Archiv des Themenkreises ›Listen-Archäologie‹


Listen-Archäologie (Teil 4):
Mark Twain über deutsche Zeitungen (1880)

Konstanz, 9. Juni 2010, 08:10 | von Marcuccio

Wie San Andreas vorgestern schon festgestellt hat, schreibt Mark Twain in »A Tramp Abroad« (1880) sehr schöne Sachen, bezeichnet zum Beispiel Götz von Berlichingen als »den deutschen Robin Hood« usw. Im Anhang des Bandes gibt es auch die folgende Aufzählung (Spiegelstriche von mir, Twain selbst spricht aber auch von »Liste«, das Zitat stammt aus der dt. Übersetzung von Ana Maria Brock, das Original ist z. B. hier zu finden):

»Die Tageszeitungen von Hamburg, Frankfurt, Baden, München und Augsburg sind alle nach ein und demselben Schema aufgebaut. (…) Sie enthalten

  • keinerlei Leitartikel;
  • keine Personalien – und vielleicht ist das eher ein Vorteil als ein Nachteil;
  • keine Humorspalte;
  • keine Reportagen aus den Polizeigerichten [Gisela Friedrichsen schrieb halt noch nicht für den »Spiegel«, hehe];
  • keine Berichte über Verhandlungen vor höheren Gerichten;
  • keine Nachrichten über Boxkämpfe oder Hundekämpfe, Pferderennen, Gehwettbewerbe, Segelregatten, Schießwettkämpfe oder andere sportliche Dinge irgendwelcher Art;
  • keine Wiedergaben von Bankettreden;
  • keine Spalte für Kuriositäten und Seltsamkeiten irgendwo zwischen Wahrheit und Geschwätz;
  • keine ›Gerüchte‹ über irgend etwas oder irgend jemanden;
  • keine Voraussagen oder Prophezeiungen über irgend etwas oder irgend jemanden;
  • keine Listen erteilter oder beantragter Patente, auch keinen Hinweis auf solche Dinge;
  • keine Schmähung öffentlicher Beamter, seien sie groß oder klein, oder Beschwerden über sie oder Lobreden auf sie;
  • sonnabends keine religiöse Spalte;
  • montags keine wieder aufgewärmte, abgestandene Predigt;
  • unter ›Lokales‹ keine Enthüllungen darüber, was in der Stadt geschieht – tatsächlich wird nichts von lokaler Bedeutung erwähnt, was über die Schritte eines Prinzen oder das beabsichtigte Zusammentreten irgendeiner beratenden Körperschaft hinausginge.

Nach einer so gewaltigen Liste dessen, was man in der deutschen Tageszeitung nicht findet, könnte man mit Recht die Frage stellen, was denn überhaupt darin stünde. Sie ist leicht beantwortet:

  • eine Kinderhandvoll Telegramme, hauptsächlich über europäische nationale und internationale politische Vorgänge;
  • Briefkorrespondenz über dieselben Dinge;
  • Marktberichte.

Bitte sehr. Daraus setzt sich die deutsche Tageszeitung zusammen. (…)«

________________
Mark Twain: »Bummel durch Europa« (»A Tramp Abroad«, 1880). Hier zitiert nach Mark Twain: Gesammelte Werke in fünf Bänden. Herausgegeben, mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Klaus-Jürgen Popp. Band III. München: Hanser 1966. S. 1097f.
 


Listen-Archäologie (Teil 3):
Leonardo: »Ach so, ja, ich kann auch malen«

Hamburg, 8. Mai 2010, 13:20 | von Dique

Leonardo, Study of Horse Ungefähr 1483 schickt Leonardo da Vinci ein Bewerbungsschreiben an Ludovico Sforza. Es besteht aus einer Liste mit vor allem Waffen und Kriegsgerät, die er für den Mailänder Herrscher zum Einsatz bringen will. Diese Liste ist natürlich relativ bekannt und auch recht lang, und der Clou ist dann erst ziemlich am Ende versteckt (Punkt 10.): Dort erwähnt Leonardo, dass er übrigens, falls es Sie, lieber Herzog, interessieren sollte, auch als bildender Künstler exzellent sei.

Ganz zum Schluss erwähnt er dann noch das berühmte Reiterstandbild von Ludovicos Vater, Francesco Sforza, für dessen geplante Umsetzung er sich anbietet. Über zehn Jahre arbeitet er sporadisch an dem Riesenpferd, kreiert das Tonmodell, bekommt aber nie genug Bronze zusammen, damit es auch gegossen werden kann, und 1499 zerstören dann die Franzosen das Modell.

Hier nun der Brief samt Liste in seiner Gänze. Ich las ihn in der schönen Leonardo-Bio von Charles Nicholl, »Flights of the Mind«, zitiere das Anschreiben aber mal lieber nach der Leonardo-Monografie von Hugo Graf von Gallenberg (Leipzig 1834):

Den ganzen Beitrag lesen »


Listen-Archäologie (Teil 2):
Neo Rauch in Leipzig

Leipzig, 22. April 2010, 21:07 | von Paco

Die beste Rezension der »Begleiter«-Ausstellungen in Leipzig und München ist bis jetzt die von Werner Spies in der FAZ. Aber weder er noch die anderen Kritiker erwähnen wirklich mal eine Handvoll Bildtitel, und dabei sind die doch auch ganz schön, hier der Pfad durch das Leip­ziger MDBK, zuerst der Süd-, dann der Nordteil des Untergeschosses:

1. Kommen wir zum Nächsten, 2005
2. Silo, 2002
3. Schilfkind, 2010
4. Seewind, 2009
5. Bergfest, 2010
6. Wächterin, 2009
7. Acker, 2002
8. Die Flamme, 2007
9. Diktat, 2004
10. Rauner, 2009
11. Das Plateau, 2008
12. Bon Si, 2006
13. Das Angebot, 2010
14. Abstieg, 2009
15. Ausschüttung, 2009
16. Oktober, 2009
17. Vater, 2007
18. Dromos, 1993
19. Erl, 1993
20. Vorraum, 1993
21. Das Gut, 2008
22. Start, 1997
23. Moder, 1999
24. Mittag, 1997
25. Sonntag, 1997
26. Versprengte Einheit, 2010
27. Weiche, 1999
28. Arbeiter, 1998
29. Uhrenvergleich, 2001
30. Die große Störung, 1995
31. Die Küche, 1995
32. cross, 2006
33. Fell, 2000
34. Sturmnacht, 2000
35. Platz, 2000
36. Reiter, 2010
37. Reich, 2002
38. Reaktionäre Situation, 2002
39. Der Schütter, 2009
40. Das Neue, 2003
41. Helferinnen, 2008
42. Fluchtversuch, 2008
43. Abraum, 2003
44. Unter Feuer, 2010
45. Dörfler, 2009
46. Ordnungshüter, 2008
47. Am Waldsaum, 2007
48. Scheune, 2003
49. Krönung I, 2008
50. Krönung II, 2008
51. Die Fuge, 2007
52. Höhe, 2004
53. Neid, 1999
54. Theorie, 2006
55. Rauch, 2005
56. Morgenrot, 2006
57. Aufstand, 2004
58. Dämmer, 2002
59. Vorort, 2007
60. Ungeheuer, 2006

Das Ganze auch als fortgeführter Nachweis der Literarizität Neo Rauchs, zu dem Peter Richter neulich in der FAS angesetzt hat.


Listen-Archäologie (Teil 1):
Balzacs Städte-Charts

Konstanz, 9. April 2010, 14:04 | von Marcuccio

Honoré de Balzac: « Il y a pour moi (…) vingt-trois villes qui sont sacrées et que voici: »

1. Neufchâtel
2. Genève
3. Vienne
4. Pétersbourg
5. Dresde
6. Cannstadt
7. Carlsruhe
8. Strasbourg
9. Passy
10. Fontainebleau
11. Orléans
12. Bourges
13. Tours
14. Blois
15. Paris
16. Rotterdam
17. La Haye (Den Haag)
18. Anvers
19. Bruxelles
20. Baden
21. Lyon
22. Toulon
23. Naples

« je ne sais pas ce qu’elles sont pour vous, mais pour moi c’est quand l’un de ces noms vient dans ma pensée comme si un Chopin touchait une touche de piano ; le marteau réveille des sons qui vibrent dans mon âme, et il s’éveille tout un long poème … »

(Balzac: « Lettres à Madame Hanska », 12 décembre 1845).

Die Auflistung folgt der Reihenfolge der Begegnungen mit Eva Hanska – deswegen Paris, die Hauptstadt der Liebe, auch erst auf #15. Mal schauen, wann es die komplette Tour (»Balzac für Verliebte«) bei Literaturreisen.com zu buchen gibt.

(Siehe auch « Balzac et l’Europe » im feinen Monothema-Blog BALZAC (par de petites portes).)