Palma hatte in letzter Zeit eine besondere Mission: Sie war Beobachterin in einem Prozess, der außerhalb der Schweiz nicht halb so hohe Wellen geschlagen hat wie in den eidgenössischen Medien. Dabei hat die Sache, davon ist Palma überzeugt, »Brisanz und Relevanz für den ganzen Journalismus«.
Und darum ging’s: Ein »Weltwoche«-Journalist hatte sich wegen angeblich rassistischer Wortwahl vor Gericht zu verantworten. Das Kuriose: Dieser Journalist war für Teile seines Artikels angeklagt, die er nachweislich gar nicht geschrieben hatte.
Freie Journalisten kennen das Problem
Da liefern sie ihre sorgfältig erarbeiteten Reintexte ins Text-OP namens Redaktion ein und müssen wie unsere Testimonials Malte Welding oder Jürgen Dollase immer wieder feststellen, dass bestimmte Amputationen oder hässliche Operationsnarben einfach dazugehören: Hier ein wichtiger Satz, Halbsatz, Begriff rausredigiert, da Textsinn verändert, schlimmstenfalls entstellt! Wie viele Artikel auf diese Weise schon zum Krüppel gemacht wurden, hat die Journalistik bislang nicht eruiert, vielleicht sie sollte es mal tun.
Doch längst nicht nur wo durch die Redaktion gekürzt wird, sondern auch im umgekehrten Fall, also da, wo durch die so genannten Paratexte etwas zum Reintext hinzukommt, lauern Gefahren für das journalistische Gelingen. Es handelt sich zumeist um die Teile von Texten, an denen verschiedene Verfasser beteiligt sind und in der Hauptsache nicht unbedingt der Autor des Artikels selbst: Überschriften, Artikelvorspänne, Teaser, Zwischenüberschriften, herausgestellte Zitate, sonstige separate Hinweise usw.
Da kann es kleinere befremdliche Brüche geben, auf die der Umblätterer gelegentlich hinweist, aber eben auch presserechtlich richtig relevante Risiken und Nebenwirkungen. Von dem Fall, in dem solche Paratexte einen Journalisten bis vor den Kadi gebracht haben, berichtet nun Palma aus der Schweiz.
»Jäger, Räuber, Rätoromane. Die frechste Minderheit der Schweiz«
So hatte die »Weltwoche« auf ihrem Cover der Ausgabe 37/2006 getitelt, und im Heft gab es dann einen für Schweizer Konsensverhältnisse ziemlich provokanten Artikel von Urs Paul Engeler, in dem der Autor zu dem Schluss kam: Rätoromanisch, offiziell immer noch die vierte Landessprache der Schweiz, sei bei nur mehr 34.000 verbliebenen Sprechern nichts anderes als hochsubventionierte staatliche Folklore.
Das war für die inneralpinen Restposten des Vulgärlateins sicher nicht nett, politisch ebenso wenig bequem, aber alles andere als rassistisch. Doch der Stein des Anstoßes lag anscheinend auch weniger im eigentlichen Artikel als in seinem Vorspann:
»Anachronistisch, kryptisch, erpresserisch, exotisch, fanatisch, neurotisch, räuberisch: Diese Worte fallen einem ein zu Rätoromanisch. Erfinderisch auch. Das sind die paar Schweizer, die diese Sprache sprechen, wenn es um Subventionen geht: um gigantische Subventionen.«
Vorspann mit Nachspiel
Für Palma ist der Lead »offenkundig satirisch«, und überhaupt: die terroni in ihrer Heimat müssten die gleichen Attribute über sich quasi nonstop in »La Padania« lesen … Grinsende Zustimmung meinerseits. Umgekehrt kann man sich natürlich schon fragen, wie hierzulande die Sorben darauf reagiert hätten, wenn sie in einem Leitmedium entsprechend angefeatured worden wären.
Ein rätoromanischer Verein jedenfalls sah darin lauter diskriminierende Attribute und reichte Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Die wurde abgelehnt, der Verein erstattete sodann Strafanzeige und hatte das Glück, auf einen Staatsanwalt zu treffen, der es mal grundsätzlich wissen wollte.
Angeklagt wegen mutmaßlichem Rassismus gegen die Rätoromanen wurde: Urs Paul Engeler. Der aber konnte, wie Palma aus dem »Tages-Anzeiger« vorliest, beim ersten Prozesstermin 2007 geltend machen, diesen Lead gar nicht verfasst zu haben:
»(…), die Produktionsabteilung der ›Weltwoche‹ habe die umstrittenen Passagen verfasst, und nicht er selber. Sein eigener Vorspann habe anders gelautet. Er wäre aber bereit, ›für das Gesamtkunstwerk‹ die Verantwortung zu übernehmen.
Dies gehe nicht, befand damals der zuständige Staatsanwalt. Es müssten die tatsächlichen Autoren zur Verantwortung gezogen werden.«
Dann war Engeler also plötzlich der falsche Angeklagte, versuche ich zu verstehen. Ja, und es war ziemlich peinlich für das Gericht, das erst während der Verhandlung festzustellen, meint Palma. Überhaupt: Wie wenig Ahnung vom Redaktionsalltag müsse man haben, um daraufhin die Verhandlung zu vertagen mit der Forderung, jetzt sollten »die tatsächlich Verantwortlichen für die inkriminierten Passagen« belangt werden?! Als ob jemand ein Register darüber führt, wer welchen Artikelvorspann und wer welche Bildlegende getextet hat!
Kennt die Schweiz kein »V.i.S.d.P.«?
Wieso stand eigentlich überhaupt Engeler und nicht die »Weltwoche« vor Gericht, will ich jetzt dann doch mal von meiner persönlichen Prozessbeobachterin wissen.
Na ja, so Palma: Das konnte die Hauptverhandlung nicht klären. Immerhin wurde Engeler am 18. April freigesprochen. Ob der Artikelvorspann nun polemisch-provokant, rassistisch, diskriminierend oder was auch immer war, wurde erst gar nicht weiter verhandelt.
Jetzt prüfen die Untersuchungsbehörden wohl noch, ob und wie es weitergeht. Aber es ist doch schon verrückt: Da ist der Verfasser eines Artikels ist für Teile seines Artikels freigesprochen worden, die er gar nicht verfasst hat. Und die »Weltwoche« entzog sich ihrer Verantwortung in der juristischen Paratext-Posse bislang anscheinend ganz.