Archiv des Themenkreises ›Guardian‹


Was vom Tage 30 übrig blieb:
Café Reinhardt, Wellingsbüttel

Hamburg, 30. September 2022, 23:00 | von Paco

Aufwach: 6:15 Uhr.

🎶 Hot Chip: Down

Das Café Reinhardt gibt es zweimal, einmal in Poppenbüttel, aber ich bin heute hier, zwei Kilometer südlich:

Café Reinhardt
Julius-Vosseler-Straße 42
(Wellingsbüttel)

Espresso: €2,60.

Ganz tolle FAZ heute. Kann wie immer aus Zeitmangel nicht alles lesen und beginne erst mal mit Kai Spankes Rezension zu Jens Balzers Buch über kulturelle Aneignung.

Der Aufmacher im SZ-Feuilleton ist Andreas Bernards Rant gegen Airbnb (»Verlogen wohnen«). Er beschreibt Szenen im Pariser Marais, im Berliner Prenzlauer Berg und in El Born, Barcelona, und sieht »geschichtsträchtige Bauten, die zum Niemandsland des globalen Tourismus geworden sind«. Ihn stört auch der »Sound der Weltverbesserung und Selbsterfüllung«, der das gemeinschaftliche Geldverdienen von Konzern und Vermietern begleitet. Er zitiert einige Sätze des Airbnb-Chatbots und beschreibt das typische Airbnb-Apartment: »ein Bett, ein Stuhl für die Wäsche, ein Kleiderschrank und an der Wand ein Foto von Robert Doisneau oder den Bauarbeitern auf dem Wolkenkratzer in der Mittagspause«.

Spätnachmittags Aufbruch nach Dresden und genau als wir in den Stau auf der A2 geraten sind die 20:00-Uhr-DLF-Nachrichten zu Ende und es folgt ein Feature zu Leila Slimani: »Macht, Lügen und Geheimnisse«. Simone Hamm hat die Autorin dafür in Lissabon getroffen. Die herrliche Carine Debrabandére interpretiert den Zitrangenbaum in Slimanis Werk usw. Könnte ich stundenlang zuhören, aber nach einer knappen Stunde ist Schluss.

Vor dem Schlafengehen am Handy noch Shaun Walker im »Guardian« zu Putins Rede am Nachmittag: »more angry taxi driver than head of state«.
 


Der 19. August 2011 und die Stimme von Werner Herzog

St. Petersburg, 25. August 2011, 10:30 | von Paco

Werner Herzog, like James Earl Jones before him, could
read the phone book and bring down the house.

— The Guardian

»Was hast du am 11. September gemacht!« Das fragt schönerweise in Russland niemand. Das könnte hier auch kein Mensch mehr beantwor­ten. Stattdessen wird gefragt, gerade in den letzten Tagen: »Was hast du am 19. August gemacht!«

Für 1991, für den Tag des großen dilettantischen Putsches, weiß ich das nicht mehr, aber für 2011 schon noch. Der Freitag beginnt für mich damit, dass ich den aktuellen SPIEGEL zuende lese. Und neben der ganzen FAZ-Verherrlichung hier soll die SPIEGEL-Verherrlichung nicht zu kurz kommen. Was für ein Glück, jede Woche diese süffigen Storys dieses durch Enzensberger’sches Sperrfeuer gegangenen besten Magazins der Welt lesen zu dürfen. Zum Beispiel den bisher besten Verriss des neuen Woody-Allen-Mistfilms »Midnight in Paris«, geschrieben von Georg Diez.

Gerade als ich den SPIEGEL ausgelesen habe, klingelt es an der Wohnungstür. Ein junger Mann wirbt für die baldige Eröffnung eines Gemischtwarenladens »ganz in der Nähe« und möchte aus diesem Anlass ein deutsches Messerset (6.000 Rubel), irgendwelches Hydrogel (100 Rubel) sowie Medizinbälle verkaufen. Wie er die Kartons mit den schweren Bällen hier allein hochgetragen hat, ist mir schleierhaft. Ich zeige mich interessiert und frage, wie der Laden heißt und wo genau er eröffnen wird, aber diese Fragen dürfe er noch nicht beantworten.

Ich gehe dann wie eigentlich jeden Tag hinüber in die Nationalbiblio­thek, um ein bisschen andere Sachen zu lesen. Ich bin sehr eupho­risch, denn die dienstälteste Bibliothekarin im Lenin-Lesesaal hat bei der Buchherausgabe heute mal gelächelt, dezidiert gelächelt. Zur Mittagszeit bin ich zum Essen verabredet und mache mich auf den Weg zu einem georgischen Restaurant gleich hinter der Kasaner Kathedrale.

Anwesend ist zum Beispiel der Literaturkritiker einer russischen Wirtschaftszeitung (»immer 3.000 Zeichen pro Artikel«). Vor ihm steht ein Salzfass, das irgendwann mit lauter Plötzlichkeit umkippt und tot auf dem Tisch liegt. Alle haben erschrocken hingesehen, trotzdem vermute ich, während ich eine große Portion Plov verspeise, dass verschüttetes Salz vielleicht doch kein international anerkanntes schlechtes Omen ist. Vielleicht ist es ja in Russland wieder mal genau umgekehrt, keine Ahnung, aber siehe das Sprichwort »Что для русского хорошо, для немца смерть.« Denn der Literaturkritiker stellt das Fass wieder hin und wirft es dann absichtlich noch einmal um, und noch einmal und noch einmal. Alle sehen ihm immer weniger erschrocken dabei zu, und er kichert nur in sich hinein und murmelt Unverständliches.

Nach weiteren anderthalb Stunden oder so in der Bibliothek treffe ich an einem der Deschurnaja-Schalter einen Althebraisten, mit dem ich ins Gespräch komme, das wir auf dem teilweise identischen Nachhause­weg fortsetzen. Auf der Lomonossowbrücke trennen sich die Wege, aber wir bleiben dort noch ein paar Minuten stehen und erzählen weiter, und während dieser paar Minuten vergrößert sich unsere Unterhaltung um sechs bis acht Teilnehmer, allesamt Bekannte, die man auf der Lomonossowbrücke irgendwie ständig trifft (there is something about this place). Und dort wird auch für irgendein Festival geworben, das am Abend in der ›Taiga‹ stattfinde, so einem neuen Art Space am Newaufer, Nähe Eremitage.

Dort kreuze ich dann ein paar Stunden später auf und treffe als erstes den Franzosen wieder, der mich vor ein paar Tagen gefragt hatte, ob sie Raskolnikow am Ende noch drankriegen. Inzwischen habe er seine Lektüre von »Schuld und Sühne« beendet, und zwar zornig beendet, denn der Epilog sei ja wohl das Allerhinterletzte, völlig unnötig, schlecht geschrieben, wahrscheinlich gar nicht von Dostojewski selber. Ich pflichte ihm bei usw., und kurze Zeit später schon unterhalten wir uns aus mir nicht mehr nachvollziehbaren Gründen über die Kathedrale von Auxerre.

Dann wird zur Filmvorführung gerufen, es gibt Kurzfilme zu Umwelt­thematiken, also okay, als erstes einen Film namens »Plastic Bag«. Das Leben einer Plastiktüte wird nacherzählt, sie gelangt via Supermarkt in einen Haushalt, wird irgendwann weggeworfen und vom Wind durch alle möglichen Weltgegenden getragen, ohne zu sterben. Soweit die Botschaft dieses kurzen Films.

Was mich aber erst irritiert, dann sofort in den Bann schlägt, ist: die Stimme von Werner Herzog! Dieses ewige eindringliche Raunen, dieses sehr gewählte Vokabular, dieser Wille zu einem Englisch mit dezidiert deutsch-deutschem Akzent. Nach den letzten Wochen russischer Totalinvasion meines Hirns ganz unerwartet das. Die Stimme von Werner Herzog erinnert mich an eine Million Dinge gleichzeitig. Unter anderem daran, dass ich in Leipzig mal einen Werner-Herzog-Imitations-Wettbewerb gewonnen habe, mehr als drei Jahre ist das jetzt her.

Nach knapp 20 Minuten Filmdauer trete ich benommen wieder ans Licht und höre irgendjemanden über Petersburger Leitungswasser disku­tieren (siehe das Sprichwort von vorhin) und rede dann mit einem der Editoren der Werke Dmitrij Prigows über die genaue Anzahl der von ihm verfassten Gedichte, es waren ja zwischen 35.000 und 36.000, aber eine genaue Zahl würde hier natürlich weiterhelfen.

Kurz nach 23 Uhr höre ich jemanden in einer slowenisch-russisch-französischen Diskussionsrunde zum ersten Mal das Wort ›Foucault‹ aussprechen. Ich habe in den letzten Tagen damit begonnen, eine Liste zu führen, auf der ich für den jeweiligen Tag dessen Ersterwäh­nungsuhrzeit verzeichne. Hier die Übersicht mit den Erstnennungsuhr­zeiten des Namens ›Foucault‹ bis Freitag (Liste wird fortgesetzt):

Mo: 17:15 Uhr
Di: 21:36 Uhr
Mi: 15:50 Uhr
Do: (keine Erwähnung)
Fr: 23:03 Uhr

Etc. etc. etc. Ein paar Orte und Leute später finde ich mich in einer Wohnung am Zagorodny Prospekt wieder, wo ein paar Leute (ich nicht) zum Beispiel den Film »The Raspberry Reich« schauen und die ganze Zeit heftig lachen, während im selben Zimmer jemand am Klavier Beethoven spielt. Bei der Flucht in einen anderen Bereich der Wohnung bemerke ich im Flur zwei Medizinbälle sowie ein noch unausgepacktes Hydrogel.

Gegen acht Uhr morgens gehe ich kurz nach Hause in die Galerie, um ein paar alte Zeitungen zu holen, die mir eine Mitarbeiterin des Goethe-Instituts gestern überlassen hat, und mache mich dann sofort wieder auf den Weg zur Metro, denn ich habe beschlossen, der Einladung eines Opernsängers und seiner Frau auf ihre Datscha am Suvanto-See südlich der Mannerheim-Linie zu folgen.

Ich fahre bis Devyatkino, wo ich in die Elektritschka Richtung Norden umsteige. Ich setze mich zwischen lauter dösende Russen und schlage die Zeitung auf und entdecke sehr ungläubig Schirrmachers ein paar Tage vorher erschienenen FAS-Großtext »Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat«, den ich dann sehr angelegentlich lese.
 


Im Bus mit Erich Zann

London, 1. Oktober 2008, 13:15 | von Dique

Mir stand eine halbstündige Busfahrt bevor und mit Panik stellte ich fest, dass ich Norman Lewis, »To Run Across the Sea«, bereits ausgelesen hatte. Anstatt nun wild Artikel von Onlinepublikationen auszudrucken (wie so oft), stöberte ich auf dagonbytes.com nach einer Lovecraft-Geschichte. Diese Website ist trotz der weißen Schrift auf schwarzem Grund eine der besten Lovecraft-Quellen.

»The Music of Erich Zann« (1921 geschrieben, 1922 veröffent­licht) sprang mir gleich ins Auge, weil der Titel etwas nach Borges klingt (und mit 6 Seiten auch von der Länge her an dessen Erzählungen erinnert, hehe).

Es ist dann aber alles ganz Lovecraft und wohl auch ein bisschen Genre. Irgendein schreckliches Erlebnis in der Vergangenheit, von dem alle Spuren verloren sind, der Ort verschwunden, Papiere vernichtet. Nur im Geiste des Erzählers lebt alles weiter, und dem stehen bei der Erinnerung die Haare zu Berge.

In diesem Fall wird die Nicht-Zugänglichkeit von Referenzen nicht nur am Anfang, sondern auch am Ende klargestellt. Die Erzählung beginnt mit:

I have examined maps of the city with the greatest care, yet have never again found the Rue d’Auseil.

Und endet ebenso:

Despite my most careful searches and investigations, I have never since been able to find the Rue d’Auseil.

»Lovecraft considered ›The Music of Erich Zann‹ one of his best stories, in part because it avoided the overexplicitness that he saw as a major flaw in some of his other work«, heißt es in der Wikipedia, und ich möchte dem beipflichten.

Erst kürzlich las ich außerdem »H. P. Lovecraft: Against the World, Against Life« von Michel Houellebecq, mich machte die ungewöhn­liche Combo neugierig, Houellebecq über Lovecraft, war sehr gut, und einen Vorabdruck gab es mal im »Guardian«. Könnte man sich jetzt ausdrucken und im Bus lesen.


Mit der FAS und Cy Twombly nach Ciampino

wieder in London, 17. Juni 2008, 10:06 | von Dique

Wir standen im Palazzo Barberini und schauten uns an, wie Judith dem Holofernes angewidert den Kopf abtrennt, angestachelt von dieser bösen Alten im Hintergrund, die ein Tuch für den bevor­stehenden Schädel bereithält. Das klingt ja fast ein bisschen nach einer neuen Massakerminiatur von Kollege John Roxton. Ich rede aber von Caravaggio, der für sein visuelles Ölmassaker das gleiche Model wie für seine Katharina im Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid verwen­dete. Das sage ich mal so aus dem Hut heraus, ohne nachzulesen.

À propos Lesen, die FAS schleppten wir noch weitgehend ungenutzt umher, doch dann wurde mitten im Barbarini-Palast doch mal ins Feuilleton geschielt. Als Aufmacher (S. 25) gibt es ein riesiges Tilda-Swinton-Foto, das auch ein bisschen caravaggista aussieht, und oben drüber steht: »Mein Beruf ist ganz einfach«. Da blätterte ich ganz einfach mal weiter. Das Interview taugt maximal als Ernstfallbackup.

Auf S. 27 bewunderten wir die gute Arbeit der Anzeigenredaktion. Unter Nils Minkmars Artikel über George W. Bush und den Anwalt, der ihn nach seiner Amtszeit wegen Mordes verklagen will, prangt eine große Anzeige für Obamas Buch »Hoffnung wagen«. Well done.

Auf S. 29 dann eines der seltenen Interviews mit Cy Twombly. Das hat die FAS aber nicht selber geführt, sondern druckt einen Auszug des Gesprächs, das der Tate-Direktor Nicholas Serota aufgezeichnet hat (vor 2 Wochen gab es auch schon im »Guardian« eine Kurzfassung davon). »Der große Cy Twombly über seine noch größere Kunst« steht übrigens im Untertitel der FAS-Version. Ich muss aber gestehen, dass ich mit ihm wenig anfangen kann, und das Interview, wie selten es auch sein mag, verschafft auch keine Erleuchtung.

Oft setzt er noch ein paar Bleistift-Kritzeleien auf seine Bilder. Eine wichtige Inspirationsquelle ist ihm T. S. Eliot, und er hat sich wohl eine schöne Sammlung Erstausgaben zugelegt, sagt er, inklusive einem Faksimile von Ezra Pounds Korrekturen zu »The Waste Land«.

»Die nächste Bilderserie enthält Zeilen aus ›The Waste Land‹. Es gibt kaum etwas Schöneres, vor allem der Anfang, über die Jahreszeiten. ›Sommer überfiel uns, kam über den Starnberger See / Mit Regenschauer; wir rasteten im Säulengang / Und schritten weiter im Sonnenschein in den Hofgarten.‹«

Da fällt mir die prima Simpsons-Referenz auf »The Waste Land« ein: Als Lisa ein paar traurige Notizen des Kneipenmannes Moe zusammenfügt, erinnert sie das sofort an Eliots Jahrhundertwerk (Folge 18.06: »Moe’N’a Lisa«).

Wenn ich jedenfalls auf das mit dem Interview gepaarte große Foto schaue (Cy Twombly vor einem seiner Monumentalbilder), dann sehe ich da einen netten alten Herrn, der vor einer riesigen Leinwand voller Farbkleckse steht. Der etwas krakelige in der Mitte, der mehr oder weniger auf seinem Rücken klebt, hat dann auch noch ungeheure Ähnlichkeit mit dem Ergebnis des wunderbaren Spiels Misthaufenfahren (kann man hier spielen). Immerhin ist der Kunstkaiser auf dem FAS-Foto nicht nackt: C. T. trägt zu einem hellblauen Button-down-Hemd eine sackhosenähnliche Sackhose, die gerade noch so von Hosenträgern gehalten wird.

Zu viel mehr kamen wir kaum in der FAS, aber gegen Abend mussten wir zum Flughafen und da würden wir ja Zeit genug haben. Statt den Shuttle Bus zu nehmen, der uns vielfach empfohlen wurde, fuhren wir lieber wieder mit der U-Bahn bis zur äußersten Station und von dort mit dem Bus weiter nach Ciampino. 5 Minuten dauert das normalerweise und kostet nur eineinhalb Euro oder so. So waren wir vor ein paar Wochen morgens angekommen, und das ging ganz prima.

Als wir aber gerade eben in Anagnina ankamen, war alles anders. Wo am Morgen unserer Ankunft Trubel herrschte und Händler von der Pferdedecke bis zum Bügeleisen so ziemlich alles feilboten, war jetzt gähnende Leere und kaum eine Menschenseele zu sehen. Die Ausschilderung war immer noch miserabel, aber irgendwie fanden wir doch den richtigen Busstand.

Ich wollte eigentlich das 12-seitige China-Spezial der FAS lesen, wurde aber langsam nervös, weil ewig kein Bus kam. Ging heute überhaupt noch einer? Paco machte in einer dunklen Ecke eine Art Information ausfindig und bekam die beruhigende Antwort, dass schon noch Busse verkehrten und wir nur eine Weile warten müssten, da wir den vorigen gerade verpasst hatten.

Einen FAS-Text später war immer noch kein Bus da. Jürgen Kesting schreibt über das neue Buch von Jonathan Carr über den Wagner-Clan (S. 30). Das umfangreiche Werk deckt 150 Jahre deutscher Geschichte ab und macht auf jeden Fall neugierig.

Schon am Samstag hatte die FAZ deutsche Historie empfohlen. Tilmann Lahme besprach die Hörbuchausgabe von Golo Manns »Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts«, ungekürzt, 37 CDs, 41 Stunden. Ein tollkühnes Projekt, nur die CD-Einlegerei verdirbt mir den Geschmack. Gibt’s das nicht als MP3 auf einer einzigen DVD? Oder gleich im Paket mit dem Wagnerbuch, als Popcorn-Edition für ein verlängertes Wochenende.

Irgendwann kam dann übrigens der Bus. Weil es aber spät am Abend war, fuhr er nicht direkt zum Flughafen, sondern über ein paar Vororte, um noch Leute einzusammeln. Langsam wurde die Zeit etwas knapp (wie damals in Madrid). Außerdem waren wir so ziemlich allein im Bus und eingesammelt wurde auch niemand so richtig. Der Bus gurkte nur durch viele angekaffte Dörfer. In einem hielt der Fahrer dann an, machte den Motor aus, nahm seine Tasche und Jacke und verließ den Bus.

Er machte sich eine Zigarette an, und es kamen zwei andere Typen, und zu dritt quatschten und rauchten sie vor sich hin. Irgendwann stellten wir fest, dass zumindest einer von denen unser neuer Busfahrer sein musste, Fahrerwechsel also. Wir versuchten ein bisschen Druck zu machen, aber der wurde nur freundlich abgetan, »wann fliegt ihr, in einer Stunde, ach, kein Problem«.

Der Neue stieg dann endlich ein, legte die Jacke ab und öffnete seine Tasche. Er wühlte eine Weile darin und holte ein Glas hervor. Es sah aus wie ein Honigglas, und das gab er dann unserem Ex-Fahrer. Der sah es sich an, bedankte sich und redete weiter. Der neue Fahrer ging dann noch mal raus zu ihm, kam dann aber nach kurzer Diskussion und Blicken auf das Honigglas wieder in den Bus und wühlte in seiner Busfahrertasche.

Er holte eine Zeitung heraus, überraschenderweise den »Corriere della Sera«, und schlug damit das Honigglas ein. Der Beschenkte war es zufrieden, und nach einem herzlichen Abschied fuhren wir endlich zum Flughafen.

Dann kam es doch noch zu einem gemütlichen Check-in, und auf ging’s nach London. Ich hatte dann endlich Zeit für das China-Spezial, stand aber nichts Neues drin.


Hulk. Smash. David. Smash. Citizen Kane.

Rom, 14. Juni 2008, 10:37 | von Dique

Zur Abwechslung mal den »Guardian«. Ob man den lesen darf verraten wir ein anderes Mal. Gerade im Palazzo Doria Pamphilj, und ich bin deutlich schneller fertig als San Andreas, denn der hat auf meine Empfehlung hin den Audio Guide genommen, welcher vom aktuellen Prinzen Jonathan Doria Pamphilj in exzellentem Englisch gesprochen wird. Da gibt es neben der angenehmen Stimme auch ein paar kleine Palazzofamilienanekdoten und damit hebt er sich ein bisschen vom üblichen Audio-Guide-Einheitsbrei ab.

Ich warte also im Buchladen der Galerie neben einer gelangweilt dreinschauenden Spanierin ohne Lesematerial und beschäftige mich mit dem »Guardian«-Kulturteil. Peter Bradshaw schreibt über die neuste Verfilmung des Hulk und für eine gute Kritik braucht man ja bekanntlich nicht zwangsläufig einen guten Film. Umgekehrt läuft es oft besser.

»Hulk. Smash!« Yes. Hulk. Smash. Yes. Smash. Big Hulk smash. Smash cars. Buildings. Army tanks. Hulk not just smash. Hulk also go rarrr! Then smash again. Smash important, obviously.

So geht der Text los, so geht er weiter und so kommt er zum brillanten Ende. Und ich frage mich, ob Peter Bradshaw vielleicht heimlich »Jungle World« liest. Im dortigen Heuteblog gab es Ende März einen Kurzreview von Maik Söhler zu »Gran Turismo 5«, welcher sich so anliest:

Brum, bruuuum, brm, brm, quieeetsch, schepper, bruuuuuum, brm, brm, bruuum, knack, bruuuum, quietsch, zosch. 5000 Credits. Neues Auto. Neue Strecke. Bruum, bruuuum, knack, schepper, bruuum, bruuuuum, brm, brm, zadong. Scheiß Kiesbett. Bruuum, bruuuuuum, brm, brm, endlich im Ziel.

Aber bleiben wir im Hulk-Text, denn der ist schon ein bisschen ausgereifter als die kleine Spaßattacke der Jungle World. Da werden zum Beispiel wichtige Analysen zur Physiognomie des Hulk geliefert:

Film co-written by star. Edward Norton. Norton in it. Norton write it. Norton not need gamma-radiation poisoning to get big head. Thing is: Hulk head weirdly small. Compared with rest of big green body. Hulk not scary. Hulk look like Shrek. Wait. Critic have … second thought. Hulk look like Shrek when Shrek turn handsome, in Shrek 2. Like Gordon Brown.

Und bei dieser Exegese über die Größe von Hulks Kopf denke ich an den David von Michelangelo, denn dessen Kopf halte ich für viel zu groß. Erst vor zwei Wochen stand ich mit San Andreas (dem Filmkritiker des Umblätterers, hehe) vor der riesigen Marmorstatue in der Galleria dell’Accademia und wunderte mich erneut über dessen großen Kopf und seine recht überdimensionierten Hände.

Tatsächlich fragte ich damals San Andreas, wieso es nach der Verfilmung von Ang Lee nun schon wieder einen »Hulk« im Kino gibt? Der Film von Ang Lee sei wohl zu kopflastig gewesen, heißt es. Deshalb waren die Fans enttäuscht, und deswegen gibt es jetzt wieder einen Hulk Classic. Yes. Hulk smash. Yes. Smash. Big Hulk smash. Natürlich konnte Bradshaw diesen Kontext nicht umgehen:

Critic remember Ang Lee version. Ang Lee version slagged off. Yet rubbish new Hulk film make that look like Citizen Kane. Critic exit cinema miffed. Film take away two hours of critic’s life. Critic not get time back. Ever. Rarrrrr.

Ein bisschen dankbarer könnte er allerdings sein, denn ohne den grünhäutigen Schotter hätten wir nicht diesen Lesespaß gehabt. Ich gebe den Text spontan an meine wartende Nachbarin weiter. This is so funny, read this, sage ich. Etwas zögerlich nimmt sie die Zeitung, starrt eine Weile auf den Text und sagt: »What mean ›smash‹?«