Archiv des Themenkreises ›S-Zeitung‹


Was vom Tage 15 übrig blieb:
Café Cloudette, Winterhude

Hamburg, 15. September 2022, 23:00 | von Paco

Aufwach: 6:15 Uhr.

Am westlichen Ende des Stadtparks befindet sich das …

Café Cloudette
Linnering 5
(Winterhude)

Espresso: €2,10.

Ganz voll und laut heute da, denn ein Kindergeburtstag findet statt, Ferdinand ist 10 geworden. Deshalb recht schnell weiter zum Hundeauslaufplatz, wo eine seltene Konstellation auf uns wartet: Labradore in allen Farben tollen herum (gelb, schwarz und braun), große Fröhlichkeit herrscht.

À propos, in der SZ sehr schöne Überschrift über einem Artikel zu den Hunden der verstorbenen Queen: »Grrrrr royal«.

Außerdem in der SZ bespricht Andreas Bernard den Habermas-Hundertseiter »Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik«, quasi das Sequel zu dessen berüüühmter Habilitationsschrift von 1962. Habermas habe sich tatsächlich, mit nun 93 Jahren, »in das von ihm behandelte Material eingearbeitet«, also quasi ins Internet bzw. speziell Social Media.

In der FAZ schreibt Susanne Klingenstein über den von Thomas Hettche herausgegebenen Sammelband »Es ist recht sehr Nacht geworden« mit Essays von 12 Autor*innen zu Kleists »Erdbeben in Chili«, Raabes »Zum wilden Mann« und Benns »Gehirne«. Die besten Essays seien die von: Ulrich Peltzer, Aris Fioretos, Monika Rinck und Daniel Kehlmann. Folglich stammen also die nicht besten Essays von: Lukas Bärfuss, Durs Grünbein, Felicitas Hoppe, Sibylle Lewitscharoff, Olga Martynova, Sabine Scholl, Katharina Schultens und Ingo Schulze.

In der ZEIT eine gute Zusammenfassung der skandalnervigen documentafifteen von Hanno Rauterberg.

Und Neues aus dem Treppenaufgang, wo ja vor zwei Tagen so viele Sachen standen, dass man fast da wohnen könnte. Einige der Sachen sind inzwischen verschwunden, aber neue sind hinzugekommen: eine noch eingeschweißte Schachtel American Spirit, Pflanzenhaarfarbe von Schwarzkopf, ein paar CDs sowie Ableger einer Zimmerpflanze.
 


Was vom Tage 14 übrig blieb:
Deathpresso, St. Pauli

Hamburg, 14. September 2022, 23:00 | von Paco

Aufwach: 6:30 Uhr.

🎶 Maria Antonietta: Abitudini

Ausstieg Landungsbrücken, dann ein bisschen Zickzack übers Heiligengeistfeld, und zwar hat der Circus Krone hier gerade seine Zelte und Wohnwagen aufgeschlagen.

Ziel heute das …

Deathpresso
Beim Grünen Jäger 24
(St. Pauli)

Der Name der Kaffeerösterei erklärt sich durch den Slogan: »Schlafen kannste, wenn du tot bist.«

Aber erst mal muss man sich anstellen, und mit dem Teutonia komme ich schlecht bis an den Tresen. Eine Frau mit beiger Jacke hilft mir sofort und bestellt für mich den üblichen Espresso, sagt dazu auch, dass der hier echt gut sei: »Trust me, I’m a coffee addict.« Jedenfalls sehr nett, und nachdem ich einen ersten Schluck gewagt habe, nicke ich ihr meine Bestätigung zu.

Espresso: €2,30.

Später Schaukeln erst im Innocentiapark und dann noch mal in der Kuhle des Bolivarparks.

So wie gestern bei Marías heute in der SZ zwei Godard-Nachrufe, in der FAZ nur einer, aber von Dietmar Dath – leider wieder keine Zeit dafür. Anderes interessiert mich unmittelbar ein bisschen mehr, in der SZ macht sich Willi Winkler über die FAZ lustig bzw. den Heidegger-Herausgeber Günter Seubold, der in Marbach ein vermeintliches Liebesgedicht Heideggers gefunden zu haben glaubte, das dann aber nur die Abschrift eines Gedichts von Gabriela Mistral war (das Ganze war schon in der FAZ-Leserbriefecke geklärt worden, Winkler ließ es sich aber nicht nehmen, das alles noch mal und zwar ein bisschen zu genüsslich zusammenzufassen).

In der FAZ eine Rezension von Mark Lehmstedt zu Dennis Duncans »Index, eine Geschichte des« (Antje Kunstmann 2022). Super, sofort bestellt.
 


Was vom Tage 13 übrig blieb:
Café Kofje, Wandsbek

Hamburg, 13. September 2022, 23:00 | von Paco

Aufwach: 6:00 Uhr.

Heute ins …

Café Kofje
Walddörferstr. 12
(Wandsbek)

Kofje ist nicht etwa die Transliteration des russischen кофе, sondern das friesische Wort für Kaffee. Das Café ist umgeben von feinsten roten hamburgischen Backsteinbauten und möchte laut Homepage »unseren Stadtteil attraktiver & lebensfroher machen« und das haben sie auf jeden Fall genailed.

Espresso: €2,00.

Ok, das dritte Café in Folge mit demselben Espresso-Preis.

Seit über zehn Jahren kein Streiflicht mehr gelesen, heute fiel es mir aber ins Auge. Aufgegriffen wird Selenskijs »Без вас«-Rede bzw. -Gedicht. Das Streiflicht findet eine vossianische Antonomasie: »Selenskij hat gute Aussichten, mit diesem Gedicht der ukrainische [Amanda] Gorman zu werden«. In der FAZ wird die Gedichtanalyse von Christian Geyer durchgeführt.

In der SZ zwei Nachrufe auf Javier Marías, in der FAZ nur einer, aber von Paul Ingendaay – schaffe leider nicht, die alle zu lesen. Außerdem in der FAZ eine Rezension von Stephan Speicher zu Friedrich Sieburgs Tagebüchern 1944/45 (erschienen bei Wallstein). Gute Güte, der damalige Sieburg nennt Himmler »eine Art Scharnhorst unserer Zeit«, und noch ein paar weitere Quatschzitate werden aufgelistet. Dabei eigentlich eine interessante Konstellation fürs Schreiben: Ehekrise stellt das Geschehen der letzten Kriegsmonate in den Hintergrund.

Und dann gibt es Neues aus unserem Treppenhaus zu berichten. Vor vier Tagen standen ja ein paar Bücher im Fensterbrett, nun nimmt das Ganze etwas Überhand. Die Bücher stehen fast alle noch da, aber es sind Dinge dazugekommen: Eine Packung mit Anti-Stress-Masken, ein Sparschäler, Neapolitaner-Waffeln der ja!-Hausmarke von Rewe, ein Glas mit Früchten, eine angefangene (!) Flasche Licor Beirão, eine Flasche Glühwein aus Bio-Rotwein, eine Flasche »Grüner Vollbier Hell« und noch ein weiterer Glüchwein im Tetra Pak. Außerdem steht noch eine Lampe da; man könnte meinen, dass sich jemand hier auf dem Fensterbrett häuslich einzurichten beginnt.
 


Was vom Tage 12 übrig blieb:
Café Elisa, Eilbek

Hamburg, 12. September 2022, 23:00 | von Paco

Aufwach: 6:30 Uhr.

Am frühen Nachmittag ins …

Café Elisa
Conventstraße 21 und 23
(Eilbek)

Espresso: €2,00.

Man spricht Spanisch und ich frage, nach wem das Café benannt ist – »¿Quién es Elisa?« –, und die Antwort ist mit das Schönste, was ich seit langem gehört habe.

Am Nebentisch vier Studierende. Eine von ihnen, offenbar Linguistin, spricht über ihre Abschlussarbeit: Kosenamen von Krankheiten bzw. Krankheitserregern. Dass einige Leute zum Beispiel Coroni sagen statt Corona (oder Krebsi). Interessant, und ich hoffe, dass es diese Arbeit später irgendwo als PDF gibt.

Abends kurz die SZ durchgeblättert. In einer Randspalte hat Hilmar Klute die Novelle »Gewittergäste« von Dirk von Petersdorff rezensiert. Klingt inhaltlich wie ein Nachklapp zur Oschmann-Debatte Anfang Februar und enthält unter anderem diesen Satz: »Der Rauchgeruch von der nahe gelegenen Holzkohlenfabrik lag wie milder Schwachsinn über der Szene.«

Oh, noch ein kleines Erlebnis. Als ich vom Café Elisa aus über die ruhigen Nebenstraßen wieder auf eine Hauptverkehrsstraße gelange, rempelt dicht neben mir ein eiliger junger Mann, der im Gehen auf seinem Handy tippt, an ein Verkehrsschild. Das Telefon fällt ihm aus der Hand und scheppert gefährlich nah an einen Gully heran. Das erinnert mich an eine Szene in Pleschinskis Heyse-Roman »Am Götterbaum«. Ein Vorfall in der Brienner Straße, München. Zwei junge Anzugträger, die beide auf dem Handy tippen, rennen ineinander, eines der Handys fällt zu Boden und springt durch einen Gulligrill in die Tiefe. Entsetzte Schreie: »Alles … alles! […] die Kontake … die PINs! … der Chef … Melanie … die Bali-Buchung …« (Seite 45)
 


Was vom Tage 9 übrig blieb:
Café Schwesterherz, Ohlsdorf

Hamburg, 9. September 2022, 23:00 | von Paco

Aufwach: 7:00 Uhr.

Bei meinem täglichen Zickzack durch Hamburg heute mal vorbei am legendär riesigen Ohlsdorfer Friedhof (der sogar einen, ja nun, eigenen Podcast hat). Durch den Haupteingang sieht man den orangefarbenen Schriftzug herüberschimmern: »EINGÄNGE SIND ÜBERGÄNGE«.

Ganz in der Nähe das …

Café Schwesterherz
Alsterdorfer Straße 572
(Ohlsdorf)

Espresso: €2,00.

In der SZ Christine Dössel über Dominique Horwitz (den Obergefreiten Reiser in Vilsmaiers »Stalingrad«). Gleich im zweiten Absatz werden die Segelohren – »sein Markenzeichen« – erwähnt. Neben seiner Rolle in Mauricio Kagels Einpersonenhörspiel »Der Tribun«, das gerade für das Kunstfest Weimar inszeniert wurde, geht es auch um Privates: »Der Liebe wegen lebt er in Weimar«, steht schon im Teasertext, und im Haupttext pullt er noch einen Kraftklub: »Für kein Geld der Welt würde ich in Berlin leben wollen«. Überhaupt wird der Text gegen Ende hin immer persönlicher, illustriertenhaft, liest sich schnell weg.

Als ich vom Zickzack zurück nach Hause komme, gibt es eine Neuerung im Treppenaufgang. Und zwar hat jemand ein paar Bücher ins Fensterbrett gestellt – immer wieder schön, wenn so das Ausmisten zum Verschenken verklärt wird. Ganz vorn prangt das Cover eines Ildikó-von-Kürthy-Buchs, genauer schau ich erst mal nicht hin. Mal sehen, wie sich das entwickelt. In Josiks altem Haus in Schöneberg hatte ich ja vor zehn Jahren mal beschrieben, wie am Ende nur Robert Musil übrig blieb, den niemand geschenkt haben wollte (»Der Mann ohne Abnehmer«).
 


Was vom Tage 2 übrig blieb:
Café Bohne, Osdorf

Hamburg, 2. September 2022, 23:00 | von Paco

Aufwach: 6:15 Uhr.

🎶 Maria Antonietta: Abitudini

Sachen abholen bei der Reinigung um die Ecke, Zeitungen, danach erster Tagesschlaf.

Weiter in der ZEIT, auf Seite 32 den Artikel von Sophie Neukam über Biber. Wahnsinnig gern lese ich Artikel über den Biber und wie er in seinem sogenannten Wohnkessel wirtschaftet. Der »nasse Held« ist »das einzige Tier, das im Wasser lebt und das Geräusch von fließendem, platschendem Wasser nicht erträgt. Es löst immer wieder in ihm den Reiz aus, ein Leck zu finden und zu stopfen. Seine Mission ist es, eine volle Badewanne zu haben und keine, bei der der Stöpsel fehlt. Das Plätschern ist für ihn das Signal, dass sein Plan, Wasser zu stauen, schiefgegangen ist.«

🦫

In der SZ von heute Felix Stephan über den Streit von Elke Heidenreich mit der Redaktion des »Buchreports«, die für die Bestsellerliste ihr neuestes Buch von der Belletristik in die Kategorie Sachbuch umsortiert hatte. Zwei der Gründe: Heidenreich »habe ihre Texte um private Fotos ergänzt, was den nicht-literarischen Charakter des Buches unterstreiche« (haha), und sie habe »im Falle eines Textes über Bologna historische Fakten erwähnt, ›wie sie auch in einem Reiseführer stehen könnten‹, etwa das Gründungsdatum der Universität oder den Umstand, dass dort die Tortellini erfunden wurden« (hahahahaha).

Auf derselben Seite Lothar Müller über Friedrich Christian Laukhards Bericht der Kampagne in Frankreich, über das »Schicksal einer Invasionsarmee«: »Das Heer, dem er angehört, verbraucht beim Vormarsch wie beim Rückzug einen Großteil seiner Energie für die Selbsterhaltung.«

Baustellengraben vor der Haustür, »im Zuge der Stromhausanschluss-Erneuerung« (Aushang). Ich werfe den Kinderwagen sachte auf die andere Seite des Grabens und es kann losgehen:

Café Bohne
Rugenbarg 8
(Osdorf)

Espresso: €2,20.

Ich stelle die Tasse auf die Rückseite einer Hamburger Morgenpost und lese um die Tasse herum, wie Sky du Mont seine neue Freundin kennenlernte: »Beim Online-Interview hat es einfach Zoom gemacht«.
 


Was vom Tage 1 übrig blieb:
MalinaStories, Barmbek

Hamburg, 1. September 2022, 23:00 | von Paco

Aufwach: 6:30 Uhr.

Los geht’s.

🎶 Maria Antonietta: Abitudini

Wer Malina heißt, muss natürlich hier gewesen sein:

MalinaStories
Hellbrookstraße 61
(Barmbek)

Dort viele Karenzkolleg*innen mit noch kleineren Babys bei relativ üppigen Donnerstagsfrühstücks.

Espresso: €2,30.

Alles hyggelig vintage, mit der Tasse kommt ein kleiner güldener Löffel.

Ich hab 30 Minuten und lese erst mal das Exklusivinterview mit Franca Lehfeldt in der heute erschienenen ZEIT (Ausgabe 36/2022), nicht aus Interesse, sondern weil ich die ZEIT mal wieder von vorn nach hinten durchblättern möchte, und das Interview steht auf Seite 3.

Auf einer Schaukel am Schwalbenplatz schläfrig geschwungen.

Auf dem Wochenmarkt Hartzloh lachen knackfrische Delbarestivale in alle Richtungen.

Mittagsschlafphase eingeläutet mit der Arie »Schafe können sicher weiden« aus Bachs Jagdkantate, uraufgeführt 1713 im Jägerhof zu Weißenfels.

Schnell weiter lesen. In der heutigen SZ ein Interview mit Theresia zu ihrem neuen Roman »Auf See«, darin die interessante Frage: »Was ist denn eigentlich der Weltuntergang? […] Wo findet er statt und vor allem für wen?«

17:30 Essen kochen, im Hintergrund »Kultur heute«, ein paar Fetzen zur Donatello-Ausstellung in der Berliner Gemäldegalerie schaffen es durch das Küchengeklimper. Donatello, Erschaffer des Gattamelata! »The uncrowned king of the equestrian statue«, wie man in BBC-Englisch hinzufügen könnte.

🎶 Albrecht Schrader: Die Zukunft liegt verborgen

Dann White Noise und Schlafen, das ist erst mal alles.
 


Die Ergebnisse der …
Feuilleton-Meisterschaft 2021

München, 11. Januar 2022, 06:00 | von Josik

Wer hätte das gedacht, nach einer langjährigen Pause verleihen wir heute zum *dreizehnten* Mal seit 2005 den Goldenen Maulwurf, für den Feuilleton­jahrgang 2021:

Der 13. Goldene Maulwurf

Wie jedes Jahr war die Konkurrenz so stark wie seit Jahren nicht. Das deutschsprachige Feuilleton des gerade abgelaufenen Jahres 2021 war wieder voller Geistesblitze und Bramarbasse, es war voller Sturm und – auch nicht zu vergessen – voller Drang und es regnete herrlichste Artikel. Apropos Feuilleton und apropos deutschsprachig – wie schrieb Diedrich Diederichsen im Septemberheft des natürlich nicht mit dem »Münchner Merkur« zu verwechselnden Berliner »Merkur«:

»Anders als in den meisten Kulturen der Welt sind es nicht soziale Medien, universitäre Debatten oder offen politisch geführte Auseinandersetzungen, die das Medium der Deutschsprachigen und ihrer Streits ausmachen. Es ist das, was nur noch in ihrer Kultur einen hohen Wert und gesellschaftlichen Einfluss hat, das Feuilleton. In diesem haben bestimmte Männer das Sagen, die gern im Genre des Machtworts etwas zurechtrücken.«

Dieser letzte Satz stimmt wahrscheinlich, obwohl wir ihn natürlich für falsch halten. Aber dass Feuilleton, wie Diederichsen schreibt, ein Medium ist, wenigstens das ist zweifellos richtig. – – –

So oder so ähnlich klangen viele Jahre lang die Vorworte zum Goldenen Maulwurf. Der Golden Mole war ein Preis für die angeblich™ besten Feuilletontexte des Jahres, der immer am zweiten Januardienstag verliehen wurde, damals, als es noch Leute gab, die (nicht als Investoren, sondern am Kiosk) Zeitungen gekauft haben. Ja, und es ist nun über ein halbes Jahrzehnt her, dass wir zum ersten Mal zum letzten Mal den Goldenen Maulwurf verliehen haben. Und tatsächlich ist der Goldene Maulwurf Geschichte. Allerdings war es unabdingbar herauszufinden, welche Schreiberlinge diesen Preis gewonnen hätten, wenn es ihn noch gäbe.

Und daher sind jetzt alle extremst herzlich eingeladen, auf die Gewinnerlinge des Goldenen Maulwurfs 2021 zu klicken:

1. Clemens Setz (SZ)
2. Marlene Streeruwitz (Standard) / Benedict Neff (NZZ)
3. Fabian Wolff (Time) / Maxim Biller (Zeit)
4. Jérôme Buske (Jungle World)
5. Mareike Nieberding (SZ-Magazin)
6. Elfriede Jelinek (junge Welt) / Peter Handke (FAZ)
7. Gregor Dotzauer (Tagesspiegel)
8. Michael Maar/Sebastian Hammelehle/Claudia Voigt (Spiegel)
9. Erik Zielke (nd)
10. Peter Richter (SZ)

Besonders interessant ist ja, dass das Feuilleton des Jahres 2021 vor allem auch ein Feuilleton der Literat*innen war. Daraus kann man schließen, dass das Feuilleton und die Literatur mittlerweile die genau gleiche gesamtgesellschaft­liche Bedeutung haben, zwar nicht unbedingt im Diederichsen’schen Sinne, aber doch in irgendeinem anderen.

Übrigens war die Auswahl dieses Mal außerordentlich schwierig, da auf der Longlist einundfünfzig (51) Texte standen: Mit anderen Worten, nie zuvor war unsere Longlist so long.

So long,
Euer Consortium Feuilletonorum Insaniaeque

 

p.s. Diese ist die regulär 13. Ausgabe des Goldenen Maulwurfs. Die 12. Aus­gabe, unsere Preisverleihung für das Feuilletonjahr 2016, wurde leider Anfang Januar 2017 aus Zeitgründen gekippt. Wir haben die Ergebnisse aber (allerdings ohne Laudationes) im Oktober 2021 nachgereicht. Da die 2016er Preisverleihung nun gleichzeitig stattgefunden und nicht stattgefunden hat, wird sie von uns intern als Schrödingers Maulwurf bezeichnet. Na jedenfalls herzlichen Glückwunsch, Danilo Scholz, der demgemäß unser 12. Preisträger ist.

p.p.s. Die ausgebliebenen Preisverleihungen für die Jahre 2017 bis 2020 sind so zu erklären, dass wir eine längere Feuilletonpause eingelegt haben.

 


Zeitungsabonnement für Zauberer

Leipzig, 23. Juli 2019, 09:40 | von Paco

Ich hatte ihn ewig nicht mehr gesehen und traf ihn gestern wieder, als ich im Leipziger Osten Station machte. Er ist einer von rund 2.000 Zauberern in Deutschland, und ich erinnerte mich an eine Geschichte, die er mir vor langer Zeit erzählt hatte.

Zunächst muss ich noch vorausschicken, dass mein Zauberfreund seit vielen, vielen Jahren Abonnent der »Süddeutschen« war (Name der Zeitung für diesen Text geändert). Nun zur Geschichte:

Und zwar hatte er für einen Zaubertrick aus dem Bereich der Mentalmagie immer zwei Ausgaben der »Süddeutschen« benötigt. Da seine Shows jeweils freitags und samstags stattfanden, hieß das, dass er an Showtagen stets zusätzlich zu seinem abonnierten Exemplar noch eines vom Kiosk besorgen musste. Einmal war die SZ dort leider ausverkauft, und das brachte ihn dann auf einen Gedanken, den er sofort per Anruf dem Abo-Service der Zeitung mitteilte.

Er schilderte kurz seinen Fall und schloss dann mit der Frage: »Könnten Sie nicht ein Doppel-Abo für Zauberer anbieten? Würden Sie mir also in meinem Fall bitte freitags und samstags zwei identische Exemplare der SZ zuliefern?«

Der Abo-Service reagierte interessiert, denn schließlich werde ja die Zeitung in den Zaubershows prominent gefeaturt, also wäre das ein logisches quid pro quo.

Und so geschah es dann. Freitags und samstags wurden zwei Exemplare angeliefert. Das ersparte einen Gang zum Kiosk, alle waren’s zufrieden, und die Shows gingen weiter und weiter.

Nun ein Zeitsprung zu gestern, als ich den Zauberer wiedertraf. Während unseres sehr interessanten und unterhaltsamen gegenseitigen Updates fragte ich nebenbei auch nach dem Deal mit dem Abo-Service, und was musste ich hören? Zwei Dinge.

Erstens habe er schon lange die Zeitung abbestellt, so wie all unsere Bekannten auch. Und zweitens benötige er für den Zaubertrick nur mehr ein einziges Exemplar. Er sei früher einfach etwas faul gewesen, aber mit einem Exemplar funktioniere das Ganze problemlos auch, und da genügt dann ein Gang zum Zeitungskiosk, das heißt, solange es noch Zeitungs­kioske gibt.
 


Oh, wow

Frankfurt/M., 20. Dezember 2018, 17:57 | von Charlemagne

Joan Didion, diese großartige, unendlich kühle und mittlerweile etwas überstrapazierte amerikanische Autorin, hat uns vor fast 40 Jahren gezeigt, wie man mit wundersamen Zuschriften umgeht, und eigentlich sollte man ihre Antwort als zusätzliche Unterschrift unter das Logo unseres Maulwurfbaus setzen, also

Der Umblätterer
* In der Halbwelt des Feuilletons *
Oh, wow.

Denn genau dieses anerkennende, abwägende, leicht resignierte und letztendlich spottend gönnerhafte, nach Harald Schmidt klingende »oh, wow« schießt mir seit ein paar Jahren beständig durch den Kopf, wenn ich versuche, das zu lesen und zu feiern, was früher das überlebenswichtige und unnachahmliche deutsche Feuilleton war und mich heute nur noch langweilt.

Nach dem Abitur, während andere mit dem Rucksack durch Australien reisen mussten, um sich einen Traum zu erfüllen, habe ich mir als Belohnung für die Zeit bis zum Studienbeginn die Frankfurter Allgemeine Zeitung und die Süddeutsche Zeitung bestellt, um tagein tagaus auf dem Balkon brütend deren Feuilletons ritualisiert durchzupflügen.

Zur Abkühlung zwischendurch gab es Rainald Goetz’ KLAGE auf der Homepage der deutschen Ausgabe der Vanity Fair, Arne Willander im Rolling Stone und sonntags mein Lieblingsfeuilleton in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Bisschen wie beim Fußball kann ich noch heute die Aufstellung meiner damaligen Lieblingsmannschaft runterbeten, häufig habe ich überhaupt erst geschaut, wer über welches Thema schreibt und war schon enttäuscht, wenn es keine neuen Texte von Johanna Adorján, Claudius Seidl, Niklas Maak oder wenigstens Gastbeiträge von Hans Ulrich Gumbrecht oder Christian Kracht im Reiseblatt gab. Am schlimmsten waren die Sonntage, an denen Frank Schirrmacher die erste Seite bespielte, das waren leider häufig zähe Angelegenheiten, da half dann fast gar nichts mehr.

Dann ging’s für mich zum Studium, Zeitung las ich nur noch sonntags, donnerstags gab’s Stuckrad Late Night, Rainald Goetz tauchte erst auf, dann ab, und seit kurzem ist er Träger des Bundesverdienstkreuzes – YEAH, we’ve stopped living this way.

Und heute? Die Lieblingsautoren leben zum Glück (fast) alle noch, doch die Magie, das Unmittelbare des Feuilletons ist verschwunden. Ab und zu blitzt sie noch mal auf, wenn zum Beispiel Danilo Scholz dieser Zeit in der taz hinterherschreibt oder Max Scharnigg etwas Platz gegeben wird. Doch größtenteils schreiben die Leute (schon wieder? immer noch?) über Ernst Jünger, führen seltsame Interviews oder Ein-Themen-Experten, schreiben irgendwas Blitzgescheites über China und ich sehe die Überschriften, sehe die Autorennamen, die meist öde Bildersprache und denke, ja, superschlau, gelehrt und gelernt, und der eigentliche Text erst, – oh, wow.