Archiv des Themenkreises ›Headlinerz‹


Überschriften-Workshop beim ADAC

Konstanz, 31. Januar 2010, 16:20 | von Marcuccio

Benjamin von Stuckrad-Barre hat damals in »Remix I« eine Namensliste von »Fahrradläden in Studentenstädten, die wirklich so heißen«, zu­sammengestellt:

  • Gegenwind
  • Stadtrad
  • Sattelfest
  • Fahr Rad Laden
  • Rad ab
  • Kein Rad Au
  • Fahr Rad (ich dir)
  • Fahrraden & Verkauf
  • Radelführer
  • Räderwerk
  • Zentralrad
  • Fahrradies

»Thesaurus der Gegenwart« nannte das Moritz »Poproman« Baßler. Aus aktuellem Anlass scheint mir mal ein Katalog der Überschriften­masche im »ADAC-Reisemagazin« angebracht.

Im Heft Nr. 111 (»Graubünden«):

  • Chur ohne Schatten (über die Vorzüge der Kantonshauptstadt)
  • Schweizer Suppkultur (über das Nationalgericht Bündner Gerstensuppe)
  • Seensucht (über badetaugliche Bergseen)

Im aktuellen Heft Nr. 114 (»Ruhrgebiet«):

  • Schönen Ruhrlaub! (Über Bademöglichkeiten im Ruhrgebiet)
  • Fußballungsgebiet (über die Vereinsdichte im Revier)
  • Rückzugsreviere (über Hotels und Herbergen)


Well Ror’d, Wolf!

Paris, 25. März 2009, 07:37 | von Paco

Mitte Januar hat Martin Krumbholz für die NZZ einen Ror-Wolf-Prosaband aus dem letzten Jahr rezensiert, »Verschiedene Möglichkeiten, die Ruhe zu verlieren«, zusammengestellt von Brigitte Kronauer.

Demnächst folgt eine Rezension desselben Bandes in einer großen deutschen Literaturzeitschrift, deren Redaktion bei Gabriel eine bestimmt geartete Überschrift in Auftrag gegeben hat. Der entprechende Rezensent würde seine Besprechung in einer bestimmten Tonlage und einem genau beschriebenem Anspielungsrahmen verfassen bzw. habe dies schon getan.

Die Überschrift nun sollte auf jeden Fall generisch sein und tendenziell auch andere in den letzten fünf Jahren erschienene Bücher von Ror Wolf mit einbeziehen, die man aus Platzmangel leider nicht habe besprechen können.

Als Gabriel gestern kurz vorbeikam, zeigte er mir en passant seine »errechnete« Überschrift und erklärte mir den »Rechenweg«. Wir trafen uns in einem Café im 5ème, und ich habe nicht mehr alles behalten, es ging irgendwie um die von Ror Wolf vorgenommene Kontraktion von Lautheit, außerdem fielen Begriffe wie Subtilitäts­grad und Reziprozität. Im Moment der Erklärung leuchtete mir das jedenfalls alles ein, auch die Shakespeare-Anspielung machte mehr als Sinn, und beim Anblick der klar gegliederten Überschrift ist die Entstehungsgeschichte sowieso unwichtig:

Well Ror’d, Wolf!

Dieser Titel wird also demnächst eine Rezension einleiten und erfüllt sicher wieder den heiligen Zweck einer Überschrift, prägnanter und vollständiger zu sein als der ihr folgende Text (siehe auch: »Die Vermeesung der Kunst«).


»Harzreise im Sommer«:
Gustav Seibt auf der Suche nach Andacht

London, 20. Juni 2008, 07:28 | von Paco

AAACHTUNG! Ich bin Gustav Seibt und suche Andacht! Und Kuchen! Im Osten! Das scheint das Motto des Autors zu sein. Es geht um den reportageartigen Artikel »Harzreise im Sommer«, der in der S-Zeitung vom 9. Juni veröffentlicht wurde (S. 11). Er ist leider mal wieder nicht im Netz, nur beim Perlentaucher, im DLF-»Fazit«, auf Spreeblick und in der »jungen welt« gibt es Spurenelemente des Textes.

Seibt war in osteutschen Kirchen unterwegs, vor allem in »Sachsen-Anstalt« (Oliver Kalkofe) und Brandenburg, und beschreibt nun seine Abenteuer. Leider ist seine Studie nicht religionssoziologisch unterfüttert: Dass die DDR nun mal im protestantischen Kernland stattfand und das eben Folgen hatte, scheint ihm entgangen zu sein, und daher klingt sein Text wohl auch so verschnupft. Es ist auch unklar, an wen er jetzt genau gerichtet sein soll, es handelt sich eher um einen langen pingeligen Eintrag ins Gästebuch ostdeutscher Hotels, Kirchen und Museen.

Die Überschrift

Gabriel, der Überschriftenerfinder, von dem hier ab und zu die Rede ist, fiel der Text schon wegen der selten misslungenen Überschrift auf: »Für SZ-Verhältnisse ein schlimmer Fauxpas.« Sowas hatte er noch nie gesagt.

»Harzreise im Sommer«, das spielt natürlich auf Heinrich Heines »Harzreise« an und gleichzeitig aber irgendwie auch auf dessen »Deutschland, ein Wintermärchen«. Offenbar hat der zuständige Überschriftenredakteur diese beiden Dinge durcheinandergebracht. Denn Heine unternahm seine Harzreise im September 1824, also irgendwo zwischen Spätsommer und Herbstanfang. »Harzreise IM SOMMER« suggeriert nun aber, dass irgendjemand Berühmtes mal eine »Harzreise im Winter« unternommen hat, was ja nicht der Fall ist.

(Edit: An alle Seibtologen! Der gerade gelesene Witz wird in den Kommentaren so halb erklärt – thanks to our all-too anonymous readers. Der Spaß hat auch mit den »10 Sekunden Googeln« zu tun, um die es hier gleich noch geht.)

Auf lustig geschrieben

Zurück zum Text. Seibt beschwert sich an mehreren Stellen über den Eintritt, der in vielen Kirchen zu entrichten ist. Er stellt das als ostdeutsches Phänomen dar. In Italien, nur mal als Beispiel, kann man aber auch öfters ordentlich was bezahlen für eine Kirchen­besichtigung, teilweise sogar doppelt, wie Niklas Luhmann mal irgwendwo in einer Fußnote berichtet hat.

Seibts Text ist trotz des vorherrschenden Unmuts auch erkennbar auf lustig geschrieben:

»Sachsen-Anhalt bezeichnet sich auf Schautafeln am Wegrand als ›Land der Frühaufsteher‹, das aber heißt: Kirchen und Museen schließen dort einvernehmlich um 17.00 Uhr, es gilt der Stundenplan des Kollektivs, ausgeschlafen wird nicht, und am Abend herrscht die Ruhe der Toten. Andacht am Feierabend ist nicht vorgesehen.«

Also DDR-Relikte-Bashing, und warum auch nicht, das kann Gustav Seibt ja auf jeden Fall machen. Nur stimmt es nicht mal, was er schreibt. Jetzt werde ich zwar etwas pfennigfuchsig, aber schon 10 Sekunden Googeln bringen ans Licht, dass die Dome in Magdeburg, Merseburg, Naumburg und Quedlinburg länger geöffnet haben, außerdem die Hallenser Laurentiuskirche, St. Bonifatius und St. Marien in Bernburg, St. Peter und Paul in Dessau, um nur mal eine Handvoll zu nennen. Die 10 Sekunden Googeln hätten die gesamte Textstelle zunichte gemacht, denn »17 Uhr« klingt einfach untouristischer und muss eben die Stoßrichtung des Textes stützen.

Okay, vielleicht schießen die gegoogelten Schließzeiten etwas übers Ziel hinaus, aber man kann schon mal darauf hinweisen, dass es ein wenig unlauter ist, aus einem allgemeinen ein ostdeutsches Phänomen zu machen. Als Abgleich wieder der Blick nach Italien, wo Kirchen oft nur bis 13.00 Uhr geöffnet haben, und das war’s dann für den ganzen Tag. Let’s call it Entchristiani­sierung, wie Seibt das tut, hehe.

Dann noch zur Kuchenepisode:

»Jeder französische Kleinstadtbäcker würde vor Scham im Boden versinken vor dem, was im Harz als ›selbstgemachter Kuchen‹ angeboten wird: ein labberiger Fertigboden mit Erdbeeren belegt und von einer dicken Gelatineglasur geschmackstötend zugekleistert.«

Über diese Stelle hat sich schon das DLF-»Fazit« mokiert, ich kenne aber mindestens zwei Leute, die Fans dieser Textpassage sind. Alles in allem ist Seibts Unmutstext ein würdiger Kandidat für den besten schlechten Text des Jahres, so wie weiland Christine Dössels Lawinky-Porträt.

Übrigens scheint Seibt doch ab und zu auch ein Freund ostdeutscher Landpartien zu sein, mir fällt da spontan sein Artikel vom letzten Jahr ein (SZ, 6. 9. 2007), der zwischen Wittenberg und Weimar die »Toskana« Deutschlands ausmachte. Da war er entschieden besser gelaunt im Mitteldeutschen unterwegs, schrieb aber auch nicht über Kirchen und ihre Öffnungszeiten.


Die Vermeesung der Kunst

Leipzig, 22. Februar 2008, 06:02 | von Paco

Gabriel ist zurück. Der Überschriftenerfinder. Er war in den Fußstapfen von Harald Schmidt und Juan Moreno auf einer Weltreise, »um gewisse Studien zu vervollständigen«, wie er selber sagt. So habe er endlich den tieferen Zusammenhang (den es eigentlich nicht gibt) zwischen dem französischen ›c’est‹ und dem hebräischen ›זה‹ verstanden, die ja komischerweise intersprachlich eine ungefähre Homophonie bei ungefähr deckungsgleicher Semantik verbindet. Solche Erkenntnisse seien für einen Headliner Gold wert.

Anyway. Jetzt müsse er wieder ein bisschen Geld verdienen, daher kurz wieder Leipzig. Und sein neuestes Werk sei die Überschrift zu einem kritischen Artikel über Jonathan Meese und dessen Einfluss auf die Kunst und den Betrieb. Eine nicht näher genannte Hochleistungszeitung hatte angefragt. Den Namen des Artikelschreibers kenne er, wie immer, nicht. Und das hier sei also jetzt die Headline, an der er eine ganze Woche intensiv gearbeitet habe:

Die Vermeesung der Kunst

Gabriel hat dafür 3.500 Dollar eingestrichen, allegedly. Warum er in Dollar bezahlt wird für eine deutsche Überschrift, diese Frage fällt mir erst jetzt ein. Warum er so viel Geld für nur 4 Wörter bekommt, das frage ich dagegen nicht mehr. Von dieser Überschrift werden alle reden, mindestens eine Woche lang. Sie wird den Text, dem sie vorsteht, unerheblich machen.

Eine gute Feuilleton-Überschrift mache man nicht so nebenbei. Es gebe zwar auch in diesem Métier Anfängerglück, aber wenn die »Jungle World« für ihre Titelzeile mal eben den Layouter ein bisschen brainstormen lässt, das sei doch wohl so wie beim Schuster ein Walnussbrot kaufen: In seltenen Fällen hat der alte Schuhklopper vielleicht zufällig eins da, aber dann wird es sicher nach Schuhcreme und siechendem Leder riechen und nicht nach Walnuss und frisch gebackenem Teig.

Warum die »Vermeesungs«-Überschrift so gut ist, vielleicht die beste des Jahres, auf jeden Fall ihr Geld wert?

Sie lebt vor allem natürlich von der parodierenden Anspielung auf Daniel Kehlmann und seinen bestsellerischen Gauß/Humboldt-Roman »Die Vermessung der Welt«. Eine derartige klangbasierte Parodie könne aber jeder verbrechen, so Gabriel. Wenn sie dann aussagemäßig nicht zum parodierten Gegenstand passe, bleibe sie aber ein Kalauer, »das schlimmste Verbrechen der Semantik«. So sei es übrigens bei den meisten Überschriften, dadurch werde jede Langzeitwirkung zerstört.

Gabriel rechnet die Wirkung von Überschriften ja immer aus, ich weiß aber immer noch nicht, was genau er damit meint.

Seine »Vermeesung« werde wie alle Hit-Überschriften erst durch all die Nebeneffekte wirklich tiefgängig. Allein die Ersetzung der ›Welt‹ durch die ›Kunst‹ sei ein Volltreffer. Dann gebe es noch solche Faktoren wie den, dass ›Meese‹ und ›-mess-‹ auch an das griechische ›μέσος‹ (›mesos‹) erinnern, zu dt. ›mittig‹, ›Mittel-‹. Es ruft also den Terminus Meso-Mäßigkeit auf den Plan, so wie einige Leute ›Meso-Amerika‹ für ›Mittelamerika‹ sagen. Die Assoziation ›Meese-Mäßigkeit‹ stelle sich dann schnell ein, und diese Hervorhebung der Vermittelmäßigkeitung (whoa!) sei auch genau die von der Zeitung nachgefragte Tendenz des Artikels, den ja irgendein Kunsthistoriker bzw. Kunstkritiker schreibt bzw. schreiben wird.

Freilich entspräche das Meso-Wort letztlich eher dieser explodierend-bunten »Spiegel Online«-Wortspiel-Ästhetik. Aber eben nicht nur. Und ob die Meso-Anspielung überhaupt gleich jemand mitbekomme, das sei nicht die Frage. Über eine gute Überschrift könne man eben länger nachdenken als über ganze Celan-Gedichtbände. Und die Meso-Mäßigkeit bestimmter Kunstwerke und einer bestimmten Künstlergeneration werde ja eh vom Artikelschreiber thematisch bespielt, insofern gebe es da kein verschossenes Pulver.

Eine gute Feuilleton-Überschrift, sagt Gabriel, muss den kompletten dazugehörigen Artikel ersetzen können. Sie muss der Artikel sein. Und das schafft diese Headline, hier also noch mal der sozusagen komplette Artikel zu Jonathan Meese, seiner Kunst und deren Einfluss auf all die mediokren Strömungen im kontemporären Kunstbetrieb:

Die Vermeesung der Kunst


Der Feuilleton-Kampfschrei für den Tag

Leipzig, 8. Dezember 2007, 11:55 | von Paco

Bisher gab es immer einen Grund, warum man die Perlentaucher-Rundschau bei Spiegel Online lesen sollte und nicht direkt auf perlentaucher.de: Seit Jahr und Tag hat ein SP*N-Redakteur aus den vom Perlentaucher gelieferten Abstracts immer noch eine Überschrift destilliert, den Feuilleton-Kampfschrei für den jeweiligen Tag.

Gabriel sagt, dass es für angehende oder auch schon gestandene Headliner eine herrliche Übung sei, aus dem Wust an Artikelempfehlungen eine tagesgültige Überschrift zu machen. Er habe keine Ahnung, wer das dann bei SP*N letztendlich mache, aber einen schöneren Job gebe es zurzeit im deutschsprachigen Feuilleton nicht.

Und es war wirklich sehr misslich, dass der Perlentaucher bisher nicht selber die Überschrift mitgeliefert hat. Doch seit dem 1. 10. 2007 gibt es die jetzt auch beim Original. Wie dort ja überhaupt im Moment ordentlich gerelauncht wird und alles etwas luftiger, übersichtlicher, schöner aussieht.

Das Verwirrende, oder sagen wir: Lustige daran ist, dass Spiegel Online trotzdem noch an der eigenen Überschrift festhält und nicht einfach die mitgelieferte übernimmt, bei ansonsten wortgleichem Text. So sah es dann diese Woche von Montag bis Freitag aus:

3. 12. 2007
SP*N: »Diese Unwucht macht ganz wuschig«
PT: Lass, o Welt, o lass mich sein!

4. 12. 2007
SP*N: »Was ich hier sage, ist vulgär«
PT: Unterhaltungsschock!

5. 12. 2007
SP*N: »Mit moralischer Entschiedenheit!«
PT: Moralisch unglaubwürdig

6. 12. 2007
SP*N: »So sind die Libanesen!«
PT: CO2 in der Ehe

7. 12. 2007
SP*N: (nicht erschienen?)
PT: Den roten Hebel umgreift sie

8. 12. 2007
SP*N: Prohibido prohibir
PT: Sabotage, Verschwörung, Häme, Denunziation


Ein Meisterwerk der Überschriftenkunst

Leipzig, 21. August 2007, 15:20 | von Paco

Im »ZEITmagazin LEBEN« vom letzten Donnerstag gab es eine Seite über die offiziellen Slogans der Bundesländer. Der berüchtigte Baden-Württemberg-Slogan war natürlich auch mit dabei:

»Wir können alles. Außer Hochdeutsch.«

Die »Zeit«-Leute kommentierten: »Den Spruch dachte sich die Agentur Scholz & Friends aus und bot ihn zunächst Sachsen an, das ihn nicht wollte«. So weit, so anekdotig und so lustig. Der Slogan erinnerte mich aber an eine andere Sache:

In den internen Release Charts der Headliner-Szene war in diesem Jahr eine Überschrift besonders lange oben. Die stammte aus der »taz«, was ab und zu vorkommt, denn für die »tageszeitung« arbeiten die Pro-Headlinerz von morgen.

Trotzdem war Gabriel in – für seine Verhältnisse – heller Aufregung, als er in der Ausgabe vom 16. April den genialen Titel zu dem Aufmacher las, der von Oettingers fehlgriffiger Filbinger-Rede berichtete:

»Ich kann alles. Außer Geschichte«

Gabriel fiel der sprichwörtliche Döner aus der Hand. Ein Meisterwerk sei das. Das sehe nicht nach Redaktionsarbeit aus.

Ich sage bei solchen Feststellungen zwar immer: Da kann doch jeder mal drauf kommen, da kann doch mal ein Kreativblitz in die unterbesetzte Redaktion reinsegeln usw.

Aber Gabi entgegnet dann, dass das nicht geht, dass man sowas nicht zufällig hinbekommt, dass eine gut gemachte Überschrift aus mehr besteht als aus einer Haha-Pointe, dass sie vielschichtig ist, dass sie mehr sagt, als der Artikel darunter und den Artikel im Prinzip überflüssig macht usw. usw.

In der Jubiläumsausgabe der »Jungle World« neulich hat Thomas Blum davon erzählt, wie in der dortigen Redaktion die Titel-Schlagzeilen entstehen, nämlich beim haltlosen Brainstormen mit dem Layouter (Gabriel kopfschüttelnd: »Mit dem Layouter!«).

Blum konzediert dann, dass sie auf diese Art und Weise »hie und da auch übers Ziel hinaus … hmm … geschossen« seien, und das sei auch kein Wunder, meinte Gabi: »So arbeitet man nicht.«

Wenigstens lachte er danach ein wenig, und ich weiß auch, dass er die neue »Jungle World« immer am Ersterscheinungstag durchsieht, wohl irgendwie fasziniert von den Kraut-und-Rüben-Betitelungen der Dschungelkrieger.


»Leipzig ist längst tot«

Konstanz, 3. August 2007, 13:03 | von Marcuccio

Und ich frage mich: War Juli Zeh literarisch je lebendig? Aber auf die Tagline, die der Konstanzer »Südkurier« aus der seit gestern 15:45 Uhr über den Ticker laufenden Meldung gemacht hat, bin ich natürlich trotzdem reingefallen. Interessant ist doch mal der letzte Satz. Wenn Juli Zehs neuer Roman tatsächlich am 12. 8. erscheint, kann das ja nur heißen, dass ihr Durchbruch im Bahnhofsbuchhandel unmittelbar bevorsteht. Wo sonst sollte man am Sonntag, dem 12. 8., Juli-Zeh-Bücher kaufen können, geschweige wollen?


Selten dämliche Untertitel

Leipzig, 19. Juli 2007, 14:39 | von Paco

Heute in der F-Zeitung ein schöner Text von Jochen Schimmang, »Ein Mann von 1914« betitelt. Ein Text wie er so fast nur in der F-Zeitung stehen kann. Es handelt sich eigentlich um eine Besprechung eines Bandes mit Reiseprosa von Curzio Malaparte.

Ein Mann von 1914

Nebenbei ist der Text aber auch Lexikoneintrag, literaturwissenschaftlicher Abstract, Glosse, Anekdotensammlung usw. Es ist diese Mischung aus Bildung und unterhaltsamem Wahnsinn, die den Besprechungsduktus so einzigartig machen, den heute nur noch die FAZ sowie natürlich FAS und SZ, die diesen Band auch schon besprochen haben, hinkriegen.

Darum ging es aber gar nicht, als ich eben mit Gabriel mal wieder in der Mensa war, sondern darum: Der besprochene Band heißt »Zwischen Erdbeben« und trägt nämlich den Untertitel »Streifzüge eines europäischen Exzentrikers«, der sicher verkaufsfördernd ausfallen sollte und den J. S. in der F-Zeitung nun einfach mal treffend als »selten dämlich« bezeichnet, und zwar gleich im ersten Absatz.

Gabriel meinte dann, dass das eine veritable Genrebezeichnung auch für die Ästhetik-Verbrechen der Titelkommission des deutschen Kinos sei: ›selten dämliche Untertitel‹. Das ›selten‹ könne man in diesem Zusammenhang natürlich streichen. Jedenfalls formiere sich jetzt eine Art Unterwanderung, die mit der Arbeit der Titelpolizei zusammenhänge und alle Bereiche der Kulturberichterstattung erfasse. Usw.


Headlinerz auf Übungs-Safari

Leipzig, 6. Juli 2007, 09:38 | von Paco

Gabriel erzählte mir neulich, dass die erste Beta vom Windows-Safari bei den Headlinerz überaus beliebt ist. Eben weil diese verfrüht als ›Beta‹ bezeichnete Version 3.0 zumindest bei nichtenglischen Versionen KEINE ÜBERSCHRIFTEN anzeigt.

Im Prinzip wird wegen irgendeines Bugs alles, was mit < h_ > getaggt wurde, ausgelassen. Gabriel sprach, ungelogen, von »paradiesischen Zuständen«, von »Texten als Freiwild« für die Headlinerz.

The Waste Land zu lesen »ohne diese scheiß Überschrift«, die Online-Texte der SZ endlich ohne ihre fürs Web teilweise geänderten Titel, SP*N ohne Boulevard-Headlines (Screenshot) – da käme der Text endlich mal wieder »zur Besinnung«. Usw.

Das alles hätte außerdem den Charme eines Lückentextes im Übungsteil eines Lehrbuchs:

Aufgabe 1:
Rechnen Sie gewissenhaft die fehlenden Überschriften aus!

Inzwischen ist der Fehler in der Version 3.0.2 behoben, aber ein Update kommt für die Scene nicht infrage. Da die alte Version zurzeit nicht mal bei oldversion.com vorrätig ist, hüten die Headlinerz ihre Install-Datei wie ihren Augapfel.

Ich sagte Gabriel noch, dass er in egal welchem Browser mit einem User-Stylesheet ganz gezielt dafür sorgen kann, dass keine Überschriften angezeigt werden. Davon will er nichts wissen. »Natürliche Schönheit von Dingen ist das Stichwort.«


Europa zwischen zwei Polen

Leipzig, 21. Juni 2007, 18:40 | von Paco

»Das ist schon gut«, sagte Gabriel, und wunderte sich trotzdem, dass ich ihm die FR-Headline von heute so überschwenglich unter die Nase hielt: »Europa zwischen zwei Polen«. Daneben ein Bild der kartoffeligen Kaczynski-Twins, wie sie auf der EU-Flagge herumstehen.

»Kann man machen.« Das Ganze sähe aber nicht nach einem professionellen, outgesourcten Headliner aus, sondern eher nach einem redaktionellen Zufallstreffer, der dann stolz aufs Cover gehoben wurde. Dann legte er mir haarklein auseinander, warum das trotzdem erst Lehrlingsprosa sei.

Eine gute Überschrift müsse nicht nur genau in beide Richtungen der Doppeldeutigkeit passen. Diese müssen natürlich auch irgendwie semantisch miteinander zu tun haben. Das fehle in der FR-Überschrift, man merke das aber nicht gleich, weil das Wortspiel einfach zu gut ist. Usw. usw. Ich verstehe da immer nur die Hälfte, vor allem, wenn er dann wieder davon spricht, wie er Überschriften »ausrechnet«, »nachrechnet« und dergleichen.

Gabriel will trotzdem mal seinen Agenten anrufen, vielleicht weiß der, ob die Überschrift nicht doch die Gelegenheitsarbeit eines hauptberuflichen Headliners ist.