle ich heute mal die Original-Veredelungs­rubrik dieser Euro 08 im Feuilleton: die »Eurokolumne« der taz.

Die sympathische Serie erscheint immer wieder samstags (hier die Folgen I, II, III, IV, V, VI, VII zum Nachklicken) und ist allein schon wegen ihres ebenso simplen wie genialen Drehbuchs originell: Tobi Müller (CH) und Ralf Leonhard (A) zählen den Euro-Countdown im wöchentlichen Wechsel von der Gastgeberseite her runter und sortieren, stilisieren, zelebrieren dabei EM-Notizen, was das Zeug hält.

Daneben schlagen die beiden nativen Korrespondenten aber auch über den Fußball hinaus schöne Flanken aus der Tiefe des deutschsprachigen Raums, Flanken, auf die ich – als Umblätterer mit Euregio-Einsitz – natürlich noch zurückkommen muss und werde. Just for fun also ab sofort eine kleine Eurokolumnen-Eskorte mit allen Toren, den schönsten Szenen und Hintergründen zum Spiel.


Oliver Gehrs macht nicht mehr den Gehrs

Konstanz, 15. Mai 2008, 13:39 | von Marcuccio

Habe eben bei WatchBerlin meinen ganzen Rückstand an »Blattschuss!«-Videos aufgeholt – und plötzlich ist eine Blog-Epoche Geschichte, denn: Oliver Gehrs hat jetzt einen Gemischtwarenladen eröffnet.

Mittlerweile bespricht er »Humanglobaler Zufall«, »Weltwoche«, »Liebling«, »Vanity Fair«, »SZ«, WamS, FAS, ein Magazin namens »clap« und die »Zeit« mal eben alle neben- und durcheinander. Ein Kommentator bei WatchBerlin pointiert das so: »blattschuss ist jetzt ja fast wie heidenreich, nur die promis fehlen.«

Also, ich fand seine Fixierung auf den »Spiegel« einfach markiger, die Hassliebe, dieses junkiehaft-besessene Dransein am »Spiegel« allein. Die plötzliche Erweiterung hin zur Presseschau verwässert das ganze Gehrs-Projekt.

Denn »den Gehrs machen«, das war ja eben gerade NICHT die Idee, ein, zwei, drei beliebige Blätter, die der Wind des Medienkarussells gerade heranweht, aus der Luft zu greifen (ach, Poschardt jetzt bei der WamS, schauen wir also mal in die WamS).

Nein, »den Gehrs machen« hieß, das deutsche Nachrichtenmagazin so exklusiv und unbedingt zu bebloggen, dass es schon fast etwas (sympathisch) Fanatisches, ja Absolutistisches hatte. In seinen besten Momenten war er fantastisch mythenbildend, dieser »Spiegel«-Vorleser mit dem Erfahrungsvorsprung eines Ex-Redakteurs, der uns »Spiegel«-Mitleser immer wieder grandios unterhalten konnte.

Wir haben den WatchBerlin-Vlogger ja nicht umsonst mit einer Großen Oliver-Gehrs-Nacht gefeiert, und als Fans hätten wir uns natürlich auch in Zukunft einen exklusiven Fürsprecher für erhaltenswerte »Spiegel«-Traditionen gewünscht.

Oder wer sollte und wollte jetzt so grinsend aus dem Ärmel heraus bemängeln, dass die Hamburger eine kleine aber feine Rubrik wie »Der Spiegel vor 50 Jahren« im Leserbriefteil einfach mal zugunsten des billig medienkonvergenten »Diskutieren Sie auf Spiegel Online« aufgegeben haben?

Anyway, es ist vorbei. Gehrs’ »Spiegel«-Absolutismus hat abgedankt, und der plötzlich mit relativem Allerlei konfrontierte »Blattschuss!«-Zuschauer weiß noch nicht, ob er die neue egalité gut finden soll.

Es ist natürlich das Schicksal eines jeden, der seine Sache so gut macht(e), dass wir ihm nicht zugestehen, etwas Neues zu machen. Und so müsste man vielleicht auch akzeptieren, dass Gehrs sich lebensphasentechnisch an seinem »Aust-Komplex« abgearbeitet hat.

Die Demission dieser Leitfigur (wie auch die seines Lieblingsfeindes No. 2, Matthias Matussek) hatte er ja in gewisser Weise (z. B. mit »Blattschuss!« flankierenden »taz«Artikeln) gefeiert wie Trophäen. Jetzt scheint diese Beute aber erle(di)gt, und die ursprüngliche Blattschuss-Mission des Jägers Gehrs irgendwie auch. Und bei dem ganzen neuen Blatt-Wild vor seiner Vlog-Flinte hat er einfach noch nicht die optimale Form gefunden.

Warum küren wir in dieser Phase des Übergangs nicht schon mal die »Best of« des Gehrs’schen Frühwerks? Zu meinen Lieblings-Blattschüssen zählt die mit dem emsigen Fleiß eines echten Fans aufgemalte und geklebte und in ihrer Faktizität eben doch ernüchternde Verkaufskurve der Titelgeschichten (»Hitler zieht immer«). Ob diese Erkenntnis am Ende vielleicht schon als Erklärung für das Ende der »Spiegel«-Monogamie genügt?


Die FAS vom 4. 5. 2008:
Lindenstraße, Lenz, Löwenzahn

Göttingen, 4. Mai 2008, 22:42 | von Paco

In der Kolumne von Stefan Niggemeier, die immer als Seitenfüller neben dem TV-Programm vom Sonntag steht, wird heute gegen die »Lindenstraße« gewettert (S. 34). Auch wenn der altehrwürdige ARD-Dauerhit in Wirklichkeit natürlich eine der interessantesten, einfallsreichsten & trotz der nur knapp 30 Sendeminuten pro Woche abwechslungsreichsten Serien der Welt ist, geht der Verriss absolut in Ordnung. So wie man ja auch Niggemeier-Artikel öfters mal schlecht findet, obwohl man sie eigentlich meist gern wegliest.

Goddag! Volker Weidermann hat Siegfried Lenz in Sønderhav besucht, knapp hinter der deutsch-dänischen Grenze (S. 27). Wieder wurde eines der beiden Fotos vom Autor geschossen – solche Schnappschuss-Eigeninitiativen forciert die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung« ja in ihrem Feuilleton, und wie von uns schon mehrfach behauptet, das kommt sehr gut: Siegfried Lenz mit offener Jacke, einem rötlichen Schal und einer Art Herrenhand­tasche, sympathisch lächelnd. Warum immer Agenturfotos wenn ein Autor nicht auch vor Ort schnell mal seine Digicam draufhalten kann? Die dadurch erzielte Authentizität steht problemlos höher im Kurs als eine korrekte Brennweiteneinstellung.

Textlich gibt es vor allem Anekdoten: die vom »deutschen Dänen Lenz«, wie der Autor von einer Regionalzeitung genannt wurde; oder die von seiner Handschrift, die Lenz‘ verstorbene Frau als »künstlerisch organisierten persischen Küchendreck« bezeichnet hat. Wie in jedem guten Autorenporträt wird hier nicht wohlfeil an irgendwas herumgekrittelt, und überhaupt, schreibt Weidermann, scheint es »unmöglich, ein böses Wort in seiner Gegenwart auch nur zu denken«. Konkreter Anlass des Treffens war übrigens das Erscheinen des neuen Lenz-Romans »Schweigeminute«. Am Ende wird der FAS-Redakteur von Lenz auch noch brüderlich umarmt. Farvel!

Eine Seite weiter gibt es, jetzt schon, eine würdige feuilletonis­tische Einordnung des Amstetten-Falls, eine Materialsammlung zum »manischen Wunsch nach Deutung« solcher Tragödien (S. 28). Nils Minkmar schlägt viele Bedeutungsbrücken, beginnt mit Kaspar Hauser, zitiert dann Reemtsma genauso herbei wie einen »Daily Mail«-Autor, außerdem Sarkozy, Manfred Deix und Elfriede Jelinek, »Tante Prusselise« aus dem Pippi-Langstrumpf-Storykosmos (sehr gute Idee), dann noch Platon, Dante und Pulp Fiction, David Lynch und J.-C. Carrière. Minkmars Diagnose fällt dabei pessimistisch aus:

»Vergewaltigung, Folter und Mord sind bereits verboten. (…) Etwas mehr Ermittler in den Jugendämtern wären gut, aber auf Sadisten, Kannibalen und Serienmörder ist keine Verwaltung vorbereitet.«

Er geht aber in der Deutung noch einen Schritt weiter: Die schallgedämpften Privatverliese, aus denen kein Mucks nach außen dringt, haben auf der Ebene der modernen Kriegsführung nämlich ihre Äquivalente in »nicht ausgewiesenen Gefängnissen, Folter ohne Blutvergießen und unrechtmäßig entführten Personen«. Soweit die Feststellung, leichter wird das Verständnis durch so eine Einordnung natürlich nicht. Trotzdem ist dieser Artikel mehr wert als alle zum gerade aktuellen Fall stattfindenden Detailhatzen.

Unter diesem Artikel beantwortet dann Marcel Reich-Ranicki eine Frage zu Wolf Biermann. Er ergeht sich eigentlich in einem ziemlichen Lob des Dichters. Vor allem dessen Nichteinordenbarkeit wird für gut befunden. Lustigerweise beginnt aber der letzte Absatz so: »Es ist jetzt still um Biermann geworden, …« – Reich-Ranicki schreibt damit dasselbe, was Volker Weidermann vor 2 Jahren in seiner Literaturgeschichte »Lichtjahre« geschrieben hat (»sehr, sehr still«). Damals hatte Biermann seinen Verlag Ki&Wi verlassen, bei dem auch das Buch von V. W. erschienen war.

Noch kurz zum Wirtschaftsteil: Aus irgendeinem Grund gibt es in diesem FAS-Ressort mit die besten Interviews der deutschen Medienlandschaft – das ist in unseren FAS-Rundowns schon oft durchgeschienen. Ob man da dem »Spiegel« den Rang abgelaufen hat (der ja bis auf ein paar lustige Patzer weiter souverän Leute interviewt), das will nicht ich beantworten müssen. Heute ist jedenfalls der seltene Gesprächspartner Bernhard Schadeberg dran, der Krombacher-Chef (S. 37). Auch dieses Entretien trifft wieder die für eine Sonntagszeitung ideale Mischung aus Business & Entertainment.

Im Wissenschaftsteil gibt es dann noch einen Artikel von Susanne Donner über die »Nazi-Pflanze« Löwenzahn (S. 67). Diese Deutungsvariante vergisst aber vollkommen, dass die kulturhistorische Stellung der schönen Pflanze Löwenzahn im deutschen Sprachraum durch die gleichnamige Kindersendung mit Peter Lustig unabänderlich bestimmt ist. Da hilft auch kein Foto mit Löwenzahnblüten, in das so eine Art Hakenkreuz-Wasserzeichen eingearbeitet ist (holla!). Der Artikel eignet sich aber sicher hervorragend als Materialbasis für einen noch ausstehenden Teil der »Hitler«-Serie von Guido Knopp: »Hitler und die Blumen«.

(Ganz kurz noch: Nachdem der zweifelhafte Ruf des kautschukhaltigen Löwenzahn verjährt sei, beginne jetzt so langsam wieder die Löwenzahnforschung.)

Usw.


Caravaggio – Kunstgeschichte, Krimi und Rom

London, 16. April 2008, 19:28 | von Dique

Ich lese gerade das Buch »The Lost Painting« (2005) von Jonathan Harr, so ziemlich das Beste, was ich seit einer ganzen Weile in die Finger bekam (NYT-Review und 1. Kapitel). »He could retire after writing this book«, schreibt ein anderer Fan über Harr. Es geht um Caravaggios »The Taking of Christ«, welches jahrelang als verschollen galt und heute in der National Gallery in Dublin hängt.

Harr schreibt in journalistischer Berichtsform, ein bisschen »spiegelig«, über die Ereignisse, die zur Auffindung des Bildes führten, natürlich beginnend in Rom und mit Denis Mahon, einem der wichtigsten Caravaggio-Experten, wie er gerade über die Piazza della Rotonda am Pantheon zu seinem Stammlokal »Da Fortunato« spaziert, um im kleinen Kreis ein Mahl einzunehmen.

Dann lässt ihn der Autor mit der Geschichte beginnen, ein ganz klassisches Setup, ein bisschen wie »1001 Nacht«. Ein Erzähler beginnt, gibt den Rahmen vor, und dann gleitet man in die Geschichte.

So fängt zum Beispiel der Film »Der Dieb von Bagdad« (1940) an oder »Sindbad der Seefahrer« (1947), ohne Zyklopen, dafür mit dem Schurken Melik, der viel bedrohlicher ist als die zyklopischen Pappkameraden von Ray Harryhausen. Die Melik-Figur erinnert mich ein bisschen an Ben von der »Lost«-Insel, die undurchsichtige Gestalt im Hintergrund. Unendlich fortsetzbare Assoziationskette.

Aber zurück: »The Lost Painting« ist auch deshalb edel, weil ich gerade ein anderes Buch über Denis Mahons Gemäldesammlung gelesen habe (vieles davon hängt hier jetzt in der Londoner National Gallery). Irgendwann in den Siebzigern hörte Mahon einfach auf, Bilder zu kaufen. Italienischer Barock wurde wieder populär und die Bilder teuer wie die Sünde.

Weiter heißt es im Buch, dass Mahon nie selbst einen Caravaggio besessen hat. Diese Information stimmt so nicht mehr, denn eine von ihm vor kurzem (2006) für £50,000 gekaufte Kopie des »Falschspieler«-Bildes von Caravaggio entpuppte sich ein Jahr später als Original und soll nun um die £50 Mio. wert sein.

Nichtsdestotrotz ist das Harr-Buch ein toller Mix aus Kunstgeschichte, Krimi und Rom. Vom Style erinnert es mich komischerweise an Graysmiths »Zodiac«, weil das eben auch in diesem »Spiegel«-präzisen Style daherkommt.

Usw.


Wilhelm Ostwald und die drehbare Étagère

Leipzig, 3. April 2008, 07:56 | von Paco

Über Wilhelm Ostwald wird eigentlich nicht mehr in fachfremder Presse berichtet, über das Leipziger Wilhelm-Ostwald-Gymnasium hingegen schon, so wie vorletzte Woche auf SP*N (22. 3. 2008).

(Das war eine Reprise des »Spiegel«-Artikels der Ausgabe 21/2005, S. 172-174, der vom selben Autor stammt, Manfred Dworschak. Recap: Begabtengymnasium mit auch international erfolgreichen Schülern. Wettbewerbsgeist werde gefördert. Frontalunterricht können die alle ab, weil das für sie nur die Vorstufe zur Praxis sei. Ein Lob der DDR, die mit Begabten kein Problem hatte. Im Westen sei das Wort Begabung immer noch verdächtig. Usw.)

Am Wochenende fand ich aber eine genuine Wilhelm-Ostwald-Stelle. Der 2004 erschienene dtv-Band »Bücher sammeln« von Klaus Walther hatte auf meinem To-do-Stapel obenauf gelegen und wurde von mir also endlich weggelesen. Das Buch ist ein wenig onkelig geschrieben, was beim Thema Bibliophilie wahrscheinlich auch Teil des Plans ist. Es liefert aber auch viele ganz hervorragende Anekdoten, unter anderem diese:

»Wilhelm Ostwald, der erste deutsche Nobelpreisträger für Chemie, ließ einst in Großbothen bei Leipzig die Fundamente seines Landsitzes verstärken, damit er seine Bibliothek dort unterbringen konnte. Die vierzigtausend Bände hätten ansonsten das Gebäude den Hang hinuntergezogen. Ostwald war ganz sicher kein Bibliomane oder gar ein Bibliophiler, er war ein leidenschaftlicher Organisator wissenschaftlicher Arbeit. Dass er seine Büchermassen um sich hortete, verzeichnete er unter dem Lebensbegriff ›Energieeinsparung‹, die er bis in komische Details betrieb. So musste auf dem Esstisch immer eine jener drehbaren Etageren stehen, damit sich jeder Tischgast wortlos die Butter oder den Käse heranholen konnte. Das Tischgespräch wurde nicht durch so profane Einwürfe wie ›Geben Sie mir doch bitte die Butter‹ unterbrochen. Man sparte damit Energie, wie Ostwald meinte. Nun ja, so weit kann man es mit Energieeinsparung treiben.« (S. 12-13)

Die drehbare Étagère, das klingt sofort irgendwie sprichwörtlich. Was für ein Utensil! Wenn wir nicht schon ein Wappentier hätten, wäre sie ein heißer Kandidat, hehe.


Jonas Kaufmann

Leipzig, 12. Februar 2008, 07:37 | von Austin

Die Jonas-Kaufmann-Wochen sind ausgebrochen im deutschen Feuilleton. Und schon allein das untergräbt die konsumkritische »Diese Marketing-Strategie machen wir nicht mit«-Haltung, die diese Artikel durchzieht. Ein Arien-Album ist erschienen, und Jonas Kaufmann sieht passabel aus – Kommerz! schreit das Feuilleton. Geil. Wie berechenbar ist das denn. Der Kulturbetrieb argwöhnt, mit einer neuen Anna Netrebko belästigt zu werden, und macht dann kräftig mit, sich auf das eine Kriterium zu stürzen, das offensichtlich dazu ausreicht: Aussehen. Ansonsten: Stille. Weiteres fachlich Relevantes wird letztlich nicht geliefert.

Kaum ist also Rolando Villazón dauerhafter abgemeldet, sucht man nach einem neuen Partner für die schuhschmeißende Netrebko. Der »Spiegel« hat dann neulich seinen Opern-Kisch Moritz von Uslar in die Spur geschickt (Ausgabe 3/2008, S. 132-133), und der fand eben dann offenbar Jonas Kaufmann und rief direkt gleich mal das »Kaufmann-Jahr« aus, was aber, Grüße an die PR, im Prinzip auch schon 2005, 2006 oder auch 2007 hätte ausgerufen werden können.

Hingegen wuchtet Axel Brüggemann in seinem Artikel »Auf der Tonleiter nach oben geschoben« in der von uns wie immer gefeierten vorletzten FAS (3. 2. 2008, S. 53) viele schöne Anekdoten aneinander, die man über jeden, der im Opernbetrieb halbwegs Erfolg hat, hören kann, wenn man nur lange und spät genug in der Kantine nachfragt.

Er gelangt dabei zu folgender Erkenntnis: Im Vergleich zu irgendwelchen (schuldigung, Fritz) Vorbildern »fehlt im offenbar (…) die Stimme«, es mangele ihm an »vokaler Kraft«. Und dann der ultimative Tiefschlag: »Bei Jonas Kaufmann klingt es ein bisschen, als habe er die CD wirklich unter der Dusche aufgenommen.« Herrliche Polemik, der wir nicht widersprechen wollen, wir behaupten nur das Gegenteil.

Und stellen zwei Fragen: Warum fällt man auf so ein klassikradiohaftes Best-of-Album herein, anstatt in den letzten Jahren, in denen es dazu mehr als reichlich Grund gegeben hätte, vernünftig über Kaufmann berichtet zu haben. Und ihn als eben doch talentierten Mozart- und Verdi-Tenor wahrzunehmen, der als Alfredo oder Rodolfo viele hinter sich lässt. Und das nicht nur gesanglich. Was uns zur zweiten Frage führt: Warum keiner diese Connaisseure den gerade in der Oper mehr als erwähnenswerten Aspekt erwähnt, dass J. K. einfach mal über ein mehr als nur überdurchschnittliches Schauspieltalent verfügt.

Im Hintergrund laufen übrigens gerade Kaufmanns Strauss-Lieder, wobei, Moment, die Nummer 3 (»Die Nacht« von Hermann von Gilm zu Rosenegg, was für ein Name) scheint gerade einen Sprung zu haben, mal nachschaun.


Der Spiegeltaucher – Am Montag im »Spiegel«

Leipzig, 10. Februar 2008, 12:50 | von Paco

Gibt es eigentlich außer Oliver Gehrs niemanden, der einen auf den aktuellen »Spiegel« vorbereitet? Wir haben schon mal vorgelesen und geben hier eine Zusammenfassung der wichtigsten Artikel aus den einzelnen Ressorts der morgen erscheinenden Ausgabe 7/2008 (11. 2. 2008), Titel: »Der Messias-Faktor. Barack Obama und die Sehnsucht nach einem neuen Amerika«. Eine Kompakt-Version dieser Vorschau gibt es bei medienlese.com, das komplette Inhaltsverzeichnis bei spiegel.de.

[ Hausmitteilung | Deutschland | Gesellschaft | Wirtschaft |
Titel | Ausland | Wissenschaft | Kultur ]

HAUSMITTEILUNG

Los geht’s: In der »Hausmitteilung« (S. 5) gibt es selbstkritische Worte zum schlecht geplanten Wechsel in der Chefredaktion. Außerdem werden Modernisierungen unter dem neuen Führungsduo Georg Mascolo/Mathias Müller von Blumencron versprochen.

DEUTSCHLAND

Ralf Neukirch und René Pfister beschreiben die CDU als »Kanzlerwahlverein« (S. 28-30). Angela Merkel käme ganz ohne CDU-Nostalgie aus und könne daher die Rituale der »Männerpartei CDU« ignorieren. Geschult an den nötigen Kompromissen bei der Arbeit in der Großen Koalition, umarme sie widersprüchliche Positionen lieber statt Polarisierungen Raum zu geben und so die Kontur der Partei zu schärfen. Das könne für die CDU ein Problem werden. Kritik aus den eigenen Reihen habe sie nicht zu befürchten, denn die Riege der CDU-Ministerpräsidenten sei zu einer »ziemlich kläglichen Truppe« geworden.

Die Oldenburger Ausstellung »Kaiser Friedrich II. 1194-1250. Welt und Kultur des Mittelmeerraumes« sei »die erste Ausstellung auf deutschem Boden«, die sich allein dem Stauferkönig widmet, schreibt Klaus Wiegrefe (S. 46-48). Ursprünglich sollte Friedrich vor allem als Vermittler zwischen Morgen- und Abendland zelebriert werden. Nach Protest von Historiker zeichnet die Ausstellung nun offenbar ein differenzierteres Bild, zu dem sowohl Friedrichs Reformen und seine Förderung der Wissenschaften als auch seine »nachweisliche Grausamkeit« gehören.

Ein siebenköpfiges Autorenteam schildert ausführlich die Verdachtsmomente, die sich zur Ludwigshafener Brandkatastrophe vom letzten Sonntag angesammelt haben (S. 36-38). Die Polizei ermittele in alle Richtungen, und die »Spiegel«-Redakteure skizzieren die kursierenden Thesen und Indizien. Sie beleuchten vor allem auch die politischen Dimensionen, die Spannungen im deutsch-türkischen Verhältnis, zu denen die unterschiedlichen Vermutungen und vorschnellen Anklagen geführt haben.

GESELLSCHAFT

Mal eine halbwegs gute Nachricht zum Thema Jugendgewalt gibt es im »Gesellschafts«-Ressort (S. 54-58). Fiona Ehlers berichtet vom baden-württembergischen Jumega-Projekts (»JUnge MEnschen in GAstfamilien«), das schwererziehbare, gewalttätige Jugendliche zwischen 10 und 16 Jahren für bis zu zwei, höchstens drei Jahre an Gastfamilien vermittelt. Das Konzept scheint aufzugehen, das Erleben familiärer Strukturen und Regeln in selbst »unperfekten« Familien gebe den Jugendlichen Halt und lasse sie den Kontakt zu den Gasteltern auch nach ihrer gemeinsamen Zeit aufrecht erhalten.

WIRTSCHAFT

Frank Hornig führt ein Interview mit dem Netscape-Gründer Marc Andreesen (S. 72-74). Entlang der IT-News der letzten Wochen beschreibt Andreesen die Entwicklung des Internets »zum wichtigsten Medium überhaupt«, da alle anderen Kommunikationstechniken und Medienarten »massenweise« ins Internet strömten. Außerdem geht es um sein neues Start-up Ning, eine Plattform für soziale Netzwerke.

TITEL

In der Titelgeschichte schreiben Marc Hujer und Klaus Brinkbäumer über »Barack Obama und die Sehnsucht nach einem neuen Amerika« (S. 88-98). Sie fragen, ob Obama (»ein politischer Poet, ein Menschenfänger«) es ernst meint mit der angekündigten »Politik von unten«, ob seine mögliche Präsidentschaft tatsächlich eine historische Wende à la Roosevelt und dessen New Deal einleiten könne. In einem »Land der Untergangsszenarien« verbreite er jedenfalls starke Hoffnung auf einen Wechsel. Ab der Mitte des Artikels werden seine Lebensstationen genau abgearbeitet, denn sein Werdegang sei wichtiger als seine Programmpunkte, die ohnehin denen Hillary Clintons ähnelten: »Obama ist kein Politiker, der sich über seine Überzeugungen definiert, es geht um seine Identität.« Da die unterschiedlichen Lebensstationen auf die unterschiedlichen Wählergruppen jeweils unterschiedlich wirken, kapriziere sich Obama darauf, die jeweils »richtigen Versatzstücke seines Lebens« zu erwähnen.

Im anschließenden Interview mit dem republikanischen Präsidentschaftsbewerber John McCain (S. 99-104) verspricht dieser die Rückkehr der USA zur Multilateralität und zu neuen Verhandlungen über das Kyoto-Protokoll. Einen vorschnellen Abzug aus dem Irak lehnt er ab: »Ich habe die Absicht, diesen Krieg zu gewinnen«. Innenpolitisch spricht er sich für einen schlanken Staat und Steuersenkungen als Wachstumsmotor aus. Den Vorwürfen (so muss man das wohl nennen) aus dem eigenen Lager, er wäre zu liberal, begegnet er mit der Aussage, er sei »stolz darauf, konservativ zu sein«.

AUSLAND

Aus Florenz, einer Stadt, in der selbst der Hausmeister noch mit einem Bildband zur Seicento-Malerei wedelt, berichtet Alexander Smoltczyk (S. 117). Es geht um das »Stendhal-Syndrom« oder »Hyperculturamie«: Regelmäßig werden Kunsttouristen von der Schönheit und Masse Florentiner Kunstschätze derart überwältigt, dass sie mit Schwindelgefühlen ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen.

WISSENSCHAFT

In ihrem Artikel »Hörsaal im Wüstensand« berichten Hilmar Schmundt und Samiha Shafy von der Schützenhilfe, die deutsche Professoren beim Aufbau von Universitäten auf der arabischen Halbinsel geben (S. 128-130). Der Ableger der RWTH Aachen im Oman sei aber nur das positive Gegenbeispiel eines Problems: Deutschland werde im Gegensatz zu den USA, Großbritannen, Kanada und Australien bei den großen Universitätsprojekten vor allem in Saudi-Arabien und den VAE außen vorgelassen. In der Gegend fehle »eine Erfolgs-Uni ›mit Leuchtturmfunktion‹«.

KULTUR

Jonathan Littell gibt äußerst selten Interviews. Zwei Wochen vor dem offiziellen Erscheinungsdatum der deutschen Übersetzung hat er jetzt mit Martin Doerry und Romain Leick über seinen Roman »Die Wohlgesinnten« gesprochen (S. 150-153). Der Autor ist neugierig auf die Rezeption in Deutschland und warnt vor der Historisierung des Holocaust, indem man ihn losgelöst vom Krieg diskutiert: »die gesamthistorische Betrachtung dejudaisiert das Problem auf eine bestimmte Weise, und das ist gut so, denn es ist ein universelles Problem. Der Holocaust war ja nicht eine Art Stammeskrieg zwischen Deutschen und Juden. Wäre es so gewesen, brauchte es alle anderen nicht zu interessieren.« Littell bekennt sich zur Konstruiertheit seines Ich-Erzählers Max Aue, sieht aber in »Kunst (…) die beste Möglichkeit, Wirklichkeit auszudrücken«. Mit seinem »Schreibexperiment« habe er »ein Fenster hin zum Unverständlichen öffnen« wollen.

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Schnütsgüfeli

Zürich, 31. Januar 2008, 18:15 | von Paco

Die Zeit im ICE reicht genau, um die heutige F-Zeitung und den »Spiegel« vom Montag durchzulesen. Als der Zug anfängt auf dem Zürcher Hbf zu halten, lese ich gerade den letzten Satz (»Shame on you.«) des 5-Seiten-Artikels zum US-Vorwahlkampf, den Gregor Peter Schmitz und Gabor Steingart geschrieben haben (S. 100-104).

Die Überschrift lautet: »Die Clintons im Krieg«, und es geht um die Endausscheidung im demokratischen Lager, um die rhetorischen Offensiv-Strategien, die Hillary und Bill gegen Barack fahren. Usw.

In der Innenstadt sammle ich dann alle erreichbaren Gratiszeitungen ein, die ich von der Berichterstattung auf medienlese.com her kenne, und gehe damit ins nächste Starbucks. Die dürren Blätter lesen sich von der Informationsdichte her wie gestreckte SMS-Nachrichten, man hat in eineinhalb Minuten einmal komplett umgeblättert.

In .ch stoße ich auf S. 18 im »people«-Teil auf ein schönes Interview mit Fabian Unteregger. Darin die Passage:

Frage: Wen würden Sie gern imitieren?

Antwort: Den Papst. Dann könnte ich ja 180 Sprachen. Ein Wort kann aber auch der Papst nicht aussprechen: Schnütsgüfeli.

Ich kenne natürlich das letzte Wort nicht und frage die Studentin neben mir. Innerhalb von 30 Sekunden spricht sich meine Wissbegier herum, die ganze untere Etage des Cafés ist in einer Art hilfsbereiter Aufruhr und strömt so halb auf mich zu mit immer wieder neuen Antworten.

Das Wort wird lauthals in seine Bestandteile zerlegt, dann die Bedeutung wieder zusammengesetzt. Jemand googelt die Vokabel, aber ein bisschen erfolglos.

Scheint evtl. ein interner Witz für die Unteregger-Gemeinde zu sein. Sachdienliche Hinweise sind willkommen, hehe.

Morgen dann Stippvisite beim Blogwerk. Und dann kommt noch Marcuccio angefahren und wir gehen umblättern in den zukünftigen Kaffeehäusern des Monats.