Archiv des Themenkreises ›Spocht‹


Fußball-Feuilleton (Teil 1):
Die beste Stadionzeitung zur Fußball-EM

Konstanz, 23. Mai 2008, 07:19 | von Marcuccio

Fußball-Paralipomena gibt’s heutzutage eigentlich überall, und wohl spätestens das Masern-Szenario im letzten »Spiegel« (20/2008, S. 44) macht klar: Zwar ist die »Euro 08« noch lang nicht angepfiffen, aber trotzdem (oder gerade deswegen) läuft der Nachrichtenzirkus längst rund.

So kommt mit jedem Turnier wieder dieses Festival der Meldungen, die die Welt nicht braucht und doch ganz gerne feiert. Mein liebstes Genre ist ja die Großveranstaltungs-Apokalyptik: Neulich zum Beispiel gingen der Schweiz schon die Kartoffeln für die Stadionpommes aus, davor die Pelle für den Cervelat … (und wer erinnert sich nicht noch an diesen ominösen Stadiontest, mit dem die Stiftung Warentest vor 2 Jahren sogar dem Bundesinnenminister ein Statement abrang, vor allem aber Franz Beckenbauer die legendäre Empfehlung, man solle sich doch besser um »Gesichtscremes, Olivenöl und Staubsauger« kümmern …).

Für alle, die in den nächsten Wochen da wieder mittendrin statt nur dabei sein wollen, empfehle ich heute mal die Original-Veredelungs­rubrik dieser Euro 08 im Feuilleton: die »Eurokolumne« der taz.

Die sympathische Serie erscheint immer wieder samstags (hier die Folgen I, II, III, IV, V, VI, VII zum Nachklicken) und ist allein schon wegen ihres ebenso simplen wie genialen Drehbuchs originell: Tobi Müller (CH) und Ralf Leonhard (A) zählen den Euro-Countdown im wöchentlichen Wechsel von der Gastgeberseite her runter und sortieren, stilisieren, zelebrieren dabei EM-Notizen, was das Zeug hält.

Daneben schlagen die beiden nativen Korrespondenten aber auch über den Fußball hinaus schöne Flanken aus der Tiefe des deutschsprachigen Raums, Flanken, auf die ich – als Umblätterer mit Euregio-Einsitz – natürlich noch zurückkommen muss und werde. Just for fun also ab sofort eine kleine Eurokolumnen-Eskorte mit allen Toren, den schönsten Szenen und Hintergründen zum Spiel.


Helmut Krausser über Oliver Kahn

Konstanz, 3. Mai 2008, 08:05 | von Marcuccio

Zwar lässt das erste Panini-Album der Halbwelt wegen Willi Winklers Weigerung, Bildchen von sich rauszurücken, weiter auf sich warten. Aber ansonsten müssen Feuilleton und Fußball irgendwie fusioniert haben.

So überträgt der Perlentaucher neuerdings schon mal ein mittel­mäßiges Derby mit allen Fouls live. Und umgekehrt ist »auffem Platz« (Otto Rehhagel) wahrlich keine feuilletonfreie Zone mehr:

– alles großartige Rasen-Aktionen, die überhaupt nur fürs Feuilleton stattgefunden zu haben scheinen. Und ja, der Kahn-Text von Helmut Krausser erschien tatsächlich im »stern« (17/2008) – was beweist: Auch was man nicht lesen darf, muss der Umblätterer ab und zu anblättern.

Kraussers Artikel steckt voller guter Beobachtungen. Allein der Ausgangspunkt: Kahns jetzt zu Ende gehende Karriere mal nicht mit der großen Meistererzählung abzurunden, sondern festzustellen,

»dass Oliver Kahn zu jener raren Sorte Mensch gehört, zu der ich noch immer keinen klaren Standpunkt habe«

– das zog mich sofort in den Text hinein.

»Normalerweise legt man sich ja irgendwann fest und stellt sich da oder dort hin. Selten gibt es Typen, die einem die Wahl derart schwer machen, und beinahe immer spricht das für diese Typen.«

Und was Krausser weiter über den inkommensurablen Typen Kahn schreibt, trifft den Punkt:

»Er tat immer so, als ob das Spiel in Wahrheit blutiger Ernst sei. Und ich glaube sogar, er tat nicht nur so. Natürlich ist man ihm für alle Ausraster, selbst jene am Rand des Amoklaufs, letztlich dankbar. Angesichts entsetzlich vieler früh saturierter Fußballer ist ein wenig Wahnsinn stets willkommen. Andererseits trug der Wahnsinn Kahns manchmal den Strampelanzug eines im Grunde etwas biederen Ehrgeizes.«

Strampelanzug ist herrlich, im gemeinen Mediendeutsch kommt bei ähnlichen Gedanken ja immer das »Hamsterrad«, »Laufband« oder dergleichen …

Angenehm auch, dass endlich mal einer die ewige Medien-Floskel vom »Kahn-Titan« ins Reich der Legende verweist: Denn diesen seinen Mythos hat Kahn, wie Krausser notiert, ja längst selbst vereitelt:

»Er lieferte in den letzten beiden Jahren einfach nur gute Arbeit ab. Und genau das ist der Punkt. Von Titanen erwartet man entweder geniale Arbeit oder den kompletten Absturz.«

Und eben weil da einer noch eine Rechnung mit dem eigenen Mythos offen hat, ist man mit Kahn genauso wenig fertig wie Krausser am Ende seines Artikels:

»Ich bin sehr gespannt, was passiert, wenn dem Menschen Kahn die Altlast des sportlichen Ehrgeizes von den Schultern gefallen sein wird. Wenn er sich als physische Maschine ein für alle Mal abhakt. Es kann gut sein, dass er dann auf ganz andere Art interessant werden wird.«

Ich hoffe doch sehr, dass Krausser im Fall der Fälle weiter informiert, und wenn’s wieder der »stern« ist …


Javier Cáceres interviewt Alfredo Di Stéfano:
Mann! Bah! Tchis!

München, 11. März 2008, 10:48 | von Millek

Neulich wurde im Madrider Estadio Santiago Bernabéu eine Alfredo-Di-Stéfano-Bronzestatue enthüllt, die »einem der größten, wenn nicht gar dem größten Fußballer aller Zeiten« gilt, wie Javier Cáceres in der S-Zeitung schreibt (Ausgabe vom 16. 2.). Als gute River-Plate-Fans haben Paco und ich natürlich das aus diesem Anlass geführte Gespräch zwischen Cáceres und dem Geehrten gelesen.

Vor 2 Jahren hat Cáceres in seinem Buch »Fútbol« geschrieben, dass Di Stéfano ein mittlerweile griesgrämiger Achtzigjähriger sei, der keine Interviews mehr mag. Das kann so nicht stimmen, denn anhand des SZ-Gesprächs sieht man, wieviel Spaß der noch hat. Überhaupt, den Interview-Style kann man gar nicht genug loben:

Die beiden duzen sich im Deutschen. Entweder kennen sie sich also oder sie haben den ›voseo‹ benutzt, was zwischen einem gebürtigen Chilenen und einem gebürtigen Argentinier nicht unwahrscheinlich ist. Dieser kumpelhafte Ton ist auch der einzig richtige für dieses Gespräch (ganz anders als in der FAS, wo sich Charlotte Roche und Julia Encke neulich siezten, als sie über Intimrasuren sprachen, hehe).

Und Di Stéfano sagt »Mann!«, also vielleicht ein lässiges »hombre«, ein gefälliges »boludo« wie unter alten Freunden oder eben ein anderes der reichhaltigen »Mann!«-kompatiblen Wörter im Spanischen. Er bezeichnet sich als »ein Kind des Viertels«, das klingt sehr übersetzt, man hört da noch den »pibe del barrio« durch. Und er sagt, dass er die Straßenbahn nehmen musste, um Buenos Aires zu durchqueren – das ist Jahrhunderte her, dass die Capital Federal eine Tram hatte – erst seit Juli 2007 fährt wieder eine.

Zischgeräusche werden korrekt wiedergegeben: »In Europa ist der Rasen kurz, und der Ball fliegt über die Narbe, als würde ihn jemand – tchis! – ausspucken.« Und auch Antwortfragmente wie »Sí, señor.« bleiben unübersetzt im Originalzustand. Man müsste die sowieso mit »Auf jeden!« oder so übersetzen, jedenfalls nicht mit »Ja, mein Herr.« Wir sind ja nicht im 18. Jahrhundert.

Als es um das legendäre Glasgower 7:3 geht (Real gg. Eintracht Frankfurt, Finale des Europapokals der Landesmeister 1960, siehe Wikipedia), kommt Di Stéfano auf das perfekte Zusammenspiel seiner Mannschaft zu sprechen: »Puskas mit seinem unfassbaren Antritt, Del Sol … Bah, es war ein Riesenteam.« – Auch dieses kastilische »Bah«: so herrlich und so unübersetzbar.

»Früher war der Fußball romantischer. Bohème.« sagt Di Stéfano an einer Stelle. Dieser Text ist auch Bohème, ein Musterbeispiel für gelungenes Sportfeuilleton. Bah …


England—Kroatien im Wembley-Stadion

London, 22. November 2007, 16:14 | von Dique

Ich war live dabei gestern Abend, 21. 11. 2007. Zwei Karten für die Executive Lounge im neuen Wembley-Stadion, 90.000 Zuschauer wurden erwartet.

Wie Fußball fühlt sich nur die Hinfahrt an, denn hier kommen wir dem berüchtigten und gefürchteten Mob nahe. Fußball-Shirts, kroatische und englische, Schweißgeruch, auch kroatischer und englischer, Alkoholfahnen und plötzlich anschwellende Sprechchöre.

Das Stadion dann völlig anders. Auf dem Weg in den Executive-Teil wird es immer unfußballiger, kaum noch Fußball-Shirts, geschweige denn Fahnen oder Schals, alles eher wie auf einer Messe oder auf dem Flughafen.

Noch eine Etage höher und vor uns tut sich die Seafood und Champagner Bar auf. Alle paar Meter gibt es sanitäre Anlagen und alles ist total zivilisiert. Überall kann man essen und trinken, rumsitzen und stehen. Kaum Frauen. Wir essen irgendwo ein gar nicht schlechtes Thai Green Curry, na ja, aus der Assiette, aber wir sind ja schließlich beim Fußball hier oder ›Footie‹, wie der Engländer gern sagt.

An unserem Tisch Klaus Bednarz, ja, der Klaus Bednarz. Mit seinem strengen, seriösen Monitorblick geht er die kostenlose Stadtzeitung thelondonpaper durch und nascht dabei Rippchen und trinkt Cola Light. Würde Bednarz nicht eher große Schlachtschiffe à la Telegraph, Times und Guardian wälzen statt des Billigpapers? Ist vielleicht doch nicht Bednarz.

Dann zum Spiel oder quasi ins eigentliche Stadion. Man geht durch die Glastür nach draußen auf seinen Platz, recht gut gepolsterte Klappsitze. Zwischen den ganzen »Executives« gibt es vereinzelt richtige Fans oder solche, bei denen das ehemalige Fantum der Pre-Executive-Zeit wieder hervorbricht.

Dann springen sie auf, sehen sich auf den Rängen um und brüllen »Come on, England!« oder versuchen, die abgearbeiteten Bürohengste dafür zu gewinnen, in Sprechchöre und Gesänge einzustimmen, allerdings mit wenig Erfolg. Das kann aber am Ergebnis liegen, wir sind kaum über die 14. Minute hinaus und da hatte der leider sehr schlechte Torhüter der Engländer schon zweimal das Leder durch die Lappen gelassen.

Zum Spiel selber will ich lieber nichts sagen, da fragen Sie lieber Klaus Bednarz oder den Typen, der dessen Style so sicher imitiert.