Archiv des Themenkreises ›Musikmusik‹


Erstaunliches aus dem Leben eines Umblätterers

Hamburg/Berlin/Leipzig, 27. September 2024, 12:19 | von Dique

Es ist Sonntag. Ich treffe mich mit Maltus vor der Kunsthalle und wir gehen direkt in die Blake-Ausstellung. In der Ankündigung hat gestanden, dass man hier »das erstaunliche Œuvre des englischen Zeichners und Grafikers« präsentieren würde.

Guter Teaser eigentlich. Wobei ich erwarten und hoffen würde, dass das Œuvre von fast jedem ausgestellten Künstler irgendwie auch und mindestens erstaunlich ist. Wenige Tage später werde ich zum Beispiel die Frans-Hals-Ausstellung in Berlin besuchen, dazu gleich mehr.

Back to Blake, wir betreten die Ausstellung, gelangen aber nicht direkt in den ersten Raum, sondern mehr oder weniger in den letzten, und anstatt Blake hängt hier vor allem das grafische Werk des Lokalmatadors Philipp Otto Runge, verantwortlich für die scheußlich schönen Hülsenbeck’schen Kinder, die inkarnierten Pausbacken. Was hat Runge in einer Blake-Ausstellung zu suchen, vielleicht erfahren wir es noch.

Nach ein paar Minuten schaffen wir den Reboot, beginnen in Raum 1 und gehen nun chronologisch William Blakes Werk ab. Neben den Zeichnungen und Grafiken von Blake wird auch dessen Umfeld beleuchtet (also Runge, haha), unter anderem mit Werken von Füssli und dem grooooßen John Flaxman, und wir können uns hier ein paar schöne Zeichnungen und Grafiken ansehen, auch zwei skulpturale Werke sind dabei.

Wir schwirren wie die Bienen um diese einfach nur herrlichen Flaxmans. Ich finde vor allem seine feinen Zeichnungen so großartig, oft zeichnet er Figuren mit nur einer Linie. Irgendwo, ich glaube in Friedlaenders »David to Delacroix«, habe ich mal gelesen, dass er während seines Parisaufenthalts nur wenig fand, das ihn begeisterte (wahrscheinlich war wenig Erstaunliches dabei), außer ein Gemälde von Ingres.

Bevor ich dann, wie gesagt, weiter zu Frans Hals nach Berlin reisen werde (Malle Babbe, ick hör dir trapsen!), gehe ich am Montag noch aufs LEFT TO DIE-Konzert. LEFT TO DIE bestehen aus ehemaligen Mitgliedern von DEATH, OBITUARY, EXHUMED und anderen Bands. Das Besondere ist, dass sie einfach nur mit den Songs der ersten beiden DEATH-Alben auf Tour gehen, also »Scream Bloody Gore« und »Leprosy«.

Klingt das gut, klingt das schlecht? Ich habe mich fachmännisch per YouTube informiert und konnte feststellen, dass das erstaunliche Œuvre von DEATH einfach herrlich runtergespielt wird. Ein lauschiger Abend, kurzentschlossen gehe ich ins »Knust«.

Dabei gehe ich fast nie auf Konzerte, vor allem nicht auf Metal-Konzerte, daher generelles Premierenfeeling. Und ich weiß nicht, was ich erwartet habe, aber ich bin dann beinah ein wenig überrascht, dass man hier komplett auf ein Klischee trifft. Schwarze Band-T-Shirt und Metalkutten, und wer noch Haare hat, der trägt sie lang. Jedenfalls alles supernett und easy.

Im »Knust« gibt es oben eine Galerie, wo man ganz ohne Schubserei die Musik genießen kann. Der Sound der Vorband ist leider furchtbar matschig und ich mache mir Sorgen, dass ich dann später die Songs von DEATH aus einem zusammengemanschten Brei heraus würde erahnen müssen. Das passiert aber nicht. LEFT TO DIE stehen toll auf der Bühne und spielen das Set runter. Ein paar Lichteffekte dazu und das ist alles. Sie beginnen mit »Choke on It«:

Choke on it
As your tongue goes down
Choke on it
Death is all around

Der Sound ist perfekt, kristallklar, crisp. Die Double Bass klickt wie zwei parallel geschaltete Singer-Nähmaschinen und die Stimme von Matt Harvey erinnert tatsächlich an Chuck Schuldiner, den ungekrönten und leider verstorbenen König des Florida Death Metal.

Ich muss hier nicht mehr viel erzählen, wenn man einmal auf dem Konzert einer geliebten Band war, deren Songs man auswendig kennt und regelmäßig unter der Dusche trällert, …

Their lives decay before their eyes
There is no hope of cure
Among their own kind they live
A life that’s so obscure
First an arm and then a leg
Deterioration grows
Rotting while they breathe
Death comes slow

… wird man nachvollziehen können, welcher Fun das ist, diese Songs full-blaster live zu hören.

Ich lehne nun da oben auf der Brüstung und genieße Song für Song, mit dümmlich-glücklichem Grinsen im Gesicht, wenn ich denke: OMG jetzt spielen sie »Forgotten Past«! und jetzt »Open Casket«! und irgendwann brülle ich dann in den Übergang zwischen zwei Stücken hinein »Pull the Pluuuuuuug!«

»Pull the Plug« ist der absolut beste Song des »Leprosy«-Albums, und nach dem nächsten Lied brülle ich noch mal und andere tun es mir gleich, alle im sinnlosen Schrei vereint wie die drei Gesellen in Rückerts Gedicht, wenn der Todesengel sie liegen sieht: »Er sah auf ihrem Munde / Die Spur des Wortes noch.«

»Pull the Plug« ist der letzte Song des Abends, die Zugabe, bevor die plugs gepullt werden, vielleicht hätten wir also gar nicht so toben müssen. Sie haben insgesamt nicht viel mehr als eine Stunde gespielt, ein richtig gutes Set, no messing around, no BS, einfach diese herrlichen Songs von DEATH runtergehauen. Matt Harvey erwähnt, dass es sich um einen Tribute für Chuck handelt, dem wir diesen ganzen Traum verdanken. Als der ganze Saal »Chuck, Chuck, Chuck!« brüllt, finde ich es ein bisschen befremdlich, so wie Leute, die im Kino klatschen, obwohl weder Filmteam noch Schauspieler anwesend sind, aber warum denn nicht.

Dann endlich weiter zu Frans Hals nach Berlin. Unmengen dieser herrlichen Portraits, viele bekannte Gemälde aus Amsterdam, London, Berlin, Dresden, schwarze Gewänder, Mühlsteinkragen und Spitze, ob um den Hals oder an Saum oder Manschette. In der Fülle ist die Wahrnehmung natürlich eine ganz andere, die Werke im direkten Vergleich, nebeneinander. Der lachende Kavalier aus der Wallace Collection in London ist ja dort der einzige Hals; hier unter all den anderen Hälsen gewinnt er an Dimension.

Ich studiere teils aus nächster Nähe, doch irgendwann sehe ich keine Pinselstriche mehr, nur noch lächelnde, ja lachende Menschen. Frauen, Männer, Kinder strahlen mich aus ihren großen Mühlsteinkragen an, und angesteckt von dieser ganzen guten Laune verlasse ich die Ausstellung durch eine der vielen Türen direkt in die Dauerausstellung und gehe zum x-ten Mal durch die wunderschöne Sammlung der Gemäldegalerie. Der Bilderbuch-Caravaggio, das erbsenessende Bauernpaar von Georges de la Tour, das erste bekannte Gemälde von Parmigianino, der Elsheimer, die Velázquez und eine der besten Madonnen mit Gurke von Carlo Crivelli.

Eigentlich bin ich in Berlin noch mit Paco verabredet, aber er hat an irgendeinem Badesee die Zeit vergessen, und so fahre ich direkt weiter nach Leipzig. Dort treffe ich am nächsten Tag John Roxton, den glücklicherweise lebenden, lebensfrohen und ungekrönten König der Massakerminiatur. Ich werde auf eine Kanalbootfahrt mit anschließendem Mittagessen eingeladen. John Roxton hat den Hals nicht gesehen, den Blake nicht und von LEFT TO DIE hat er noch nie gehört, und ich erzähle ihm das alles, und er erzählt vom letzten Bret Easton Ellis, von Iris Origo und Robert Byron, und wir sprechen über Gogol und über Rainald Goetz, denn JR hat mir freundlicherweise den Band »wrong« des großartigen Autors als Geschenk mitgebracht.

Auf dem Weg zum Treffen besuche ich noch schnell das Leipziger Museum der bildenden Künste, einfach um Klingers Beethoven und den Schmerzensmann von Meister Francke mal wieder zu sehen. Nach wie vor lebt das Museum vor allem von seinen Dimensionen, diesem mächtigen Betonklumpen mit Glaseinschüben, den monströs großen und schweren Holztüren, es lebt weniger von der Sammlung, die ich zumindest nicht als so erstaunlich bezeichnen würde wie das Werk von William Blake.
 


Kein Besuch in Gaggenau

Palma de Mallorca, 13. Januar 2024, 19:07 | von Dique

Gaggenau liegt in Baden-Württemberg, hat ca. 30.000 Einwohner und erhielt laut Wikipedia 1922 das Stadtrecht. In der Wikipedia ist auch ein Bild des Rathauses von Gaggenau zu sehen. Schneereste auf dem Boden und ringsherum das typische Wetter des schleichenden nordeuropäischen Winters. Deprimierend.

Auf den zweiten Blick ist das Gebäude allerdings recht wundervoll, fünf Etagen gerader Formen und ein Arkadengang mit eckigen Säulen erinnern an rationalistische Gebäude aus dem Italien der 30er und 40er Jahre. Die Verkleidung mit den Platten aus wahrscheinlich Travertin sieht aus wie drangenietet. Gebaut wurde es 1957/58 von Karl Kohlbecker. Sein Vater hatte bereits das vorherige Rathaus gebaut, das im Krieg zerstört wurde. Hübsch.

Dann kommt aus Gaggenau natürlich noch die berühmte und gleichnamige Küchengerätefirma. Und damit könnte man die Betrachtung Gaggenaus auch schon beschließen, den Nicht-Gaggenauern unter uns wären weitere Details über die Stadt womöglich Wumpe.

So könnte das sein, auf den ersten Blick, würde es nicht Muhammed Suiçmez geben. Muhammed wurde zwar in Karlsruhe geboren, seine Band NECROPHAGIST gründete sich aber in Gaggenau.

Manchmal entstehen große Kunstwerke an ungewöhnlichen Orten bzw. außerhalb der üblichen Brutstätten der Kreativität, deren es wahrscheinlich bedarf, um so was wie die Wiener Klassik oder die Florentiner Hochrenaissance hervorzubringen. Ein Überzentrum der jüngeren Vergangenheit ist zum Beispiel Tampa, Florida, die Wiege des Florida Death Metal. Der Kontrast zwischen dem Sunshine State und der tiefdunklen Musik war für mich immer mysteriös und ironisch zugleich.

Große Zentren wie Wien, London oder New York bleiben über Jahrzehnte oder Jahrhunderte Hotbeds menschlicher Kreativität. Temporäre Zentren sind im Werden und Vergehen dagegen ziemlich schnell, von einem oder wenigen großen Geistern entfacht, ein Umkreis entsteht, bis das Feuer dann stetig erlischt, als Beispiel vielleicht die die kurze Episode von Caravaggio in Neapel mit der kurzen Blüte der neapolitanischen Caravaggisti oder Leonardo da Vinci in Mailand mit dem wunderbaren Kreis von Schülern und Nachfolgern.

In Tampa, Florida, war es ganz ähnlich, kann man ja überall nachlesen, da sind natürlich die Morrisound Studios und Scott Burns als Produzent, der die signifikante doppelte Fußtrommel erstmals prägnant nach vorne gemischt hat, neben vielen anderen Dingen! Und natürlich musikalische Lichtgestalten wie Charles Michael »Chuck« Schuldiner von DEATH. Ja klar, auch OBITUARY, DEICIDE, MORBID ANGEL und viele andere haben Spitzenplatten rausgebracht, doch Chuck Schuldiner und DEATH stehen eben noch ein ganzes Stück weiter oben auf den Schultern der Giganten, um hier mal frei Newton (berühmter Physiker) zu zitieren.

Und wie kommt man nun von Tampa, Florida, und DEATH zurück nach Gaggenau? Ganz einfach über Muhammed Suiçmez, der sich in jungen Jahren das Gitarrespielen selbst beibrachte und mit NECROPHAGIST eine der besten Tech Death Metal-Bands eben dort in Gaggenau gegründet hat. Chuck inspirierte und durchlebte mit DEATH die Frühphase des Death Metal. »Scream Bloody Gore« und »Leprosy« sind Sternstunden der Death Metal-Frühzeit. Man findet da auch schon die Komplexität des Gitarrenvirtuosen Chuck bzw. den typischen DEATH-Sound, aber es dominiert düstere Härte, die sich mit »Spiritual Healing« und dann vor allem mit »Human« in hochkomplexe musikalische Gewalt verwandelt.

»Individual Thought Patterns«, »Symbolic« und »The Sound of Perseverance« sind dann bereits vollkommen durchgestylte musiktechnische Wunderwerke. Mit der Gnade der späteren Geburt konnte Muhammed Suiçmez dann direkt anknüpfen, er musste nicht in die Erstbesteigung, sondern konnte den vorbereiteten Pfad nehmen und sich der Verfeinerung widmen.

Ich will hier nicht so tun, als würde ich irgendwas davon verstehen, und weiß nicht mal, ob für Muhammed nicht DEATH, sondern ganz andere Bands und Musiker einflussreich waren. Ich sehe aber die Parallele darin, dass Chuck und Muhammed den Sound ihrer Bands über alle Maßen geprägt haben, beide haben eines der Alben einfach mal komplett selbst eingespielt, also jedes einzelne Instrument.

DEATH waren nicht nur besonders in der musikalischen Innovation, sondern ab »Spiritual Healing« hat Chuck sich auch von den typischen Death Metal-Lyrics verabschiedet und hervorragende Songtexte geschrieben (»Within the Mind«, »Perennial Quest«, »Misanthrope«). Muhammed dagegen blieb immer bei den genretypischen blutrünstigen Grauenhaftigkeiten, deswegen sind die Lyrics allerdings nicht schlecht, aber über Titel wie »Mutilate the Stillborn« will man, vor allem ich als Nicht-Metaller, lieber gar nicht erst nachdenken, wie bei einer guten Oper sind die wirklichen Details der Geschichte wenig wichtig angesichts der unglaublichen Musik.

Das Wunder Musik bei NECROPHAGIST klingt für mich jedenfalls so ein bisschen wie Chuck Schuldiner und Pierre Boulez gemischt und auf Speed oder so. Es gibt von NECROPHAGIST leider nur zwei vollständige Alben (und zwei Demos): »Onset of Putrefaction« (1999) und »Epitath« (2004). In späten Interviews sprach Muhammed noch von Plänen für ein weiteres Album, erwähnte den Einsatz einer siebenseitigen Gitarre und weitere Ideen, jedes Instrument hörbar und wichtig zu machen.

Leider kam es dazu nicht mehr und Muhammeds Whereabouts bleiben ein Mysterium. Auf YouTube gibt es ein Video »The Search for Muhammed Suiçmez«, in dem der Autor versucht, Muhammed auf die Spur zu kommen, es wird vermutet, dass er als Ingenieur bei BMW arbeitet, Spoiler Alert: die Suche bleibt erfolglos.

Ich werde Gaggenau erst selbst besuchen, wenn es dort ein vernünftiges Reiterstandbild von Muhammed Suiçmez gibt, falls ich aber vorher noch in eine Karriere als Schriftsteller wechseln sollte, dann werde ich den Künstlernamen »Gaggenau« wählen, dem großen Marie-Henri Beyle folgend.
 


Richard D. – Das letzte Opernhaus

Hamburg, 1. August 2019, 10:10 | von Dique

Natürlich ist Richard Deiss nicht müde geworden und statistikt sich frisch und frei durch die Welt. Und natürlich beobachten wir weiter sein Treiben und sind immer mal wieder teilnehmend-beobachtend dabei. Das Projekt Opernbesuche ist abgeschlossen und wurde mit einem weiteren seiner rausgeschossenen Books on Demand manifestiert: »Kein Opernhaus in Oberhausen«.

Das Buch ist ein tollkühner Ritt durch ALLE Opernhäuser Deutschlands. So abgeschlossen wie das Projekt sein mag, noch gibt es unbesuchte Opern im Ausland und auf diese will sich Richard nun konzentrieren, aber wohl nicht in der gleichen Blitzgeschwindigkeit, in der er sich durch die ca. 99 Opern-Spielstätten Deutschlands gesessen hat. Er war ja nicht nur kurz da, wie sonst gern seine Art, er nahm ja immer auch eine Vorstellung mit – nach sechs Mal »Fidelio« in kurzer Spanne hat sogar er dann auch mal ein bisschen aufgestöhnt.

Vor ein paar Wochen habe ich Richard noch beim Besuch seiner letzten noch offenen Opernspielstätte begleitet, der Kammeroper im Allee Theater in Altona. Gegeben wurde in dem kuschligen, kleinen Haus »Offenbachs Traum«. Wir sitzen in der dritten Reihe und sind so nah dran wie selten. Die kleine Bühne hat sogar einen Orchestergraben und die Sänger schreiten ständig gefährlich nah am Bühnenrand und am Rande des Orchestergrabens herum. Eine ältere Dame, die direkt vor uns sitzt, gesteht in der Pause, dass sie sich nicht auf das Stück konzentrieren könne, aus Angst, einer der Sänger würde in die Tiefe des kleinen Orchestergrabens abrauschen. Diese Horrorvision beeinträchtigt nun wieder meine eigene Wahrnehmung im letzten Akt.

Richard kommt natürlich nicht einfach mal so irgendwohin, trifft sich mit dir und dann geht’s in die Vorstellung. Er würde ja vorher gern noch und man könnte ja zusammen und so weiter und so weiter. Wir wollen uns also in Buchholz treffen und von dort aus soll die Bossard Kunststätte besucht werden, von der ich vorher noch nie etwas gehört hatte. Johann Michael Bossard betrieb in der Nähe von Jesteburg, mehr oder weniger mitten im Wald, eine Art Künstlerenklave à la Worpswede. Dort steht nun ein Gesamtkunstwerk aus Architektur, Skulptur und Malerei, das von seinem großzügigen Atelierhaus und dem sogenannten Kunsttempel dominiert wird. Der Kunsttempel ist eines der wenigen expressionistischen Gebäude im nordischen Backsteinstil und einfach ziemlich der Wahnsinn, wie diese ganze Kunststätte überhaupt.

Kurz vorher habe ich noch kleine Zweifel am Timing angemeldet. Die Kunststätte befindet sich eben nicht direkt in Buchholz, sondern irgendwo im Wald bei Jesteburg. Wie kommt man hin und wie kommt man wieder weg, und dann müssen wir ja auch wieder zurück nach Hamburg in die Oper? Laut Richard alles kein Problem, Taxi sei schon bestellt und auch für die Besichtigung habe man genug Zeit. Ich gewinne sogar noch eine halbe Stunde, denn ob meiner Zweifel kommt Richard dann nämlich doch etwas früher nach Buchholz. Er knapst die Zeit bei vorherigen Besichtigungen ab, die letzte Station vor Buchholz war Schneverdingen, der Eine-Erde-Altar in der Eine-Welt-Kirche. Der Altar versammelt Erd- und Sandproben aus aller Welt. Als Geologe ist Richard davon natürlich begeistert und kommt in entsprechender Hochstimmung in Buchholz an. Das Taxi ist dann auch schon da und alles läuft wie geschmiert.

Mit dem Zug geht es schließlich zurück nach Hamburg und wir treffen pünktlich in der Kammeroper in Altona ein, da reicht die Zeit sogar noch für eine Limo auf der kleinen Veranda im Hinterhof, bevor es losgeht. Bzw. – wie es so schön heißt in »Lazy Sunday«, der SNL-Performance von Andy Samberg und Chris Parnell aus dem Jahr 2005: »Now quiet in the theater or it’s gonna get tragic, / We’re about to get taken to a dream world of magic«, in diesem Fall aber nicht in die Traumwelt von Narnia, sondern die nicht weniger spektakuläre von E.T.A. Hoffmann.

Das Ende des wunderbaren Stücks, auf dieser schönen kleinen Bühne, sehe ich allerdings ganz allein, Richard muss weiterziehen, es geht nach Berlin und er will den letzten Zug nicht verpassen. Die alte Dame vor mir wirft mir am Ende noch einen wissenden Blick zu, wir sind beide erleichtert, dass keiner der Sänger im Orchestergraben verschwunden ist.
 


Richard D. – Mission Oper

Hamburg, 13. November 2018, 20:06 | von Dique

Endlich ist Richard Deiss mal wieder in town und natürlich für eines seiner Abzählen-Abhaken-Abfeiern-Projekte. Gerade ist er dabei, alle Opernhäuser Deutschlands zu besuchen. Also nicht nur besuchen, davorstehen und mal kurz reinkucken, sondern jeweils mit Vorstellung. Im Notfall würde er eine öffentliche Probe akzeptieren, besser ist aber immer eine echte Aufführung, und das scheint auch gut zu klappen. Bei diesem ersten Wiedersehen mitten in der Hochphase des aktuellen Projekts geht es zu »Fidelio« in die Hamburger Staatsoper. Die einzige Oper von Beethoven ist ja ein statistisches Kuriosum und für Richard von besonderem Interesse.

Zuletzt hatte ich ihn in Brüssel getroffen, vor einer dieser berühmten gefühlten Ewigkeiten, und damals auch nur sehr kurz. Richard Deiss, dann noch ein weiterer Richard und ich, sahen an jenem Abend zunächst einer Bekannten von Richard D. beim Muscheln und Pommes Frites essen zu. Warum sahen wir zu? Weil der andere Richard und ich bereits zu Abend gegessen hatten, bevor dieses Treffen spontan anberaumt wurde, und weil der »echte« Richard nach 17 Uhr nichts mehr isst. Er macht seit einiger Zeit 16/8-Kurzzeitfasten, aber, anstatt das Frühstück wegzulassen, wie die meisten 16/8-Kurzzeitfaster, streicht er das Abendessen. Über die sozialen Folgen dieser Entscheidung diskutierten wir noch länger an diesem Abend, vor allem, nachdem dann die Bekannte vollgegessen verschwand und ich mit den beiden Richarden allein in der Brasserie saß.

Und nun sehen wir uns also mal wieder in Hamburg, mal wieder kurz und auf Mission. Grundsätzlich sollen ja alle Opernhäuser in Deutschland besucht werden, aber er nimmt auch international mit, was eben geht. International gibt es nun aber nicht so viele Opernhäuser, Deutschland ist die Hochburg, ein echtes Asset, über das viel zu wenig gesprochen werde, meint Richard, und ich kann ihm nur beipflichten. Er kommt erst kurz vor der Aufführung in Hamburg an. Wir treffen uns im Café um die Ecke und müssen schon nach ein paar Worten hinüber in die Oper. Mir gefällt die Hamburger »Fidelio«-Aufführung sehr gut, aber mir gefällt ja auch alles. Richard ist kritischer, er hätte sich das ganze noch ein wenig trister gewünscht, vor allem die Gefängnisszenen. Darüber diskutieren wir im Anschluss bei ein paar Glas Wasser.

Sein Programm für die folgenden Tage ist natürlich auch wieder beeindruckend. Zunächst verabreden wir uns für den nächsten Morgen zum Besuch des noch recht neuen Bargheer-Museums im Jenischpark, bevor Richard nach Schwerin aufbrechen wird, Mecklenburgisches Staatstheater, »Rosenkavalier«, und danach geht es wohl gleich weiter nach Berlin.

Zum Museumsbesuch kommt Richard stark verspätet, aber die Ausgangslage war auch denkbar ungünstig. Er hat vorher noch einen Abstecher nach Norderstedt gemacht, weil es die größte deutsche Stadt ist, in der er noch nie gewesen ist (knapp 80.000 Einwohner), obwohl er bereits über tausend deutsche Städte besucht habe. Doch der Jenischpark liegt nun ungünstig entfernt in der Nähe der Elbe. Als er dann endlich irgendwann eintrifft und wir gerade den ersten Raum im Museum abschreiten, meldet sich ein weiterer Bekannter und ein weiteres Treffen muss koordiniert werden. Der Museumsbesuch ist entsprechend kurz und knackig, vor allem für Richard, der ständig telefoniert und textet, denn der andere Bekannte hat keine Lust auf Museum, das Wetter sei ihm dafür zu schön, und so geht es dann bald schon auf einen Kaffee in den Park. Irgendwann meint Richard, dass er nun bald losmüsse, nach Schwerin. Allerdings habe er schon noch 15 Minuten und schlägt vor, dass wir noch schnell in das ebenfalls im Jenischpark befindliche Barlach-Museum gehen. Ich lehne einen weiteren Blitzbesuch des mir sehr gut bekannten Museums ab und der Bekannte sowieso. Dennoch ermutige ich Richard zum Besuch und weg ist er, und nach weniger als 10 Minuten dann auch wieder da. Das Museum gefalle ihm sehr gut.

Diese Ereignisse spielen sich im frühen Sommer dieses Jahres ab, Richard hat insgesamt schon 30 Opernbesuche hinter sich. Für ihn geht es straff im Programm weiter und ich begleite ihn noch zwei weitere Male. Kurz vor Ende der Spielzeit klappt es in Hannover zu »Aida«. Wir haben nichts Spektakuläres erwartet und staunen dann nicht schlecht über die herrliche Aufführung, ein analoges, aber auch digitales Feuerwerk. Überall Bildschirme, YouTube-Einspieler, Live-Googlen und eine Steadicam, die aus allen möglichen Bühnenwinkeln Bilder auf Leinwände projiziert, schräg und beeindruckend, nicht gezwungen, sondern nur gelungen.

Außer Richard ist noch Marcuccio mit dabei und wir sind alle drei wie weggeblasen. Die spätere Recherche bestätigt, dass wir aus Versehen in eine der innovativsten »Aida«-Aufführungen, nämlich die von Kay Voges, geraten sind. Bevor wir uns danach auf einen Drink irgendwo niederlassen können, müssen wir noch im Eilmarsch zum berühmten Maschsee, benannt nach einem der berühmtesten Söhne der Stadt, Carsten Maschmeyer, hehe.

Mittlerweile hat Richard nun über 80 Opernhäuser besucht und muss nur noch ein paar kleine Häuser einsammeln, Gera, Altenburg, Hildesheim und nahezu ganz Schleswig-Holstein. Aber bis zum Frühjahr soll es vollbracht sein. Vor ein paar Tagen bin ich mit ihm in Lüneburg und wir sehen »La Bohème«. Beinah verpassen wir den Anfang. Das Timing ist wie üblich eng. Am Freitag ist Richard in Oldenburg gewesen, dann am Samstagmorgen nach Berlin gefahren, aber abends weiter nach Dresden in die Semperoper und nachts wieder zurück nach Berlin, am Sonntagmorgen dann über Hamburg nach Lüneburg. Die Aufführung geht bereits 15 Uhr los und wir haben vorher ca. 1,5 Stunden in Lüneburg Zeit, wollen daher noch den Libeskindbau der Leuphana Universität besichtigen und bei einem Blitz-Spaziergang durch die Altstadt noch etwas zu Mittag essen. Bis auf eine wilde Taxifahrt zur Universität und den Sprint aus der Altstadt zur Oper schaffen wir das ganz entspannt, und »La Bohème« in dem kleinen Lüneburger Hause ist auch recht gelungen, auch wenn Richard schon wieder bemängelt, dass ihm das Bühnenbild nicht trist genug sei.
 


Parsifal in Hamburg

Hamburg, 19. September 2017, 17:13 | von Dique

Dann war ich auch noch in der Oper, die Premiere des neuen »Parsifal« an der Staatsoper Hamburgo. Kent Nagano als Dirigent, inszeniert von Achim Freyer. Das war ein großes Fest und wurde vom Publikum extremst abgefeiert, habe ich in der Form noch nicht erlebt. Dabei war ich selber gar nicht so berauscht. Musik war top und der Achim Freyer, der am Ende auch auf die Bühne kam, ist ein herrlicher, alter, aber jung gebliebener Zausel.

Kostüme waren so im Gothic-Style, Kundry z. B. hatte massive Dreadlocks, Amfortas und Gurnemanz sahen auch so aus, als wären sie auf dem Weg nach Leipzig zum Wave-Gotik-Treffen. Andererseits lag ein großer Schleier vor der Bühne, auf dem ab und an große Worte eingeblendet wurden, und die Bühne hatte ca. vier Etagen, das war dann wieder ganz smart. Aber der Gruftie-Look ging mir ein bisschen auf das Gemüt.

In der Pause beobachtete ich am Nachbartisch eine hübsche Szene. Da saß eine sehr große, elegante Frau, um die 40, mit zwei älteren Herren, es gab Schampus und Häppchen, einer der Herren war super fett, mindestens so wie Mandelbrod in den »Wohlgesinnten«, der andere trug einen Schnauz, Typ Anwalt aus den 80ern. Die Frau besprach laut das Stück, aber immer unter der Verwendung der Wörter »geil« und »scheiße«, das war so ein bisschen schräg, »und wie Kundry auf die Bühne geflogen kam, so geil, und dann der Amfortas, ich dachte, scheiße …«.

Der Clou war aber, dass sie die Outfits an »The Dark Knight« erinnerten (und da hatte sie auch genau recht), und dann ergoogelte sie ein Bild des Jokers und zeigte es stolz den beiden Herren, die offensichtlich keinen Plan hatten, sich allerdings auch sowieso mehr für ihre Lachshäppchen interessierten. Ok, eine lange Geschichte und eigentlich ist ja so viel nicht passiert, einfach mal wieder in der Oper gewesen.
 


Elbjazz

Hamburg, 8. Juni 2017, 12:38 | von Montúfar

Das Elbjazz-Festival fand diesmal wieder auf dem coolsten Festivalgelände ever statt, der Blohm+Voss-Werft in Hamburg. Jazzfans sind ja dafür bekannt, einen unvermittelt nach den abseitigsten Insiderfakten abzufragen und einen gnadenlos zu ächten, falls man nicht wie aus der Pistole geschossen die Antwort weiß, wer denn gleich noch mal auf Jan Garbareks 1974er-Album »Luminessence« das Klavier für Keith Jarrett gestimmt hat. Deswegen hatte ich sicherheitshalber gleich keine Karten für das Garbarek-Konzert in der Elphi bekommen und mich auf dem Weg nach Hamburg mithilfe der aktuellen Jazz-Thing informiert.

Tatsächlich: Gleich am ersten Abend, auf dem Weg von der Bühne Am Helgen zur Alten Maschinenbauhalle, trat meiner Begleiterin und mir ein junger Mann in den Weg und verlangte, eine kurze Frage stellen zu dürfen. Es war soweit. Ich konnte mich plötzlich an keine Namen, Daten, Fakten aus meiner Jazz-Thing erinnern, hatte aber bereits abwehrend-verunsichert genickt. »Sagt mal, kennt ihr Heinz Sielmann?« Fuck. Aufgrund meiner intensiven Jazz-Vorbereitung hatte ich die SZ von diesem Tag nur durchgeblättert. »Ja ja, der Tierfilmer, der hat doch heute Geburtstag, is 80 geworden oder so. Oder sogar 90.« »100 wäre er geworden!«, schmetterte mir der junge Mann freudig entgegen und drehte sich ebenso freudig zu seiner Begleiterin um: »Hab ich doch gesagt, dass der berühmt ist.« Der jungen Frau war der Auftritt ihres Begleiters fast so peinlich wie mir meine falsche Antwort. Meine Begleiterin und ich retteten uns zu einem veganen Imbissstand, der den total witzigen Namen »Vincent Vegan« trug und bei dem man zur besseren Zuordnung der Bestellung, auf die man ein wenig warten musste, weil ja alles frisch zubereitet wurde, einen Tiernamen nennen sollte. Wir warteten also, bis »Eichhörnchen« ausgerufen wurde und fanden es beide wirklich lecker.

Nach dem ersten Festivaltag saßen wir noch mit Freunden vor dem »Tool«, Hamburgs coolstem Fahrradladen. Dort zeigte mir unsere Gastgeberin eine geniale Funktion ihres Smartphones. Sie brauchte beim Verfassen von SMS gar keine Buchstaben eingeben, sondern konnte sich in einem gesonderten Feld sechs Wortvorschläge anzeigen lassen. Sie wählte mehrfach hintereinander immer wieder den ersten Vorschlag und auf dem Display erschien: »Hi Thomas Mann mit den ganzen Text …«. Danach verlor sich die Vorschlag-Random-SMS in Relativkonstruktionen, die ich mir nicht gemerkt habe.

Als wir am zweiten Festivaltag das Werftgelände verließen, um zu einer anderen Bühne im Thalia-Zelt in der Hafencity zu gehen, stieß mich meine Begleiterin in die Seite: »Ey, da is grad Heinz Strunk vorbeigelaufen!« Ich hatte nicht auf die mir entgegenkommenden Besucher geachtet, weil ich von der Größe des Wurstgrills beeindruckt war, der neben dem Ausgang vor den Toren einer Feuerwehrstation stand. Also konnte ich mich nur noch schnell rumdrehen und einen Mann sehen, der von hinten so aussah, wie ich mir Heinz Strunk von hinten vorstelle.

Da das Festival schon am Samstag Abend vorbei war und es uns im Thalia-Zelt so gut gefallen hatte und wir am Sonntag erst am Abend wieder abreisten und es eine Sonntag-Nachmittag-Vorstellung im Thalia gab, gingen wir hin. Es war ein Stück von einer australischen Schauspielgruppe und begann damit, dass eine Figur mit Tieren bedruckte Pappen so hochgehalten hat, dass die andere Figur das Bild nicht sehen konnte, dennoch aber immer das richtige Tier nannte. Da das Stück auf Australisch war, wurden Text und Übersetzung an den Rückraum der Bühne projiziert. Die Ratefigur hätte also schummeln können und nach hinten kucken, hat das aber wirklich nicht ein einziges Mal gemacht. Es stellte sich dann heraus, dass die Ratefigur Gott war, die den Tieren der Welt gerade ihre Namen gab. Die Rolle der anderen Figur hat sich mir nicht erschlossen. Als dann tatsächlich ›squirrel‹ genannt wurde, bekam ich Hunger, zumal das Stück »Lady Eats Apple« hieß, was aber nur metaphorisch gemeint war. Deshalb gingen wir anschließend ins Café Koppel, wo es Milchreis mit Zucker und Zimt gibt. Zum Nachtisch fanden wir in einem Kiosk noch spanische Süßigkeiten mit dem Namen »Camel Balls«, der auf der Verpackung auch eindrücklich visualisiert wird. Die aßen wir dann am Ufer der Außenalster, während wir die vielen kleinen Segelboote betrachteten und unsere Gastgeberin erzählte, wie sie früher immer von hier zum gegenüberliegenden Außenalsterufer und wieder zurück geschwommen sei.
 


Umblätterer’s Delight: Mixtape 2012

Bonn, 2. Februar 2016, 19:22 | von Katana

 

  1. Here We Go Magic: Hard To Be Close (vimeo)
  2. Purity Ring: Fineshrine (youtube)
  3. XXYYXX: Breeze
  4. Alt-J: Breezeblocks (youtube)
  5. Beach House: Lazuli (youtube)
  6. Kuedo: Scissors (soundcloud)
  7. Animal Collective: Wide Eyed (youtube)
  8. Grimes: Eight
  9. John Talabot: Missing You (youtube)
  10. Hot Chip: Night & Day (youtube)
  11. Hobo: Shadowz
  12. Lower Dens: Lamb
  13. The xx: Swept Away
  14. Ben Howard: Black Flies (youtube/live)
  15. Holy Other: Tense Past
  16. Maximo Park: Hips and Lips (vimeo)
  17. Grizzly Bear: Speak in Rounds (youtube/live)
  18. Lorn: Everything Is Violence
  19. Cristian Vogel: Deep Water (soundcloud)
  20. Marsimoto: Alice im WLAN Land
  21. Twin Shadow: You Call Me On
  22. Patrick Watson: Noisy Sunday
  23. Lana Del Rey: This Is What Makes Us Girls

The Umblätterer’s Delight Series 2012–2015:
Mixtape 2012 | Mixtape 2013 | 50 wichtigste Alben 2013 | Jahresrückblickiana 2014 | Mixtape 2015

 


Umblätterer’s Delight: Mixtape 2013

Bonn, 1. Februar 2016, 18:59 | von Katana

 

  1. Edward Snowden Intro (youtube)
  2. Fuck Buttons: Stalker
  3. James Blake: Digital Lion
  4. Mount Kimbie: Made to Stray
  5. Bonobo: Cirrus (youtube)
  6. Death Grips: Two Heavens (youtube)
  7. Chance the Rapper: Favorite Song
  8. Phoenix: Chloroform (youtube)
  9. Lorde: Ribs
  10. Tegan and Sara: Drove Me Wild
  11. Chvrches: We Sink (universal-music)
  12. Arcade Fire: Afterlife (youtube)
  13. Sigur Rós: Stormur
  14. Volcano Choir: Comrade (youtube/live)
  15. Vampire Weekend: Finger Back
  16. Veronica Falls: Falling Out
  17. The National: Sea of Love (youtube)
  18. Gold Panda: We Work Nights (youtube)
  19. DJ Koze: Nices Wölkchen (youtube)
  20. Moderat: This Time (youtube)
  21. Jon Hopkins: Open Eye Signal (youtube)
  22. Deptford Goth: Union (youtube)
  23. Burial: Come Down to Us (youtube)
  24. Queens of the Stone Age: … Like Clockwork (youtube)
  25. Edward Snowden Outro (youtube)

The Umblätterer’s Delight Series 2012–2015:
Mixtape 2012 | Mixtape 2013 | 50 wichtigste Alben 2013 | Jahresrückblickiana 2014 | Mixtape 2015

 


Umblätterer’s Delight: Mixtape 2015

Bonn, 22. Januar 2016, 04:56 | von Katana

 

  1. Jamie xx: SeeSaw
  2. Hot Chip: Huarache Lights   (vimeo)
  3. Tocotronic: Prolog   (youtube)
  4. Sufjan Stevens: Fourth of July
  5. Young Fathers: Shame   (youtube)
  6. Zugezogen Maskulin: Agenturensohn
  7. XOV: Lucifer   (youtube)
  8. Action Bronson: Baby Blue
  9. Hudson Mohawke: Very First Breath   (vimeo)
  10. Blur: Ghost Ship
  11. Godspeed You! Black Emperor: Piss Crowns Are Trebled
  12. FFS: Call Girl
  13. DJ Snake: You Know You Like It
  14. Boy: Fear   (youtube/live)
  15. Major Lazer: Lean On
  16. Jack Ü: Where Are Ü Now   (youtube)
  17. The Weeknd: Can’t Feel My Face   (vevo)
  18. Macklemore & Ryan Lewis: Downtown   (youtube)
  19. Dr. Dre: Talk About It
  20. Taylor Swift: Bad Blood   (youtube)
  21. Kendrick Lamar: Alright   (vevo)
  22. Bilderbuch: Maschin   (youtube)
  23. Grimes: Flesh without Blood   (youtube)
  24. Tame Impala: Let It Happen   (vimeo)
  25. Deafheaven: Luna
  26. U.S. Girls: Damn That Valley   (tape.tv)
  27. Beach House: PPP

The Umblätterer’s Delight Series 2012–2015:
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Spex, Intro, Musikexpress
Jahresrückblickiana 2014

Bonn, 29. März 2015, 00:30 | von Katana

»2014 – Ein Scheißjahr geht zu Ende«. Really, »Spex«?

Der Jahresrückblick, gern auch: Popjahresrückblick, ist ein so wunder­schönes wie absolut crazy und hilarious Genre des schönen Journalismus, das immer zu wenig gewürdigt wird. Und deshalb, jetzt und hier, Frühlingsanfang und so, die Jahresrückblickiana 2014, fein säuberlich getrennt und geordnet, wie es sich gehört.

Fangen wir also mit der »Spex« an, »Scheißjahr 2014«, fantastischer Titel, will ich sofort lesen, denn das fand ich irgendwie ja auch, aber: why? Zudem, natürlich: Pharrell auf dem Cover, mit Hut und dem Ratespiel, welchen Fotolichtfilter die Designer hier gewählt haben werden, vielleicht Sierra.

Ok, seit der ehemalige »Rolling Stone«-Mann Torsten Groß die Chefredaktion übernommen hat, steht auch immer die Frage im Raum, wieviel Popdiskurs in der »Spex« noch möglich oder nötig ist und, ganz entscheidend, wie relevant das überhaupt ist. Umso entscheidender natürlich: Der Jahresrückblick, die geballte Relevanzwalze.

Also, Themen: Erst mal ein schönes Understatement-Interview mit Pharrell, der wirklich sympathisch entspannt daher kommt, sophisticated überrascht vom eigenen Erfolg. Zum Glück keine Fragen zum Popjahr oder gar zur politischen Weltlage. Dann eine kleine Schnapsidee, den Jahresrückblick anhand der sieben Todsünden aufzuziehen. Ziemlich forced in meinen Augen, trägt auch nicht so recht, wenngleich toll ist, dass der erste (!) Beitrag dann von Morrissey und seinen verbalen und monetären Ausfällen erzählt unter dem Stichpunkt »Superbia«, wobei natürlich das eigentlich tolle Morrissey-Album »World Peace Is None of Your Business« gleich mit runtergezogen wird. Misanthropie wird heute halt sehr unterschätzt.

Dann was zu Normcore und »Sneakerisierung«, na ja, selbstverständlich einen Kübel Häme für das plumpe U2-Release auf iTunes, Flüchtlinge, Drogen, Rassismus, den angeblichen Pop-Appeal des sogenannten »IS« und Essen und ganz lustig ziellose Essayrudimente über Pop und Kritik, die den Zustand dieses Themas quasi in actu bebildern. Highlight auf jeden Fall, und darauf wird zurückzukommen sein, der Artikel »Ist Pop am Arsch?« von Sonja Eismann über das wirklich von so gut wie allen Jahresrückblicken festgestellte Hoch des Hinterteils im Popdiskurs.

Nachrufe: Philip Seymour Hoffman und Robin Williams, fair enough. Soweit kann man sagen: Pflicht erfüllt, Jahr gepackt, war halt langweilig. Aber das eigentliche Kerngeschäft sind nun mal die Listen. Das Tolle an den Jahresrückblicken der »Spex« ist auf jeden Fall, dass sich die Redaktions- und die Lesercharts dieselbe Ausgabe teilen, woanders muss man immer auf ein Gewinnspiel und die nächste Ausgabe warten, nicht hier, hier läuft der direkte Vergleich, was natürlich redaktionell den Stress auslöst, sich nicht zu sehr anzubiedern und auch nicht zu sehr zu distanzieren vom Geschmack der eigenen Leserschaft, also mal sehen, wie das 2014 gelungen ist:

Ganz demokratisch fangen die Lesercharts den Listenreigen an, und wenn hier irgendjemand Leser der »Spex« wäre, dann würde der wahrscheinlich das sehr gewollt poppige Album »Libertatia« von Ja, Panik, den ganz unmöglichen und doch absolut fantastischen Hit »Can’t Do Without You« von Caribou, Wes Andersons filmgewordene Hochzeitstorte »Grand Budapest Hotel«, den HBO-»Kracher« »True Detective«, DAS Buch »Der Circle« von Dave Eggers, das angenehm unauffällige Modelabel »Carhartt« und den Titel der Nationalelf bei der WM in Brasilien für die Größten und Besten in 2014 halten. Und natürlich die »Spex« mitsamt www.spex.de, noch vor dem »Intro« und Hypeschleudern wie »Pitchfork«, versteht sich von selbst.

Wie leer und unsinnig das Popjahr 2014 war, weiß allerdings nur die »Spex«-Redaktion, indem sie nämlich genialerweise das absolute Nonsense-Album »Asiatisch« von Fatima Al Qadiri, eine, laut Redaktion »faszinierende Feier von Sein und Schein im Post-Internet Zeitalter«, zum Album des Jahres auswählt. Soviel Hang zu Humor hatte ich denen gar nicht zugetraut, aber dann ist es doch erfrischend, wie trocken hier die eigenen Diskursansprüche persifliert werden, absolut hilarious!

Ansonsten in den Top-10 Angel Olsen, Neneh Cherry (!), St. Vincent, die unvermeidliche FKA Twigs, Mutter, Damon Albarn (?), Parquet Courts, absolut verdientermaßen auch mal die tollen Warpaint und, okay, Sleaford Mods, for the masses and the taste halt. Wenn man nur die Hälfte davon selber in Erwägung gezogen hat, sollte man das Magazin wechseln, denn belehren und unterlaufen lassen muss man sich von der »Spex« schließlich immer, das gehört zum guten Ton. Niedlich immer auch die folgenden Listen der Redaktion, wenn man wissen möchte, wie heterogen und bescheidgewusst es dort zuging. Und warum außer Klaus Walter und Thomas Venker niemand »Asiatisch« persönlich als bestes Album gewählt hätte.

Thomas Venker, der führt uns gleich zur »Intro«, das er sehr, sehr lange als Chefredakteur geführt hat und dessen persönliche Jahresbestenliste auch in deren Rückblickausgabe auftaucht, glücklicherweise komplett identisch mit der in der »Spex« abgedruckten, das spart philologische Kleinstarbeit. Das »Intro« wiederum wählt ein Cover antipodisch zur »Spex«, denn hier muss man sich nicht lange mit dem Gestern aufhalten, lieber schneller als die anderen ins Morgen. Und dann wird so ein dummes Ding wie der Fotoshoot mit den Falco-Epigonen Bilderbuch veranstaltet, die mit irgendwelchen Gesichtsausdrücken wenig ansehnliche Früchte ins Bild halten dürfen, überschrieben auch noch mit »So frisch wird 2015«, hab ich jetzt schon keine Lust drauf und ähnlich affirmativ wie die Musik der Band ist dann auch das Interview dazu.

Und dabei punktet das »Intro« thematisch gewaltiger als die »Spex«. Gut, auch hier etwas lässiger untergebracht: Normcore, »The Year in Butts« mit den üblichen Ärschen, Rassismus und die desolate politische Lage, dafür aber mit einem hingerotzten Leo-Fischer-Text, wie es 2014 nun mal verdient hat. Schöne Rubriken, das muss man sagen, kann das »Intro« aber wie niemand anderes: »Die Pop-Battles des Jahres«, alright! Oder, absolutes Highlight: »Das Jahr der schrägen Simulatoren« (Platz 1: »Goat Simulator«, noch vor »Rock Simulator« und »I Am Bread«!). Auch schön: »Die besten Musiker-Cameos in Serien« als Top-7, gewonnen von Sigur Rós in »Game of Thrones«.

Richtig wüst wird es bei »2014: Die Toten«, was fast schon despektierlich rüberkommt in der LSD-bunten Farbgebung des ganzen Rückblickdesigns. Fast schon anachronistisch: Beiträge zum »Tatort«, zur Sharing Economy und der Bedrohung der »Privatsphäre 3.0« (sic!). Aber auch hier steht das Kerngeschäft an, die Listen. Als erstes fällt auf, dass die Redaktion sich sozusagen dafür entschuldigt, mit »This Is All Yours« von Alt-J ein Konsensalbum an die Spitze gewählt zu haben (»Höre ich ein Gähnen?«). Bei der »Spex« undenkbar, sowohl Wahl als auch Entschuldigung!

Ansonsten gefeiert: FKA Twigs, die langweiligste Stilpolizei namens Metronomy, Kate Tempest (ganz toll!), die Tame Impala von 2014, Temples, die Doppelpack-Überschätzung Sleaford Mods und Mac DeMarco sowie das herzlich egale letzte Wye Oak-Album. Ganz okay: Den Büro-Insidergag »Pisse« von Schnipo Schranke zum Song des Jahres zu wählen, natürlich auch unter Insider-Gag-Rechtfertigungszwang. Auch netter Gag: Lana Del Rey aufzunehmen, darauf kommt keiner, und das natürlich unverdienterweise, sowie das furchtbar nervige »Bologna« der völlig nervigen Wanda, wiederum eine Ausgabe später auch von den Leser*innen als Song des Jahres goutiert, dazu »In Schwarz« von Kraftklub als Album des Jahres. Mehr dazu sagen muss man, glaube ich, nicht.

Bilderbuch und Wanda sind dann auch die Helden der Austropop-Story im »Musikexpress«, geschrieben von Linus Volkmann, die Story wiederum gehört allerdings gar nicht zum eigentlichen Jahresrückblick, der zumindest auf dem Cover lustigerweise Jan Böhmermann ins Zentrum von 2014 rückt. Auch witzigerweise mit drauf: Neneh Cherry, Blixa Bargeld, warum auch immer. Macht nix, denn der Jahresrückblick kommt irgendwie souveräner und vollständiger daher als alle anderen.

Klar, auch hier: Hinterteile, »IS«, Politik, U2, iTunes, Internet dabei, dafür aber schöne Kritiken am House-Trend, ein toller Essay darüber, warum niemand Diedrich Diederichsens »Über Popmusik« lesen und diskutieren wollte, eine wirklich witzige Statistik, welche Bands sich 2015 reuniten werden (The Smiths übrigens bei 0,2%). Ein paar einfache Ziele wie Campino, den angeblichen Pop-Feminismus (so 2010!), »Wetten, dass..?«, Selfies oder die Naivität von Haftbefehl auch dabei, schon okay, aber dafür auch mal das Gefühl: Ja, das war wirklich 2014, mit all diesem Unsinn! Und die Erkenntnis, dass man mit Oliver Polak nicht über Musik reden sollte.

Platte des Jahres auch ganz unspektakulär und völlig in Ordnung: »Our Love« von Caribou. Auch die einzige Liste mit »Present Tense« von Wild Beasts, sogar auf Platz 21, ansonsten ein völlig verschwiegenes Meisterwerk aus 2014. Gut, »Love Letters« von Metronomy ist und bleibt nicht der Song des Jahres (wenn schon Metronomy, dann »I’m Aquarius«!), dieser wirklich einfallslose Sixtiesnummer mit ihren enervierenden Harmonien fehlt dazu jegliche Klasse.

Aber auch hier bleibt es dabei, dass 2014 nun wirklich nichts Herausragendes zu bieten hatte, außer, wie es scheint, dem Hinterteilthema. Wo man sich woanders darüber halbwegs einig war, dass das zwar ordentliche, aber sicher wenig einschlägige zweite Run-the-Jewels-Album DIE Platte 2014 war, geht das Ganze hierzulande etwas unter (wobei ich jetzt gerade nicht genau weiß, wie die »Juice« das gesehen hat). Aber es ist auch egal, 2014 war als Popjahr egal, zumindest weitestgehend, davon legen die Jahresrückblicke erschreckendes Zeugnis ab.

Aber das ist nicht schlecht, ganz im Gegenteil! Sie können genauso gut »Nackte Angst Zieh Dich An Wir Gehen Aus« von Jens Friebe oder auch das sträflichst übersehene »Rave Tapes« von Mogwai oder noch besser deren wiederveröffentlichtes Überalbum »Come On Die Young«, das nun wirklich jeder besitzen sollte, besonders in der remasterten Version und mit dem grandiosen Bonusmaterial, das allein besser ist als vieles, was 2014 zeitgemäß war, zu den Platten des Jahres küren, es würde niemanden stören, da sie sich an nichts hätten messen müssen, was überragender gewesen wäre. Und so wird 2014 als das Popjahr in die Erinnerung eingehen, das jedermann vergessen oder für sich behalten kann, ganz wie gewünscht.

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