Archiv des Themenkreises ›Die Presse‹


Nachtzug nach Berlin

auf Reisen, 19. Dezember 2017, 01:25 | von Paco

Gestern Abend Ankunft in Zürich, sofort das Gepäck ins Hotel gedonnert, raus in die Altstadt und auf ein Schnitzel rein in die Rheinfelder Bierhalle. Fast nichts mehr frei, also setzte ich mich an einen Tisch mit einigen siebzigjährigen Freisinnigen und da redeten wir nun zwei Stunden über die Lage. Irgendwann richtete ich die Diskussion wieder gezielt auf das Réduit, diesen dann ja doch sehr konkreten Mythos, und eine Quartstunde lang hörte ich Neues und Altes über das schweizerische Bollwerk.

Heute Morgen hoch zur Universität, wie immer alles super dort, spätnachmittags wieder runter zum Bahnhof und mit den SBB erst mal nach Basel und dort zum Libanesen am Barfüsserplatz, wo ich mit ein paar Influencern zu libanesischem Rotwein verabredet war, bevor ich dann genau pünktlich den Nachtzug nach Berlin bestieg. Der wird ja inzwischen von den Österreichischen Bundesbahnen betrieben, und an Bord gab es einige Geschenke von der Nachtzugleitung und ein heutiges Exemplar der Wiener »Presse«.

Ich las das Printprodukt sofort durch und traf dann auf der Suche nach der Bordbar noch zufällig ein paar Spanier und es gab in diesem Kontext doch einiges zu trinken, fast soviel wie in der täglichen Aeroflot-Maschine von Moskau nach Málaga, und dann zog ich mich in mein Sé­pa­rée zurück und begann in diesem Zustand die zweite Staffel »Babylon Berlin« zu schauen und vergab spontan 10 von 10 Punkten, eine Wertung, die ich morgen früh vielleicht noch mal neu evaluieren sollte, wenn ich in Babylon Berlin angekommen sein werde, »zu Asche, zu Staub, dem Licht geraubt«, gute Nacht.
 


Lyrik gegen Medien!

Berlin, 18. Juli 2014, 09:21 | von Josik

Der Endreim ist in der Bevölkerung weit verbreitet. Die »Süddeutsche« und andere seriöse Zeitungen kolportieren derzeit ein Gedicht, das u. a. die folgenden Strophen enthält (Schreibweise behutsam verändert):

»FAZ« und »Tagesspiegel«?
Lieber kauf’ ich mir ’nen Igel!

»Taz« und »Rundschau«, ARD?
Hm, Moment, ich sage: Nee!

»Bild« oder »SZ« genehm?
Wie spät *ist* es? Ich muss geh’n!

Der Daumen, der nach unten zeigt,
der trifft bei mir auf Heiterkeit.

Viele andere Medien dürften sich aufgrund der Tatsache, dass sie in diesem Gedicht gar nicht erst erwähnt werden, erheblich düpiert fühlen. Um die Gefühle dieser Medien nicht zu verletzen, wird das Gedicht im folgenden lose weitergereimt.

»Mopo«, »Emma« und »Die Zeit«?
Hört gut zu, ich bin euch leid!

»Isvéstija« und »Kommersánt«?
Haltet einfach mal den Rand!

»Kronen Zeitung«, »Standard«, »Presse«?
Haltet einfach mal die Fresse!

»Tagi«, »Blick« und »NZZ«?
Früher wart ihr einmal phatt!

»Guardian« und »New York Times«?
Ihr vermiest mir voll die rhymes!

»Super Illu«, »Bunte«, »Gala«?
Für euch zahl’ ich nicht einen Taler!

»Börsen-Zeitung«, »Handelsblatt«?
Euch mach’ ich doch locker platt!

»Merkur«, »Lettre«, »Cicero«?
Euch spül’ ich sofort ins Klo!

Auch der Hokuspokus-»Focus«
liegt aus Jokus auf dem Locus!

»Junge Welt« und alte »Welt«?
Widewitt, wie’s euch gefällt!

ORF und ATV?
Euch Wappler mach’ ich jetzt zur Sau!

RTL und auch ProSieben
kann man sonstwohin sich schieben.

Mach’ es wie die Eieruhr:
Zähle die Minuten nur!

Und nun: Schafft zwei, drei, viele weitere Strophen!
 


Vorwort zum laufenden Feuilletonjahr (1/2014)

Leipzig, 2. Januar 2014, 13:14 | von Paco

Helgoland

1. »In Noworossisk steht seit knapp zehn Jahren das weltweit einzige Leonid-Breschnew-Denkmal.« (NZZ)

2. Huhu? Doch, die großen Fritz-J.-Raddatz-Festwochen sind jetzt vorbei!

3. Als nächstes steht hier am Dienstag, dem 14. Januar 2014, die feierliche Bekanntgabe der zehn besten Texte aus den Feuilletons des Jahres 2013 an. Zum *neunten Mal* wird dann unsere wundersame Siegtrophäe vergeben, der Goldene Maulwurf für den besten Kulturberichterstattungs- und -verarbeitungsartikel! (Ergebnisse vom letzten Jahr hier.)

4. JProgressBar: Die Longlist wurde mittlerweile sondiert, das Consortium Feuilletonorum Insaniaeque tagt, die Wahl läuft.

5. Bis zur feierlichen Bekanntgabe erscheinen hier aber noch ein paar andere Texte. Wir sind sozusagen grad frisch vom 30C3 zurück und kucken jetzt mal, was inzwischen alles an raddatzfreiem Material eingelaufen ist.

6. »Wenn Günter Brus schreibt, Camus habe einen ›Pestseller‹ verfasst, ironisiert er das sogleich.« (Die Presse)

7. »Der bisher kaum bekannte Autor David Vogel wird gerne in einem Atemzug mit Arthur Schnitzler genannt.« (noch mal Die Presse!)

8. »(…) der sympathische Bio-Metzger Wilhelm Hehe – das ›Hehe‹ ist zugleich Signum seiner Lachfreudigkeit auf seinen Wursttüten –, (…)« (FAZ)

9. Und nun: Der Sprung ins Dunkle!
 


Schneewuttke und die sieben Kleckslein

Berlin, 4. April 2011, 12:53 | von Josik

Noch heute ist auf der Rio-Reiser-Homepage jener »taz«-Artikel vom 10. November 2006 nachzulesen, der rekapituliert, wie Fans im Internet wütend auf die Handelskette Media-Markt waren, weil die ein Rio-Reiser-Cover verhökerte. Das, so meinten damals die Fans, passe zusammen »wie Gummibärchen und Blutwurst«, ein Vergleich, in dem Rio Reiser wohl die Gummibärchen sein soll und der Media-Markt die Blutwurst. Als Rio Reiser nun neulich auf den Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg umgebettet wurde, gelangte er in die Nachbarschaft der Gebrüder Grimm, den Aufschreibern des berühmten Wurstmärchens.

Martin Wuttke nutzte dann kürzlich in der Wiener »Presse« die Gelegenheit, das Wurstmärchen, das er schon 1995 an der Seite von Bernhard Minetti spielte – damals allerdings war Robin Detje zufolge die Blutwurst das Berliner Ensemble und die Leberwurst die Zuschauer –, dem Haiderklon H. Che Strache vorzulesen.

Es handelt sich also um jenes berühmte Märchen, in dem eine Blut­wurst und eine Leberwurst in Freundschaft lebten, die Blutwurst die Leberwurst zu Gast bittet, die Leberwurst ganz vergnügt zur Blutwurst in die Stube geht, dort aber auf der Stiege viele wunderliche Dinge sieht, woraufhin sie, die Leberwurst, erschrickt, von der Blutwurst aber freundlich empfangen wird, schließlich fragt die Leberwurst die Blut­wurst, was denn da im Stiegenhaus los sei, freilich stellt sich die Blutwurst der Leberwurst gegenüber taub und marschiert in die Küche, während sie, die Leberwurst, in der Stube auf und ab geht, dann kommt jemand, von dem die Gebrüder Grimm schreiben, sie wüssten nicht, wer es gewesen ist, zur Tür herein und warnt die Leberwurst, sie solle sich schleichen, also schleicht sich die Leberwurst zur Tür hinaus auf die Straße und sieht von dort aus die Blutwurst. Soweit das Märchen.

Martin Wuttke fragt dann Strache: »Tolles Märchen, oder? Lässt sich so etwas politisch beurteilen?« Strache antwortet, dass hier der Bundeskanzler Faymann die Blutwurst sei und der Vizekanzler Pröll die Leberwurst.

Es ist überhaupt auffällig, wie sehr schon im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts die Beschäftigung mit Würsten im Schwange war. Justinus Kerner etwa veröffentlichte 1820 die Schrift »Neue Beobachtungen über die in Württemberg so häufig vorfallenden tödtlichen Vergiftungen durch den Genuß geräucherter Wurst« und 1822 das noch bahnbrechendere Werk »Das Fettgift oder die Fettsäure und ihre Wirkung auf den thierischen Organismus, ein Beitrag des in verdorbenen Würsten giftig wirkenden Stoffes«.

Seine »halbe Erblindung«, wie er sie selbst nannte, hat Justinus Kerner sich nach Gunter Grimm, dem Herausgeber der »Ausgewählten Werke« Kerners, wohl durch seine medizinischen Versuche über Wurstvergiftungen zugezogen. Justinus Kerner aber hat das Beste aus seinem Augenleiden gemacht und uns die genialen »Klecksographien« hinterlassen, bedichtete Tintenkleckse:

Als ich mit Druckerschwärze heut klecksographiert‘,
Wozu mich nur der Teufel hat verführt,
Kam dieses Skandalum heraufspaziert.

Usw.