Archiv des Themenkreises ›Perlentaucher‹


Vorwort zum laufenden Feuilletonjahr (1/2011)

Leipzig, 25. Januar 2011, 07:50 | von Paco

Orangenhain

1. The Maulwurf has landed again, der aktuelle Preisträger und seine Vorgänger: 2010 Christopher Schmidt (SZ), 2009 Maxim Biller (FAS), 2008 Iris Radisch (ZEIT), 2007 Renate Meinhof (SZ), 2006 Mariusz Szczygieł (DIE PRESSE), 2005 Stephan Maus (SZ).

2. Und morgen früh folgt hier gleich der nächste feuilletonistische Shellshock, der übliche »prägnante Rückblick« (Grimme-Institut) auf das Kinojahr 2010. Prägnant auch deshalb, weil es weltweit wahrscheinlich der einzige klickstreckenfreie Rückblick sein wird, hehe. (Bisherige Ausgaben: 2009, 2008, 2007.)

3. Kurz darauf wird dann der neue Coen-Brothers-Film, der fünfzehnte, »True Grit«, hier genau abgezirkelt und lexikonisiert für die ewige Coen-Retrospektive des Umblätterers.

4. Ach Gottchen, Jonathan Lethem als ›Wikipedia-Kritiker‹, das ist ja überhaupt das neue Synonym für ›Warmduscher‹. (im »Atlantic«)

5. Eventuell schon der Satz des Jahres: »Kultur ist nichts, über das man wirklich vernünftig debattieren kann.« (Georg Diez bei SPON)

6. Aktueller Stand unserer Dauerserien: Kaffeehaus des Monats (Teil 59), Regionalzeitung (Teil 41), Vossianische Antonomasie (Teil 17). Fortsetzungen folgen.

7. Harald Schmidt: »Das muss ich unbedingt fragen! Wie spricht man ›Jorge Luis Borges‹ aus?« – Sol Gabetta: »Genau so!«

8. »Der Perlentaucher hatte geschrieben: Sex brennt, und ich hatte die Worte dort gelesen: flammendes Enkomion. So war das eigentlich, wortmäßig jedenfalls, ein ganz bestimmt ganz schöner Tag gewesen.« (Goetz, Klage, S. 420)

9. Bis morgen früh.
 


Vier Nachrufe und ein Todesfall

Konstanz, 7. November 2009, 16:49 | von Marcuccio

Bestattungskultur und Feuilleton, das latente Novemberthema. Todesfall der Woche natürlich Claude Lévi-Strauss (»Strooß« in der Tagesschau des Schweizer Fernsehens; »Strauß« wie Franz Josef in der ARD-Tagesschau). Im Perlentaucher vom Donnerstag hieß es:

»In der FAZ erhält Claude Levi-Strauss ein dreiseitiges Staatsbegräbnis«

Und das war doch mal ein schönes Stück Teaser-Text. Mir gefällt wirklich nur dieses Bild, dieses Bild vom

»FAZ-Gegenstück eines Staatsbegräbnisses«

oder, platztechnisch gesprochen: »Titelfoto und dann ganze drei Feuilletonseiten«.

Und dann fällt mir Volker Hage ein, der neulich (wie angekündigt) sein Spektrometer literaturkritischer Textsorten vorgelegt hat. Das Buch enthält auch vier exemplarische Nekrologe. Wenn man Hages Nachrufe jetzt mal mit der Perlentaucher-Bestattungsmetaphorik kurzschließt, lassen sich folgende Ereignisse rekonstruieren:

Max Frisch († 1991) – bekam seinerzeit auch ein Staatsbegräbnis (4 Seiten in der ZEIT),

Jurek Becker († 1997) – eine ganz normale Erdbestattung (1 Seite im »Spiegel«),

John Updike († 2009) – eine Totenwache bei SPON.

Für Ulrich Plenzdorf († 2007) – aber blieb nur ein anonymes Urnen-Schließfach im »Spiegel«-Register (»Gestorben«).

 


Jochen Hörisch / Burkhard Müller:
Schon wieder Neues vom 1. FC Feuilleton

Göttingen, 18. April 2008, 16:45 | von Paco

Die Halbwelt tritt ins Licht. Hatte man denken können, wenn man so den Schlagabtausch beobachtete, den sich der SZ-Rezensent Burkhard Müller und der Lit.wiss.ler Jochen Hörisch letzte Woche beim Perlentaucher geliefert haben. Jetzt kommen sie aus ihren Genres herausgekrochen, die Bücherveröffentlicher, die Rezensenten.

Kaum hatte Marcuccio an dieser Stelle über den 1. FC Feuilleton geschrieben, lief das Team also wieder auf und sorgte für ein unterhaltsames, spannendes Spiel. Die Fußballmetapher benutzt auch Malte Dahlgrün vom »Dummy«-Blog in seiner äußerst treffenden Nachlese zum Schlagabtausch, bei der er uns auch einige herrlich feierbare Formulierungen schenkt, bitte unbedingt lesen: »Actionkino im Meta-Feuilleton«.

Im Institut war die Zeit zwischen dem 6. und 14. April ein stetiges Warten auf den nächsten Beitrag. Es kam zu jauchzenden Jubelrufen am Kaffeeautomaten, wenn jemand durch die Gänge brüllte: »Replik Hörisch!«, »Müller hat nachgeliefert!«

Der Perlentaucher hatte das genau richtige Gespür, als er Hörischs offene Mail publizierte. Dass die beiden Sparringspartner am Ende der Debatte die neuen Möglichkeiten des sogenannten »Internets« hervorhoben, klang dann auch nur deshalb so altbacken, weil eine Institution, wie es die Zeitschrift »Der Antikriticus« im 18. Jahrhundert war, längst überfällig ist.

Allzu innovativ war das Online-Scharmützel allerdings nicht. Ich erinnere an das ebenso herrliche Hin und Her zwischen dem Romancier Raoul Schrott und seinem Kritiker Wendelin Schmidt-Dengler vor ein paar Jahren:

Schmidt-Dengler hatte am 11. 10. 2003 in der österreichischen »Presse« Schrotts Roman »Tristan da Cunha« verrissen. Einige Wochen später erschien dann, ähnlich wie im Fall Hörisch/Müller ein Verriss des Verrisses durch den verrissenen Autor. Auch damals reagierte der auf diese Weise kritisierte Kritiker.

Der gesamte Schlagabtausch war mal hier auf der Website der »Volltext« dokumentiert. Der Online-Auftritt der immer noch besten deutschsprachigen Literaturzeitschrift ist allerdings mittlerweile leider irgendwie eingeschlafen.

Usw.


Der Silvestertaucher:
Zwischen den Jahren in den Feuilletons

Konstanz, 3. Januar 2008, 18:26 | von Marcuccio

Hatte ich mich eben noch geärgert, die Weihnachts-FAS samt Sibylle Bergs Artikel über St. Moritz beim Snowboarden ebenda verpasst zu haben, konnte ich nach der Beinahe-Begegnung mit Putin auf der Piste und Ahmadinejacket in der Loipe nur feststellen: Das war noch längst nicht die ganze Bescherung, im Gegenteil. Und deshalb ein kleiner Rückblick auf allerlei Feuilleton-Bräuche zum Jahreswechsel.

Malen nach Zahlen bei den Perlentauchers

Es war schon ein historischer Augenblick, als am 29. 12. die erste Perlentaucher-Presseschau mit Gemälde ans Netz ging. Ob sich der Perlentaucher für diese Aktion vom »Holy Family Set« (FAS vom 2. 12.) inspirieren ließ? Ob Thierry Chervel dieses eventuell sogar eigenhändig ausgemalt und eingesandt hat, um ein FAS-Jahresabo 2008 zu gewinnen und (unserem Pilotprojekt folgend) endlich den Sonntagstaucher zu starten? Wir können nur spekulieren und warten gespannt, was wird.

Bleigießen mit der S-Zeitung

Eher Konventionelles, nämlich eine bewährte Mischung aus Rückblick und Ausblick boten die »zehn Ideen, die uns bleiben« in der S-Zeitung vom 29. 12.: »Monopol« und »Monocle« wählten München zur City of the Year, der Klimawandel forderte ebenso seinen Tribut wie Damien Hirst sein Stück vom Diamantenschädel … Am Ende hätten wir uns das ziemlich genau so gedacht, aber na gut, wenn solche Trends auch nur einigermaßen repräsentativ sein sollen, bleiben sie für uns Halbwelt-Junkies notgedrungen im Rahmen des Erwarteten. Typisch nur, dass die S-Zeitung dann mal wieder übers Ziel hinausschießt und aus ihren zehn Ideen online gleich redundante 19 Vignetten macht – wieder eine ihrer berüchtigten »unsinnigen Klickstrecken«.

Chinaböller im »Spiegel«

Was man da mit der Silvester-Ausgabe als »KulturSpiegel« für Januar frei Haus bekam, war wirklich ein Rohrkrepierer: 16 Seiten Statements, »warum Künstler Olympia so lieben« – nein danke. Nachdem schon die gelben Spione so peinlich waren, muss man auf echte neue »Spiegel«-Kracher aus dem Reich der Mitte wohl weiterhin warten. Derweil lese ich doch lieber nochmal Ulrich Fichtners unvergessene Reportage über Shenzen: »Die Stadt der Mädchen« (6/2005).

Sündenablass bei der F-Zeitung

Und vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern: Am 28. 12. verpuffte die Meldung, dass der Tod eines Kritikers jetzt verjährt und Martin Walser Ein liebender Mann ist, der ab Februar in der F-Zeitung vorabgedruckt wird. Am 31. 12. folgte als Schirrmacher-Chefsache ein ganzes Schreibschulden-Register, in dem die Feuilletonredaktion Altlasten in eigener Sache abtrug. Und Gerhard Stadelmaier scheint in diesem Zusammenhang bekennen zu wollen: Verantwortlich für den sprichwörtlichen Tort eines Kritikers muss gar nicht immer ein Spiralblock, es kann auch der eigene Fingerknöchel sein.

Limonaden-Countdown im Deutschlandfunk

31. 12., 23:05 Uhr: Gepflegte Unterhaltung prickelt über den Äther, wenn sich zur letzten Radiostunde des Jahres die drei »Büchermarkt«-Redakteure Hajo Steinert, Hubert Winkels und Denis Scheck zusammensetzen, um bei einem Glas Limonade das literarische 2007 Revue passieren zu lassen. In munterer Silvesterlaune plaudert Denis Scheck dann auch schon mal ein Betriebsgeheimnis aus, so etwa ab Minute 4:27: »Also, ich darf der Wahrheit Ehre geben. Ich habe ganz sicher keine Limonade vor mir stehen.«

0:00 Uhr in der FAS: »Endlich Gegenwart!«

Das Jahresend-Spezial der FAS war eine exzellente Zündung, auf die Tel-Aviv-Koinzidenz hat Cobalt ja schon verwiesen. Ich ergänze an dieser Stelle weitere ungeahnte Korrespondenzen zwischen dem Umblätterer und der FAS (Fusionsgerüchte dementieren wir indes entschieden):

Johanna Adorján hat also auch eine Tagesschau-Tante, und um die herum entfaltet sie den herrlichen Beitrag »Mensch und Maschine: Moderne Kommunikation« (S. 29). Ein astreiner Epilog auf die Rituale einer letzten Generation ohne Google, Handy usw. Ganz nebenbei erweitert sich hiermit auch das von Paco ins Leben gerufene Rubrum Software & Erinnerung um die nicht unbedeutende Dimension der Hardware (Stichwort Wählscheibe).

Auf derselben Seite, links neben Adorján, serviert uns Nils Minkmar »Mensch und Margarine: Kapitalismus als Passion«. Ein schöner Review zum Lekr-Markt an der Ecke Hufeland-/Bötzowstraße in Berlin und nach dem (verpatzten) Auftakt durch Alexander Marguier das, wie ich meine, erste wahre Supermarkt-Feuilleton.

Das war sie denn auch schon fast, die feuilletonistische Bescherung zum Jahreswechsel. Folgt nur noch ein schöner Brauch: Unsere Bekanntgabe der Best of 2007.


Der Feuilleton-Kampfschrei für den Tag

Leipzig, 8. Dezember 2007, 11:55 | von Paco

Bisher gab es immer einen Grund, warum man die Perlentaucher-Rundschau bei Spiegel Online lesen sollte und nicht direkt auf perlentaucher.de: Seit Jahr und Tag hat ein SP*N-Redakteur aus den vom Perlentaucher gelieferten Abstracts immer noch eine Überschrift destilliert, den Feuilleton-Kampfschrei für den jeweiligen Tag.

Gabriel sagt, dass es für angehende oder auch schon gestandene Headliner eine herrliche Übung sei, aus dem Wust an Artikelempfehlungen eine tagesgültige Überschrift zu machen. Er habe keine Ahnung, wer das dann bei SP*N letztendlich mache, aber einen schöneren Job gebe es zurzeit im deutschsprachigen Feuilleton nicht.

Und es war wirklich sehr misslich, dass der Perlentaucher bisher nicht selber die Überschrift mitgeliefert hat. Doch seit dem 1. 10. 2007 gibt es die jetzt auch beim Original. Wie dort ja überhaupt im Moment ordentlich gerelauncht wird und alles etwas luftiger, übersichtlicher, schöner aussieht.

Das Verwirrende, oder sagen wir: Lustige daran ist, dass Spiegel Online trotzdem noch an der eigenen Überschrift festhält und nicht einfach die mitgelieferte übernimmt, bei ansonsten wortgleichem Text. So sah es dann diese Woche von Montag bis Freitag aus:

3. 12. 2007
SP*N: »Diese Unwucht macht ganz wuschig«
PT: Lass, o Welt, o lass mich sein!

4. 12. 2007
SP*N: »Was ich hier sage, ist vulgär«
PT: Unterhaltungsschock!

5. 12. 2007
SP*N: »Mit moralischer Entschiedenheit!«
PT: Moralisch unglaubwürdig

6. 12. 2007
SP*N: »So sind die Libanesen!«
PT: CO2 in der Ehe

7. 12. 2007
SP*N: (nicht erschienen?)
PT: Den roten Hebel umgreift sie

8. 12. 2007
SP*N: Prohibido prohibir
PT: Sabotage, Verschwörung, Häme, Denunziation