Das hier wird vielleicht der letzte Rundown einer US-Seriensaison (die aus den letzten Jahren sind hier: 2005/06, 2006/07, 2007/08, 2008/09, 2009/10). Das Goldene Serienzeitalter, das spätestens mit dem legendären TV-Herbst 2004 begonnen hat (Start von »Lost«, »DH« usw.), ist erst mal wieder vorbei. Im Moment stagniert der Sektor kräftig, ein paar noch laufende Altserien beherrschen die Szenerie. Richtig gute neue Großserien gab es im letzten Jahr praktisch nicht, abgesehen vielleicht von »Game of Thrones« (das ich allerdings nur im Doppelpack mit den genialen Recaps von Roman Held ertrage, hehe).
Allerdings beginnen in ein paar Tagen, am 10. bzw. 17. Juli, die neuen Staffeln der absoluten Ausnahmeserien »Curb Your Enthusiasm« (Season 8) und »Breaking Bad« (Season 4). CYE wird hier auch voraussichtlich wieder folgenweise gerecapt (wie die Staffeln 6 und 7).
Aber jetzt schnell in einem Aufwasch die zehn besten (bzw. mehr hab ich auch gar nicht komplett gesehen) US-Serien der letzten Saison:
1. Dexter (5. Staffel, Showtime)
2. Episodes (1. Staffel, Showtime/BBC Two)
3. Big Love (5. und letzte Staffel, HBO)
4. Mad Men (4. Staffel, AMC)
5. The Office (7. Staffel, NBC)
6. Portlandia (1. Staffel, IFC)
7. Glee (2. Staffel, Fox)
8. Mildred Pierce (Miniserie, HBO)
9. Boardwalk Empire (1. Staffel, HBO)
10. Rubicon (AMC, 1. und letzte Staffel)
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1. Dexter (5. Staffel, Showtime)
Lumen, Lumen, Lumen! Nach der herrlich britischen Extremkünstlerin Lila in Staffel 2 endlich mal wieder eine ebenbürtige Partnerin für Dexter. Er befreit sie aus der Sklavenschaft einiger Vergewaltiger, die dann im Verlauf der Staffel ausfindig und jeder für sich hingerichtet werden.
Lumen (Julia Stiles) hört nicht auf Dexters Rat, ihrem Seelenheil zuliebe die Bestrafung dem Bundesstaat zu überlassen: »This is Florida, we execute here. These men will be brought to justice. You can walk away from all of this now, put it behind you.« (Folge 7). Doch sie will es selbst machen, eine Offensive gegen ihr Trauma, sie will eine Auge-für-Auge-Rache, und Dexter verliebt sich ein bisschen in sie. Es sieht auch alles nach einer erfüllten Massenmörderbeziehung aus, doch am Ende will Lumen doch Miami wieder den Rücken kehren. So wird für die bald beginnende Staffel 6 alles wieder beim Alten sein.
Am Ende der Staffel kommt es übrigens fast zur Anagnorisis, Dexters Schwester und Polizeikollegin Debra lässt ihn und Lumen aber inkognito entschwinden, ohne sie zu identifizieren, da sie für die romantischen Racheakte der beiden ziemliche Sympathien hegt.
Dabei stellt sich dann die Frage, wie »Dexter« überhaupt mal enden soll. Die Entlarvung des freundlichen Forensikers von nebenan als vermeintlich politisch korrekte Mörderbestie würde nicht nur das ganze Seriengebäude einreißen, sondern auch uns mit unseren Sehgewohnheiten konfrontieren, denn zu sehr haben wir schon die Prämisse der Serie akzeptiert: »Todesstrafe? Vielleicht gar nicht so schlecht, wenn es die richtigen trifft.«
2. Episodes (1. Staffel, Showtime/BBC Two)
Diese Show ist sehr, sehr gut, und zwar *obwohl* Matt LeBlanc mit dabei ist. Der gealterte »Friends«-Star, der sich selbst spielt, trifft auf die britischen Serienautoren Sean und Beverly Lincoln. Die beiden sind verheiratet und entscheiden sich nach dem Gewinn eines BAFTA-Awards, nach Los Angeles zu gehen.
Dort kreieren sie eine neue Serie, die schließlich den fragwürdigen Namen »Pucks!« bekommt. Sie werden zudem auch noch gezwungen, LeBlanc zu besetzen, den sie für den Proll halten, der er letztlich auch ist. Das gibt einen herrlichen Clash der verschiedenen Serienkulturen, UK vs. US, auch wenn sich die beiden Briten dann auf je ihre Weise mit LeBlanc anfreunden. Die Dialoge, in denen oft genug zynisch die TV-Serien-Kultur reflektiert wird, sind absolute Spitzenklasse. Nach den 7 Folgen von Staffel 1 soll es 2012 eine Folgestaffel geben, dann mit 9 Folgen.
3. Big Love (5. und letzte Staffel, HBO)
Nach dem freiwilligen Outing der Hendricksons als Polygamisten, mit dem Staffel 4 geendet hat, geht erst mal alles drunter und drüber. Bill kämpft als frisch gewählter Senator nun auch auf politischer Ebene für seinen Glauben: »Senate resolution 312! An act for the legalization of plural marriage. (…) A 19th-century ban that’s based on comparing polygamy to religious murder and actual human sacrifice and cannibalism doesn’t even pass the stink test.« (letzte Folge)
Wegen der allgegenwärtigen Anfeindungen, gegen die sich Bill nun wehren muss, hat er noch weniger Zeit für sein Unternehmen und seine drei Frauen. Diese wiederum begeben sich jede für sich auf Selbstfindungskurs. Es geht in dieser Schlussstaffel auch um Reformbewegungen innerhalb der Polygamistenszene, die man teilweise sogar feministisch nennen könnte (Barbs Storyline). (Achtung, im nächsten Absatz geht es mit einem Spoiler weiter.)
Und nun ist »Big Love« nach 5 starken Staffeln ausgelaufen: Der Nachbar Carl, ein Ottonormal-Mormone, diffus eingeschüchtert durch Bills polygame Rechtschaffenheit, streckt ihn mit drei Schüssen nieder (an Ostern, natürlich!). Insgesamt hatte die Serie einen der innovativsten Plots der letzten Jahre. Das polygamistische Hauptthema wurde in den letzten Jahren Folge um Folge gekonnt ausgeleuchtet und war einfach sehr gut geeignet, um (Beziehungs-)Probleme, die auch andere Drama-Serien schildern, unerwartet zuzuspitzen.
4. Mad Men (4. Staffel, AMC)
Nach den relativ elegischen ersten drei Staffeln wird es jetzt heftig. Don Drapers idyllische Machowelt ist dahin. Serienerfinder Matthew Weiner im Interview: »I started off the season with those three holidays – Thanksgiving, Christmas, New Year’s – to show, this is what it is to be divorced.«
Es ist eine Weile her, dass ich diese letzte Staffel gesehen habe. An was ich mich sonst noch so erinnern kann: Der Lucky-Strike-Account geht verloren, der lebenswichtig war für die neu gegründete Agentur »Sterling Cooper Draper Pryce«. Als Reaktion schreibt Don eine NYT-Seite voll mit einem Anti-Tabak-Text, direkt gegen American Tobacco gerichtet, um dabei gleich seine Firma umzubranden.
Die mit Abstand beste Folge war Nr. 7 (»The Suitcase«), eine magische, platonische Chit-Chat-Büronacht mit Don und Peggy am Abend des Fights Muhammad Ali vs. Sonny Liston am 25. Mai 1965.
Was noch? Dons bärbeißige Sekretärin Mrs. Blankenship stirbt direkt am Schreibtisch. Und statt der ihm intellektuell ebenbürtigen Verbraucherforscherin Faye, um die er lange gebuhlt hat, heiratet Don am Ende seine neue Sekretärin Megan. (Joan: »And he’s smiling like a fool, like he’s the first man that ever marries his secretary.« Joanie wird übrigens von Roger geschwängert, während ihr junger Taugenichts-Mann als Militärarzt in Vietnam ist.) Staffel 5 soll übrigens erst im März 2012 starten.
5. The Office (7. Staffel, NBC)
Ok, Michael Scott ist jetzt nicht länger der fahrige Büroboss-Comedian bei Dunder Mifflin. Er ist mit Holly nach Colorado gezogen, und jetzt warten alle darauf, wer ihn ab Herbst 2011 ersetzen wird. Am Ende der letzten Staffel spielt Will Ferrell für ein paar Folgen seinen Nachfolger, aber die Figur des Deangelo Vickers segnet dann sang- und klanglos das Zeitliche.
Die einzelnen Folgen waren wieder alle sehr gut, das Format zeigt immer noch keine Ermüdungserscheinungen. Ein kleines Special gab es mit dem »Film im Film« in Folge 17, »Threat Level Midnight«. Pam hat schon vor Jahren, in der 2. Staffel (in der Folge »The Client«), das Drehbuch zu Michaels gleichnamigem Agententhriller gefunden, und seitdem geistert dieses Filmprojekt durch die Serie.
Und nun ist der Film nach Jahren des Neuarrangierens fertig und wird den Bürokollegen gezeigt, die auch alle mitspielen (Jim als Bösewicht Goldenface). Es handelt sich natürlich um einen unfassbar käsigen Möchtegernactionreißer, um genau den harmlosen Humor, der »The Office« so diametral von seinem britischen Vorgänger unterscheidet. Und wo wir dabei sind: Am Anfang von Folge 14 kommt es zu einer kurzen Begegnung zwischen Michael Scott und seinem britischen Gegenstück David Brent (Ricky Gervais), kleine Hommage.
6. Portlandia (1. Staffel, IFC)
Eine der gefühlt seltenen Serien, die nicht aus New York & Co., sondern aus der hinterletzten Peripherie kommen. Hier ist es mal nicht Alaska, sondern, noch schlimmer: Portland, Oregon. Formal ist »Portlandia« eine traditionelle Sketch-Comedy mit wechselnden Storys aus verschiedenen Stadtteilen. Es gibt da zum Beispiel diesen Laden von Radikalfeministinnen, in den sich in Folge 1 Steve Buscemi verirrt.
Ansonsten reichen der Show zwei Hauptakteure, nämlich Carrie Brownstein, eine geborene Portlanderin, und Fred Armisen, die in den verschiedenen Settings wechselnde Charaktere spielen. Öfters mit dabei ist auch Kyle MacLachlan als verhinderter Kreativling, der nun leider Bürgermeister von Portland ist und jede Gelegenheit nutzt, bescheuerte Ideen aller Art umzusetzen. Staffel 1 hatte nur 6 Folgen, die man schön hintereinander wegkucken kann.
7. Glee (2. Staffel, Fox)
»Nationals are coming up!« So mahnt Lehrer Schuester seine Kids von der Gesangs-AG immer wieder, und gleich mal ein Spoiler: Natüüürlich wird der Song Contest auf nationaler Ebene am Ende der Staffel nicht gewonnen. Die Serie muss ja weiter gehen und Steigerungsmöglichkeiten offenhalten.
Die Geschichten aus dem Highschoolleben sind nach der grandiosen 1. Staffel etwas eintönig geworden. Das hängt auch damit zusammen, dass die herrliche Sue Silvester, diese asexuelle Sportlehrerin mit dem Willen zur Macht, in den Hintergrund gerückt ist. Ihr bösewichtiger Charakter (eine Wiedergängerin der Schulrektorin Miss Musso aus »Parker Lewis«) wurde in der Debütstaffel schon komplett ausgelotet, da bleibt nichts als Wiederholung.
Auch der Irokesen-Gitarrist Puckerman ist etwas aus dem Blick geraten, seit er ganz zu Beginn die Cheerleader-Elfe Quinn Fabray geschwängert hat. Aber seine aktuelle und nie ganz ausgedeutete Liaison mit dem Highschooltier Lauren Zizes war einer der Höhepunkte der letzten Season. Am schlimmsten dagegen waren die mehrfachen Gastauftritte einer völlig überkandidelten, sehr peinlichen Gwyneth Palthrow.
8. Mildred Pierce (Miniserie, HBO)
Die Romanvorlage von 1941 wurde schon mal als 111-minütiger Noir verfilmt. HBO hat ihn nun noch mal als fünfepisodigen, etwa 333-minütigen Ausstattungsschinken mit Kate Winslet geremaket. Selbst der passionierte Langbuchautor Stephen King fand die Adaption »too damn long«, und das einzige relativ positive Adjektiv, das mir zu der Serie einfällt ist: stimmungsvoll. Alte Autos und Menschen in altmodischen Sachen laufen zur Zeit der Großen Depression durch melancholische Lichtsettings.
Okay, das sich verschärfende Mutter-Tochter-Drama ist schon ganz interessant, und Evan Rachel Wood, die in den letzten beiden Folgen die nunmehr erwachsene Tochter Veda spielt, ist wirklich schön böse. Ihrem Mutter-Counterpart geht angesichts ihrer Taten und Worte allerdings die Kraft zur schauspielerischen Variation irgendwie verloren: »Kate Winslet (…) edges toward self-parody with her constantly pained furrowed brow and exaggerated eyebrow-raising expressions of relief.« (The A.V. Club)
9. Boardwalk Empire (1. Staffel, HBO)
»Boardwalk Empire« ist letztlich eine vorhersagbare Mafiaklamotte mit Schauplatz Atlantic City. Kann man sich zwar ruhig ansehen, wenn man nichts Besseres zu tun hat. Leuten mit einer empfundenen Mafiaoverdose, mir zum Beispiel, ist sie aber nicht zu empfehlen. Der einzige Clou ist im Prinzip die Gegen-den-Strich-Besetzung von Steve Buscemi als mafiöser Strippenzieher Nucky Thompson (angelehnt an Nucky Johnson). Das läuft allerdings auch nur wieder auf eine Karikatur der Figur des »Paten« hinaus.
Nuckys zeitweiliges Hauptinteresse gilt übrigens der irischstämmigen Witwe Margaret Schroeder, die zu seiner Mistress wird und deren Nachname, den sie ihrem umgebrachten Ehemann verdankt, leider ständig ausgesprochen wird: »Mrs. Schruwjdör«, heißt es immer wieder, »Mrs. Schruwjdör«. Kaum auszuhalten ist das, hehe.
Effektmäßig lässt Tod Brownings »Freaks« grüßen, die Serie hat ein Faible für körperliche Aberrationen. Da gibt es den War Hero mit halb zerschossenem Gesicht, eine blutjunge Prostituierte, der das Gesicht aufgeschlitzt wird, und boxende ›little people‹. Erwähnenswert ist sonst noch der teilweise computermäßig ergänzte Boardwalk, auf dem die Figuren herumhuschen, wenn mal Außenszenen auf dem Programm stehen. Ach ja, der dicke Al Capone kommt auch ab und zu vor (er paktiert mit Nuckys Schützling Jimmy Darmody, gespielt von Michael Pitt), die Stimmung der Prohibitionszeit wird also insgesamt schon irgendwie ganz gut eingefangen. Wie gesagt: Kann man sich schon anschauen, ist aber vom Storytelling nichts als Meterware.
10. Rubicon (AMC, 1. und letzte Staffel)
Der erste Fehlgriff von AMC: eine Serie voller Terrorismus-Klischees, die auch gleich nach der ersten Staffel abgesetzt wurde. Es handelt sich um so eine Verschwörungssaga nach 9/11, in der Analysten für einen amerikanischen Thinktank die Probleme der Welt lösen sollen. Die meisten der Protagonisten kucken immer so, als ob sie gerade eben die endgültige Lösung für irgendein weltumspannendes Problem gefunden haben könnten. Dabei sitzen sie eigentlich nur in ihren Büros herum und analysieren grisseliges Videomaterial.
Mit James Badge Dale hat auch noch einer der langweiligsten Schauspieler unserer Zeit die Hauptrolle bekommen. Schon in »The Pacific« hat er ja die pure Langeweile ausgestrahlt mit diesem Blick gehobener Besorgnis, den er ständig aufsetzt. Wer wie ich diese Serie versehentlich angeschaut hat, sollte als Gegenmittel die herrlichen Verrisse des Vulture-Blogs lesen (»Intelligence Failure«).
(Die Serie hat aber auch große Fans, das will ich nicht verschweigen.)