Archiv des Themenkreises ›Die Welt‹


N wie Nachruf

Konstanz, 8. Februar 2011, 23:19 | von Marcuccio

Jeder hat irgendwie schon mal die Geschichte vom Nachrufschreiber gehört, der beim Erscheinen des Nachrufs selbst schon tot war: »By the time Gerald Ford died in December 2006, his obituary writer had been dead for 11 months.« (slate.com)

Um diese Art der journalistischen Vorratsdatenspeicherung und um ein paar andere memorialkulturelle Aspekte geht es in der neuen Folge des Feuilleton-ABCs, »N wie Nachruf«, drüben in der »Welt«.
 


S wie Salonkultur

Konstanz, 24. Januar 2011, 21:49 | von Marcuccio

Hilde Domin war mal so gefesselt von ihrer Tucholsky-Lektüre, dass sie sich unter der Trockenhaube fast den Kopf verbrannt hat. Das erzählt sie in dem Dokumentarfilm »Ich will dich« von Anna Ditges (2007), wo sie dann in einer wunderbaren Szene als nunmehr alte Dame in einem Salon sitzt, wieder unter der Trockenhaube, und das FAZ-Feuilleton studiert. Neben ihr ein Biene-Maja-Aufkleber auf dem Frisierwagen.

Davon unter anderem handelt also die nächste Folge des feuilletonis­tischen Abécédaires: »S wie Salonkultur«, drüben in der »Welt«.
 


Im Space-Shop am Bremer Flughafen

Hamburg, 21. Januar 2011, 08:28 | von Dique

Was bisher geschah: Ein Tag im August 2010, ich bin zusammen mit Richard Deiss auf einer seiner Buchladentouren. In der Buchhandlung Schaumburg in Stade sind wir schon gewesen, in der Buchhandlung Thye in Oldenburg ebenfalls.

Und eigentlich wollen wir nun ein sehr verspätetes Mittagessen einnehmen. Es ist inzwischen kurz nach vier, und Richard hat die Idee, doch noch schnell auf den Bremer Flughafen zu fahren, um den dortigen Space-Shop zu besuchen.

Zum Essen also wieder keine Gelegenheit, obwohl ich bereits sehr großen Hunger habe, weit über das Maß hinaus, das man noch mit einem kleinen Snack zumindest kurzfristig verringern könnte. Ich lasse mich trotzdem auf Bremen vertrösten, durch die unfassbare Rationalität der Feststellung, dass es dann sowieso auch genau die richtige Zeit zum Abendessen sei.

Eigentlich weiß Richard gar nicht, ob es sich bei diesem Space-Shop überhaupt um einen würdigen Buchladen handelt, er hat sich das aber irgendwie erschlossen, unter anderem auch durch die Lektüre der Flughafenwebsite:

»Der Space-Shop in der Bremenhalle bietet Artikel und Literatur über Luft- und Raumfahrt, sowie Flugzeugmodelle und Souvenirs an.«

Kein reiner Buchladen also. Vielleicht reicht es aber trotzdem, vielleicht gibt es ein paar qualitative verlegerische Höhepunkte da zu kaufen, damit der Laden in das berühmte, von Deiss bei BoD verlegte Werk »Kaufhaus der Worte – 222 Buchläden, die man kennen sollte« aufgenommen werden kann.

Der Besitzerin werden gute Beziehungen zur NASA nachgesagt. Eine Menge spaciger Utensilien und natürlich jede Menge Bücher zum Thema gehören zum Erwartbaren, alles eben sehr spezialisiert, und Spezialbuchhandlungen findet Richard Deiss extremst interessant. In der »Welt« hieß es einmal über den Bremer Space-Shop und seine Inhaberin Birgit Fitch:

»Birgit Fitch verkauft Raumfahrtbegeisterten Souvenirs aus dem Weltall. Meteoritenstücke, Astronautenessen und Münzen aus geflogenem Space-Shuttle-Material gibt es in ihrem Space Shop am Bremer Flughafen. Ihre Verkaufsschlager bezieht sie direkt von der Nasa sowie von einem Lieferanten der US-Weltraumbehörde.«

Pünktlich erreichen wir den Bremer Hauptbahnhof, es ist kurz nach fünf. Wir nehmen ein Taxi und rauschen zum Flughafen, viel Zeit bleibt nicht bis Ladenschluss. Den Space-Shop kennt der freundliche Taxifahrer nicht, setzt uns aber direkt »bei den Geschäften« ab, da wird der Shop schon sein.

Eine junge Frau von der Wechselstube weist uns den Weg in den ersten Stock, in dem sich dann der Space-Shop tatsächlich befindet. Es ist ein ultrakleiner Laden, eine kleine Box aus Glas, gefüllt mit Klimbim rund um die Raumfahrt, Meteoritengestein, irgendwelchen Gegenständen und Medaillen aus Space-Shuttle-Resten.

Alles spärlich eingerichtet und befüllt. Mein Interesse an Raumfahrt ist zwar sowieso sehr gering, aber ich bin mir sicher, dass es zum Thema die schönste Literatur und die prächtigsten Bildbände geben muss. Und Bücher gibt es hier auch, etwa zwei Hände voll, und sie sehen aber so aus wie diese in bunten Kunststoff geschlagenen Bildbände, die man für 5 Euro im Eingangsbereich bei Hugendubel mitnehmen kann, im Stil der »WAS IST WAS«-Reihe, nur unspannender und irgendwie angestaubt. Lieblos liegen sie irgendwo im Seitenfenster herum.

Auch die übrigen Artikel wirken ungeheuer belanglos, aber das ist gar nicht das Schlimmste. Ich habe inzwischen einfach auf eine sehr ursprüngliche Art Hunger. Ich erinnere mich an MIR-Astronautennahrung, die es hier natürlich tatsächlich geben könnte, und träume von einer Scheibe Atombrot mit Anchovispaste. Unterdessen muss Richard Deiss irgendetwas kaufen, irgendetwas aus Weltraumschrott Hergestelltes, eine Vollzugshandlung, denn er ist ja nun mal extra hergekommen.

Mit der Straßenbahn zurück in die Stadt, der Space-Shop ist schnell vergessen, denn endlich gibt es etwas zu essen, direkt an der Schlachte. Der Wind kräuselt die Weser, der Oberkellner serviert eine Suppe.

Richard muss weiter, und als er sich verabschiedet hat, blättere ich unkonzentriert und ziellos ein paar Zeitungen durch und steige dann in den Zug nach Hamburg.

Ein paar Tage später schreibt mir Richard, dass er an diesem Wochenende insgesamt ein Dutzend Buchläden besucht hat, ein Dutzend, und ich bekomme plötzlich Hunger, riesengroßen Hunger, als ich das lese.
 


Z wie Zeitungsname

Konstanz, 20. Januar 2011, 11:03 | von Marcuccio

Zeitungsspitznamen (»Prantl-Prawda«) wären natürlich auch mal ein Thema gewesen, aber in Ballung wird das schnell zur Freakshow, siehe die Raterunde zur »Rentner-Bravo« damals bei SPON.

»Z wie Zeitungsname«, schon vor zwei Wochen drüben bei der »Welt« erschienen, handelt von den Tücken, Zeitungen beim ganz normalen Namen zu nennen oder eben abzukürzen. So wie das »Pastewka« versucht hat, gleich zu Beginn der Folge »Die Saunabürste« (2007):

(Im Zeitungsladen.)
Pastewka: Guten Morgen, ich hätt gern einen Stadtanzeiger, eine WAMS und eine FAS, bitte.
Verkäufer: D-die was?
Pastewka: Die FAS. Die ›Frankfurter Allgemeine Sonntags­zeitung‹. Und WAMS ist ›Welt am Sonntag‹, WAMMMS! Ist die Abkürzung.
Verkäufer: Ah. Wusst ich nicht. Kann man eijentlich auch gleich ›Welt am Sonntag‹ sagen. Mit der Erklärung, das dauert doch viel länger.
Pastewka: Jaaa, das hat aber jetzt nur so lange gedauert, weil Sie … (usw.)

 


Die Ergebnisse der …
Feuilleton-Meisterschaft 2010

Leipzig, 11. Januar 2011, 04:25 | von Paco

Und jährlich grüßt das Maulwurfstier. Heute zum *sechsten* Mal seit 2005, hier ist der Goldene Maulwurf 2010:

Der Goldene Maulwurf

Diesmal gab es noch bis kurz vor Schluss unüberbrückbare Differenzen. Unsere Top Ten ist ja nicht gerankt, sagen wir immer, trotzdem wird bis zum Schluss um die Platzierungen gefightet. Und hier war jetzt die Frage: Christopher Schmidt oder Mathieu von Rohr. Zwei vollkommen verschiedene Texte, und ein Kompromiss schien irgendwann nicht mehr möglich, zu sehr waren wir mit unseren jeweiligen Argumenten verschmolzen.

Es gab nur einen Ausweg: Die Entscheidung, die dann auch von allen akzeptiert wurde, fiel beim Tischfußball (ein Wegweiser auch für künftige Entscheidungen anderer Jurys!), selbstverständlich unter Ausschluss von Mittelreihenschüssen. Und das Christopher-Schmidt-Team siegte mit 10:7 gegen eine kämpferische Mathieu-von-Rohr-Seleção.

Schmidt hat den Goldpokal auch völlig zu Recht verdient, die Kaffee­hausfähigkeit seines von uns hier gefeierten Artikels ist wirklich be­achtlich. Noch Monate nach der Veröffentlichung haben wir Freunde, Bekannte und Fremde in shock and awe davon reden hören.

Und hier sind sie alle, die Autoren und Zeitungen der 10 angeblich™ besten Artikel aus den Feuilletons des Jahres 2010:

1. Christopher Schmidt (SZ)
2. Mathieu von Rohr (Spiegel)
3. Stefan Niggemeier (FAS)
4. Simone Meier (Tages-Anzeiger)
5. Jakob Augstein (WAMS)
6. Iris Radisch (Zeit)
7. Nils Minkmar (FAZ)
8. Michael Angele (Freitag)
9. Renate Meinhof (SZ)
10. Philipp Oehmke (Spiegel)

Auch der 2010er war wieder ein superster Jahrgang des deutschen Feuilletons. In den 10 Mini-Laudationes stehen nur einige Gründe dafür. Diese lassen sich wie die Jahrgänge 2005, 2006, 2007, 2008 und 2009 auch später noch direkt von der rechten Seitenleiste aus anklicken.

Hä? Kein bester Text zur Sarrazin-Debatte? Den hätte es natürlich schon gegeben (evtl. Edo Reents‘ Buchmessenverfolgung?). Und kein Peter-Richter-Text diesmal? Auch das wäre möglich gewesen, big time sogar, wie immer (z. B. »Die Schlacht der großen Vier«, FAZ vom 22. 6. 2010, da hat ein Event genau den einen Autor gefunden, der es adäquat abbilden kann).

Auch nicht dabei ist ein absolutes Highlight aus der Abteilung ›Kunst­markt‹, David Granns wahnhafte Reportage über den Fingerprint-Kunstauthentikator Peter Paul Biro im »New Yorker«. Aber diese Story ist über 120.000 Zeichen lang und steht damit außer Konkurrenz, ist eher Sachbuch als Feuilletonartikel. Und auch die Berichterstattung der deutschen Zeitungen über den Fälscherskandal um die so genann­te »Sammlung Jägers« war ja nicht schlecht und las sich insgesamt wie eine hochspannende, abenteuerlich-moralische Fortsetzungsge­schichte, siehe die Nr. 9 unserer Hitliste.

Usw.

Bis nächstes Jahr,
Consortium Feuilletonorum Insaniaeque
 


Feuilletonismus 2010

Leipzig, 10. Januar 2011, 00:15 | von Paco

The Golden MoleIn wenigen Stunden, am Dienstagmorgen, 11. Januar 2011, kürt Der Umblätterer zum sechsten Mal seit 2005 die zehn besten Texte aus den Feuilletons des vergan­genen Jahres (a.k.a. Der Goldene Maulwurf 2010).

Die (interne) Longlist war diesmal 49 Artikel lang. Das entspricht also pro Woche knapp einem Artikel, der unseren sicher fragwürdigen Kriterien irgendwie entsprochen hat, hehe. Danke, German Feuilleton!

Öfters hört man ja mal jemanden sagen: »DIE ZEIT ist wieder besser geworden.« Oder: »Die SZ ist wieder besser geworden.« Usw. usw. Solche Aussagen sind natürlich einer selektiven Wahrnehmung ge­schuldet (Probeabo?), denn die erwähnten Zeitungen waren ja nie schlecht, und noch immer gilt, was wir hier letztes Jahr behauptet haben (und was schönerweise auch das Grimme-Institut in die Begründung für unsere Nominierung übernommen hat): Wir haben es immer noch und immer wieder mit dem besten Feuilleton aller Zeiten zu tun.

Unser Kriterium ist ja, siehe hier, die Kaffeehausfähigkeit eines Zeitungsartikels. Es geht aber immer auch um den Zusammenhang Zeitung, um die etwaige Schönheit einer einzelnen formvollendeten Feuilletonseite. Es war ein großer Moment des Feuilletonjahres 2010, als Rainald Goetz am 8. April bei Harald Schmidt saß und eine Seite des FAZ-Feuilletons hochhielt, links ein Hettche-Artikel, rechts ein Bild, und dazu die Worte sprach: »Ich finde, das schaut einfach super aus irgendwie.« (YouTube, bei Min. 1:25)

Es gab im letzten Jahr überraschende Coups wie den Plagiatstext von, ähm, Durs Grünbein in der FAZ (nur echt mit den doppelten Anfüh­rungszeichen) und den Recap des Bachmann-Wettlesens von Airen in der FAS. Überhaupt gab es viel Meta-Polterei zum Literatur- und Rezensionsbetrieb (z. B. Jörg Sundermeier in der »Jungle World«, Sibylle Lewitscharoff in der »Welt«, Arno Widmann in der FR, Martin Hielscher und Helmut Böttiger in der SZ). Und es gab ein sagenhaftes Nicht-Interview, das Johanna Adorján mit Reich-Ranicki geführt und das offenbar immer noch so viele Fans hat, dass einige von ihnen uns Mails schickten und verlangten vorschlugen, es in die Top Ten aufzunehmen.

Das war jetzt ein kurzer Rückblick nur auf die Literaturberichterstat­tung des letzten Jahres. Das Feuilleton, dieser »nicht enden wollende Gegenwartsroman mit all seinen literarischen Glanzpunkten und inhalt­lichen Schrecklichkeiten«, war natürlich viel reicher. In ein paar Stunden dann, wie gesagt, mehr.

Hier noch schnell unsere Backlist, die Preisträger der vergangenen Feuilletonjahre:

2005
*   2006   *
*       2007       *
*   2008   *
2009

Bis Dienstag im Morgengrauen,
Consortium Feuilletonorum Insaniaeque
 


F wie Fräuleinwunder

Davos, 30. Dezember 2010, 13:02 | von Marcuccio

Unvergessen die Seite 245 des »Spiegels« Nr. 12/1999, auf der Volker Hage beiläufig vom »literarischen Fräuleinwunder« sprach, um ein paar Neuerscheinungen einzutüten. Was ja dann einiges zur Folge hatte. Davon handelt heute in aller Kürze die neue Episode von »Sprechen Sie Feuilleton?«, drüben in der »Welt«.

Mittlerweile ist die Prägung historisch und hat bereits eine atemberau­bende Karriere in der literaturwissenschaftlichen »Forchung« (Harald Schmidt) hingelegt, wie man schon anhand der Treffer bei Google Books sehen kann. Usw. usw.

Grüße aus dem Skilift,
M.
 


R wie Rezept

Konstanz, 23. Dezember 2010, 11:50 | von Marcuccio

Wieder ein altes UMBL-Thema: kulinarische Literaturkritik. Über Lucía Etxebarria und weitere Geheimnisse der Feuilletonküche steht heute was im »Welt«-Kochbuch unter R wie Rezept.

Und gleich kommt dann hier noch eine Sammlung von Lieblingsschnip­seln aus 1000 Jahren rebell.tv, das sich ja zu Silvester abschalten wird. »Noch 9 Tage«, es eilt also, bis gleich
 


Drei Feuilletons, zwei Holbeins, eine Passion

Konstanz, 20. Dezember 2010, 07:26 | von Marcuccio

Stuttgart! Holbein-Ausstellung! Graue Passion! Nichts wie hin.

Dreh- und Angelpunkt der Grauen Passion ist ein eigentlich ganz krude zerlegter Flügelaltar. Gäbe es ihn noch bzw. wäre da noch was auf- oder umklappbar, würde man die zwölf Passionsszenen von Hans Holbein dem Älteren, jeweils sechs in grau und sechs in ocker, so en suite gar nicht sehen können. Nur dank der Barbaren früherer Jahrhunderte, die das Retabel längs und quer kleingesägt haben, bekommen wir die Holbein-Tafeln wie in der Fernsehillustrierten unserer Omis präsentiert: auf einen Blick.

Die enge Hängung hat auch was von gemalten Video-Stills. Und falls Mel Gibson sich noch mal mit einer Pixar-Variante an The Passion of the Christ versuchen wollte, hier könnte er die Farbproben nehmen. Auch deswegen haben unsere Feuilletons mit ihrer Artikel-Bebilderung geklotzt, hier mal drei Artikel kontrastiv gegeneinandergehalten:

  • Willibald Sauerländer: Die Farben des Leidens. SZ, 29. November.
  • Tilman Spreckelsen: Seine Augen weit aufgerissen. FAZ, 2. Dezember.
  • Hans-Joachim Müller: Holbeins Auferstehung in Stuttgart. Die Welt, 3. Dezember.

Die SZ

… kommt mit gleich sechs abgebildeten Szenen dem Original-Wandfeeling am nächsten, mosert dafür aber ein bisschen viel an der Konzeption der Ausstellung rum. Dabei ist die ganz hervorragend und keineswegs zu wissenschaftlich. Der Witz der Grauen Passion ist ja grad, dass Holbein mitten im Zeitalter der Grisaille-Mode keine bloßen Statuen mit Grauschimmer malt, sondern Figuren, die menschlich-leibhaftiger nicht wirken könnten. Der Einsatz anderer Farben ist beschränkt auf Jesus himself, Nicht-Grau also ein Stilmittel, um den Protagonisten aller Protagonisten von der Entourage abzuheben. Ein bisschen so als würde Hollywood im Sinne eines Spezialeffekts nur noch die Hauptrolle in bunt zeigen, den Rest aber in schwarz-weiß.

Die FAZ

… bildet zwei Passionsszenen ab, erzählt dann aber vor allem von einer dritten. Und klagt kunsthistorischen Kindesmissbrauch an: »Was stupst er da? Soll das Kind lauter brüllen?«

Tatsächlich lässt Holbein bei der Ecce-Homo-Szene ein gut verstörtes Kind zuschauen. Und tatsächlich steht es neben einem Fratzengesicht von Vater, der seiner Tochter irgendwie obszön seine Finger in die Wange drückt. Jesus natürlich im Blickkontakt mit der Kleinen, die Nase und Mund traumatisch weit aufgesperrt hat. FAZ-Rezensent Spreckelsen kann sich auch beim Rausgehen gar nicht trennen: »Das Kind bleibt so ungeheuerlich wie beim ersten Sehen. Und es verlässt einen auch nicht auf dem Weg zum Bahnhof.«

Die Welt

… bringt einzig und allein, dafür aber in XL, das Abschlussbild des Zyklus: die Auferstehung Christi. Hier steht der – ja wie nur? – aus dem Grab entstiegene Leibhaftige vor uns. Der Holbein’sche Grabdeckel ist, anders als bei so vielen Passionsmalern, nicht geöffnet oder gar geborsten. Nein, die Nägel (Initialen: H & H) sitzen wie bei Hagebau. Mach! Dein! Ding! Holbein macht sein Ding, indem er malerisch zeigt: Christus macht sein Ding, er kann sowieso »nicht anders denn als Geistleib seiner irdischen Gefangenschaft entkommen sein (…). Das ist die Pointe«, so Müllers Bildbeschreibung in der »Welt«.

Am meisten aber gefällt mir der gut gesetzte Hinweis auf die familiäre Arbeitsteilung. Hans Holbein d. Ä. also hat, wie gesehen, die Todesüberwindung gemalt; »Holbeins Sohn wird später einen toten Christus malen, wie er toter nie gemalt worden ist.« Ein Satz, für den man am liebsten sofort mal wieder nach Basel fahren würde:

Holbein, The Body of the Dead Christ in the Tomb (Quelle: Wikimedia Commons)

 


A wie Antonomasie

Konstanz, 9. Dezember 2010, 22:41 | von Marcuccio

Ein altes UMBL-Thema: die (Vossianische) Antonomasie. Wir haben hier ja auch ein kleines Antonomasie-Archiv angelegt, allerdings jeweils ohne die Auflösungen, also ohne konkret die Bezugspersonen zu nennen (die stehen aber immerhin im Quellcode, damit wir sie selber nicht vergessen, und diese Klammerbemerkung ist jetzt eben genau auch die Antwort auf die ganzen E-Mail-Nachfragen, wer denn da im einzelnen gemeint sei).

Seit heute gibt es nun also »Sprechen Sie Feuilleton?«, und mit »A wie Antonomasie« geht es los, drüben in der »Welt«.