Archiv des Themenkreises ›Sprachkrtek‹


Der oder die Ponte Molle? —
Erneute Schlacht an der Milvischen Brücke

Konstanz, 29. April 2012, 19:30 | von Marcuccio

Letzte Woche in Frankfurt, das Städel ist auch an einem stinknormalen Werktag bestens besucht und gebucht: Kinderkreativklassen, Klapp­hockerseniorinnen und bejeansrockte Kunstgeschichtsstudentinnen. Und plötzlich diese ungeheuerliche Entdeckung: Haarscharf an der Grenze zwischen Sachbeschädigung und Wandfriedensbruch hat irgendjemand in einen Exponattext der großartigen Claude-Lorrain-Ausstellung hineinredigiert.

Genauer gesagt: Am Gemälde »Hirtenlandschaft mit der Ponte Molle« hat er oder sie mit einem Kugelschreiber handschriftlich Korrekturen in die Exponatbeschriftung eingebracht:

Das ›der‹ vor »Ponte Molle« wurde mit blauer Kuli-Farbe durch­gestrichen, darüber steht jetzt besserwisserisch ›dem‹. Also: »Hirtenlandschaft mit dem Ponte Molle«.

Trotz der geringen Differenz zwischen Kuli- und Exponattafelblau sticht die Geschlechtsumwandlung der Milvischen Brücke ziemlich deutlich ins Auge. Grammatikalisch übrigens korrekt, denn italienisch ponte ist Maskulinum. Nur: Diese Genus-Diskrepanz zu bemerken ist das eine. Sie handschriftlich am Objekt zu vermerken das andere. Daher die Frage:

Wer macht sowas?

Wer trägt, 1700 Jahre danach, eine Genus-Schlacht an der Milvischen Brücke aus? Und kritzelt in die Exponatbeschriftung im Städel hinein?! Hier einige mögliche Täterprofile (aus gegebenem Anlass bitte keine Variante vorschnell ausschließen):

1) Man könnte graphologisch anfangen: Die Kuli-Striche wirken ziemlich krakelig – das ließe auf betagtere Hände schließen. Womöglich ein Altphilologe, der jede ihm unterkommende Nicht-Kongruenz von Genus, Numerus und Kasus zwar schon zitternd, aber immer noch reflexartig mit dem Korrekturstift ahndet? Und sich als Bekennerslogan ein in hoc signo vinces in den Bart murmelt?

2) Man könnte auch medienverhaltenskundlich argumentieren (etwa mit Kittler: die Medien programmieren die Menschen) und das Ganze als Übersprunghandlung eines digital native interpretieren, der Museen bislang nur von Google Art kannte und nun seine ersten Gehversuche in analoger Umgebung unternahm. Für ihn wäre es völlig legitimes User-Verhalten, den Hinweis auf das falsche Geschlecht von Ponte Molle sofort an Ort und Stelle anzubringen. Und ja, die ostentative Fehlerkultur vieler Blogger würde es sogar direkt vorsehen, dass das Städel sein Exponat-Schildchen für die letzten Lorrain-Ausstellungstage jetzt nochmal neu bedruckt, und zwar so:

»Claude Lorrain (1600 oder 1604/05–1682): Hirtenlandschaft mit der dem Ponte Molle (1645).«

3) Man könnte einen translationswissenschaftlich motivierten Triebtäter vermuten: Bei Übernahmen fremdsprachlicher Begriffe in die Zielsprache wäre das grammatische Geschlecht in der Ausgangs­sprache zu belassen. Man hat im Städel bei der ursprünglichen Exponatbeschriftung eben tatsächlich bigott gehandelt: endonymisch ›Ponte Molle‹ geschrieben, aber (siehe falsches Genus) offensichtlich exonymisch ›Milvische Brücke‹ gedacht. Eventuell wurde hier also ein in seiner Ehre gekränkter Übersetzer exponattafelübergriffig, weil er auf ein echtes Problem seines Berufsstandes aufmerksam machen wollte? Über die Filmbranche spricht jeder. Von den Synchronisationsproble­men deutscher Exponatbeschriftungen hört man wenig.

4) Last but not least könnte man den handschriftlichen Eingriff in die Bildlegende als performativen Akt lesen, ja vielleicht sogar als Gruß zum 50. Geburtstag von »How to Do Things With Words« (das Buch von J. L. Austin, 1962)? Dann wäre ein simpler Sympathisant der Sprechakttheorie am Werk gewesen: Schau her, wie meine Worte Taten sind.

Im Grunde aber ist, um auf die Sachebene zurückzukommen, die Frage nach dem richtigen oder falschen Genus von Ponte Molle im Deutschen ähnlich gelagert wie:

Das Latte-Macchiato-Problem

Trink ich jetzt Milchkaffee oder Kaffeemilch, fragt sich der Hipster angesichts seines Heißgetränks im Glas, dessen Image hierzulande ein wenig arg in die Rucola-Bärlauch-Bionade-Falle abgerutscht ist. Auf Italienisch wäre der Fall eindeutig; man trinkt eine mit Kaffee befleckte Milch. (Ein caffè macchiato hingegen käme in einer Espressotasse daher und enthielte maximal einen Teelöffel Milchschaum, wäre also ein mit Milch bekleckster Kaffee.) Auf Deutsch bestellen die meisten Latte-Macchiato-Trinker vom Genus her trotzdem eher einen Kaffee mit Milch als eine Milch mit Kaffee. Das muss man als Mehrheitssprech genauso tolerieren wie das so genannte Deppenapostroph, das übrigens auch im Städel zuhause ist: Vgl. das Holbein’s. Am Ende lebt Sprache demokratisch, der Rest ist Distinktion.

Und zum Schluss doch noch ein Geständnis:

»›Euch darf ich’s wohl gestehen‹, sagte er, – ›seit ich über den Ponte molle heimwärts fuhr, habe ich keinen rein glücklichen Tag mehr gehabt.‹« – Goethe (angeblich)

Goethe, genau, hätte im Grunde ein astreines Täterprofil: Er verwendet Ponte Molle im Maskulinum! Er ist bezeugter Claude-Lorrain-Fan (»die Bilder haben die höchste Wahrheit, aber keine Spur von Wirklichkeit«), hätte die Ausstellung also bestimmt besucht. Und er war zur Tatzeit sogar im Haus. Aber das ist zugleich sein Alibi: Mit seinen zwei linken Füßen konnte er vom Städel-Saal mit der Ordnungsnummer 1 unmöglich den ganzen weiten Weg in die Sonderausstellung herübergehinkt sein!
 


Journalistische Interpunktion:
Kleist-Sätze und Satz-Kleister

Konstanz, 22. November 2008, 10:01 | von Marcuccio

Ein seit jeher praktischer RSS-Feed ist ja der so genannte »Blick in die Zeitschriften«. Neulich (FAZ vom 4. 11.) blickte Thomas Gross da in die Zeitschrift »Deutsche Sprache«, seine Überschrift:

Lesernähe. Durch Brüche!
Das sogenannte »parataktische« Schreiben nimmt zu.

Ich als Aficionado aller Leser-Blatt-Bindungen natürlich sofort angeteast … Mein Leserbriefgedächtnis schlug ein paar Purzelbäume, und dann war er wieder da, der legendäre Leserbrief »zur Grammatik in der FAS« (26. 6. 2005):

»Es fällt mir unangenehm auf. Daß in mehr und mehr Artikeln. Auch Ihres Blattes. Keine korrekten Sätze. Stehen, mit Subjekt, Prädikat, Objekt. Sondern Punkte. Regellos gesetzt werden. Ein Kniefall. Vor der Reklamesprache. Jetzt aber. Punkt!«

Keine Ahnung, ob Britt-Marie Schuster dieses formvollendete Traktat kannte. Auf jeden Fall hat sie – und darauf wies Gross‘ FAZ-Artikel hin – eben diese interessante Studie verfasst: Sie hat am Bsp. von »Spiegel«, »Zeit« & »stern« mal lingistisch untersucht, was Printjournalisten so alles anstellen, um Nebensätze zu vermeiden. Die gliedern ihre Sätze nämlich anders als früher, zum Beispiel so:

»Sie hat es geschafft, doch noch: Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland – die erste Frau, die nach oben durchgekommen ist.« (stern 48/2006, S. 29)

Die Interpunktion (»:«, »–«) übernimmt den Part, Satzteile zusammenzuhalten ohne sie syntaktisch unterzuordnen. Sie funktioniert also wie ein Nebensatz-Vermeidungsmechanismus, ein Satzkleister, der syntaktische Abhängigkeiten durch Gedanken­striche, Doppelpunkte usw. nivelliert. Für Gross haben die so instrumentalisierten Satzzeichen aber auch noch eine andere Wirkung:

»Sie rhythmisieren, heben etwas hervor, beziehen es auf ungewohnte Art auf andere Satzglieder und unterstützen den Dialog mit dem Leser, den der Text eröffnet.«

In diesem Sinne hat auch Gross alles richtig gemacht. Er eröffnete seinen FAZ-Beitrag nämlich gleich mal mit einem Zitat von Kleist (»Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik«):

»Auf die Antwort der jungen Klosterschwester: ja! sie erinnere sich davon gehört zu haben, und es pflege seitdem, wenn man es nicht brauche, im Zimmer der hochwürdigsten Frau zu liegen: stand, lebhaft erschüttert, die Frau auf, und stellte sich, von mancherlei Gedanken durchkreuzt, vor den Pult.«

Und hier ist exzessive Interpunktion natürlich nichts anderes als jener Kunstgriff, der Kleists Prosa so herrlich dramatisiert. Mit ihrer Dynamisierung von Schriftsprache haben Kleist-Sätze und moderne Medientexte mehr gemeinsam als man gemeinhin denkt.


Vor dem Spiel:
Sehr sehr, ganz ganz, absolut

Konstanz, 25. Juni 2008, 18:44 | von Marcuccio

Überraschungsmomente in der Regionalzeitung, heute: Fußballer­sprache. Aber keine Sorge, keine weiteren Kalauer vom Schlage »Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien« oder »Die Medien haben das alles hochsterilisiert«. Nein, an Ralf Mittmanns »Anpfiff« im heutigen »Südkurier«-Sportteil ist überhaupt nichts regionalzeitungssteril.

»Auch für Medienvertreter sind Pausentage schwierige.« Endlich mal ein Sportreporter, der überhaupt noch ausspricht, dass nun nicht jeder Trainingslagergrashalm das ultimative Rasenereignis vor dem Spiel ist. Und der sich, weil trotzdem täglich neue Presse­konferenzen von und mit der deutschen Elf anstehen, auch mal auf neue Standardsituationen verlegt, etwa das Zusammen­rücken der »Sprache vom Bundestrainer bis zum 23. Spieler«:

»Da ist alles ›sehr, sehr‹ oder ›ganz, ganz‹, und muss ein Wort ausreichen, Aussagen zu unterstreichen, dann gibt es nur eines: ›absolut‹. Tag für Tag, ›sehr, sehr‹, ›ganz, ganz‹ und ›absolut‹. So passen wir uns also an und teilen mit: Die sehr, sehr lange Zeit des Wartens hat heute ein Ende. Auch wenn es ein ganz, ganz schwerer Gang gegen die Türken wird, ist es absolut gut, dass gespielt wird. Sehr sehr überzeugt sind wir von einem deutschen Sieg, ganz ganz sicher sind wir aber absolut nicht.«

Das ist doch mal fein aufgegriffen. Und man malt sich schon jetzt zukünftige Strafarbeiten für Medienlinguisten oder Sportpublizistik-Studenten aus: Ermitteln Sie aus den Mannschaftsleistungen auf dem Platz und dem Sprachgebrauch der Spieler bei Presse­gesprächen den Teamgeist-Koeffizienten aller DFB-Pflicht­spiele seit der Ära Klinsmann. Oder so.


Soweit okay

Leipzig, 23. Mai 2007, 14:06 | von Millek

Seid ihr o.k.? Das frage ich mich schon mindestens drei Monate. Dabei weiß ich nicht, ob es sich um eine regionale Besonderheit unserer schönen Stadt handelt oder ob die neue Verwendung des Wörtchens nun bundesweit gilt.

Wo es anfing, habe ich vergessen. Seitdem passiert es mir immer wieder: Ich treffe auf einen alten Bekannten und wir beginnen ein Gespräch. Mindestens jede zweite Phrase meiner Beiträge wird mit einem o.k. bestätigt.

Leider ist es nicht das o.k. von »o.k., dann also um drei bei Dir« auch nicht das o.k. von »o.k., wir versuchen’s noch mal« und kein »o.keeee., das habe ich nicht gewusst«. Nein, es ist das kurze und knappe o.k. von »o.k. weiter im Text, o.k. auch richtig, o.k. setzen«. Wohlwollende Zustimmung sieht anders aus.

Ich denke nicht, dass das o.k. ist, und Gabriel im Übrigen auch nicht.

Zur Beruhigung bleibt zu sagen, dass eben dieses o.k. bisher noch keine Schranken übersprungen hat und eisern bei alten vielleicht aber auch bei zukünftigen Bekannten herumlungert.