Archiv des Themenkreises ›Der Spiegel‹


Endlich fertig: Die Feuilleton-Charts 2007

Leipzig, 15. Januar 2008, 00:30 | von Paco

Hier sind sie, die Autoren und Zeitungen der 10 besten Artikel aus den Feuilletons des Jahres 2007:

1. Renate Meinhof (SZ)
2. Peter Richter (FAS)
3. Henning Sußebach (ZEITmagazin LEBEN)
4. Jean-Philippe Toussaint (FAS/FR)
5. Robin Meyer-Lucht (SZ-Magazin)
6. Ursula März/Claudia Schmölders (Zeit)
7. Matthias Matussek (Spiegel)
8. Heribert Prantl/Remigius Bunia (SZ/FAZ)
9. Henning Ritter (FAS)
10. Jan Wigger (SPON)

Kurze Begründungstexte und Links (sofern vorhanden) gibt es auf dieser Seite, die sich wie schon die Top-10s für die Jahre 2005 und 2006 direkt von der rechten Seitenleiste aus aufrufen lässt.

Auch in diesem Jahr speichert die Liste unseres Erachtens snapshotartig ein repräsentatives Bild des Lebens in den Feuilletons im Jahr 2007. Zusammen bilden die Texte ein erstklassiges virtuelles Lesebuch, und wer den ein oder anderen Artikel noch nicht gelesen hat, sollte dies unbedingt nachholen – es sind alles Krachertexte, die jede Zeile wert sind.

Vor allem unser Lieblingstext, Renate Meinhofs Porträt eines 90-jährigen Wagnerianers, ging uns nicht mehr aus dem Kopf. Er ist im Juli erschienen, aber noch im November und Dezember sprachen wir gelegentlich über das Bayreuth-Erlebnis des Walter Odrowski, seine »Eppendorfer Heimoper« und seine Reaktion auf Stoibers Ignoranz.

Odrowski wollte auf dem Staatsanfang nach der »Meistersinger«-Premiere dem damaligen Ministerpräsidenten für die Einladung danken, dringt aber mit seinen dünnen Worten nicht zu ihm durch, bis es ihm schließlich auch egal ist und er im Hinblick auf Stoibers leicht unfreiwillige Demission trocken kommentiert: »Na macht nichts, nächstes Jahr ist der auch nicht mehr hier.«

Meinhofs Idee, dass Odrowski ein bisschen aussieht wie Franz Liszt und die diesbezügliche Bestätigung durch das zugehörige Foto sorgen zusätzlich dafür, dass man dieses Porträt nicht so schnell vergisst.


Die Rules of Cuteness und der neue »Spiegel«

Tel Aviv, 9. Januar 2008, 13:25 | von Paco

Es ist ein Fernziel des Umblätterers, einmal ein cuteoverload.com-würdiges Foto zu komponieren, und da kommt es gelegen, dass der Haushund Shweps so ein Feiner ist:

Shweps and me

Millek trainierte den Feinen mit einigen hebräischen Kommandotönen und schon bald war er in der Lage, ihm die unterschiedlichsten Dinge zu apportieren, etwa den alten »Spiegel« (1/2008), und wenn das nicht cute ist, was dann:

Shweps bringt den Spiegel

Hier werden folgende Rules of Cuteness befolgt:

#28: Your head looks down, but your eyes look up
#34: If your tail curls up, it’s cute
#37: If you tilt your head to a side, it’s cute

Ok, das Heft war danach etwas angenässt, aber das ist der Preis der Cuteness. Millek las den letzten ungelesenen Artikel (und damit doch noch das Langley-Interview), dann verließen wir Tel Baruch Zafon Richtung Steimatzky @ Dizengoff, denn der neue »Spiegel« (2/2008) war längst erschienen.

Wir erwischten das letzte vorrätige Exemplar, steuerten gewohnheitsmäßig das »Aroma« an und zerrissen diesmal ohne viel Federlesens das Heft in der Mitte.

Ich bekam die hintere Hälfte, Handke und Havemann, was will man mehr.


Der Silvestertaucher:
Zwischen den Jahren in den Feuilletons

Konstanz, 3. Januar 2008, 18:26 | von Marcuccio

Hatte ich mich eben noch geärgert, die Weihnachts-FAS samt Sibylle Bergs Artikel über St. Moritz beim Snowboarden ebenda verpasst zu haben, konnte ich nach der Beinahe-Begegnung mit Putin auf der Piste und Ahmadinejacket in der Loipe nur feststellen: Das war noch längst nicht die ganze Bescherung, im Gegenteil. Und deshalb ein kleiner Rückblick auf allerlei Feuilleton-Bräuche zum Jahreswechsel.

Malen nach Zahlen bei den Perlentauchers

Es war schon ein historischer Augenblick, als am 29. 12. die erste Perlentaucher-Presseschau mit Gemälde ans Netz ging. Ob sich der Perlentaucher für diese Aktion vom »Holy Family Set« (FAS vom 2. 12.) inspirieren ließ? Ob Thierry Chervel dieses eventuell sogar eigenhändig ausgemalt und eingesandt hat, um ein FAS-Jahresabo 2008 zu gewinnen und (unserem Pilotprojekt folgend) endlich den Sonntagstaucher zu starten? Wir können nur spekulieren und warten gespannt, was wird.

Bleigießen mit der S-Zeitung

Eher Konventionelles, nämlich eine bewährte Mischung aus Rückblick und Ausblick boten die »zehn Ideen, die uns bleiben« in der S-Zeitung vom 29. 12.: »Monopol« und »Monocle« wählten München zur City of the Year, der Klimawandel forderte ebenso seinen Tribut wie Damien Hirst sein Stück vom Diamantenschädel … Am Ende hätten wir uns das ziemlich genau so gedacht, aber na gut, wenn solche Trends auch nur einigermaßen repräsentativ sein sollen, bleiben sie für uns Halbwelt-Junkies notgedrungen im Rahmen des Erwarteten. Typisch nur, dass die S-Zeitung dann mal wieder übers Ziel hinausschießt und aus ihren zehn Ideen online gleich redundante 19 Vignetten macht – wieder eine ihrer berüchtigten »unsinnigen Klickstrecken«.

Chinaböller im »Spiegel«

Was man da mit der Silvester-Ausgabe als »KulturSpiegel« für Januar frei Haus bekam, war wirklich ein Rohrkrepierer: 16 Seiten Statements, »warum Künstler Olympia so lieben« – nein danke. Nachdem schon die gelben Spione so peinlich waren, muss man auf echte neue »Spiegel«-Kracher aus dem Reich der Mitte wohl weiterhin warten. Derweil lese ich doch lieber nochmal Ulrich Fichtners unvergessene Reportage über Shenzen: »Die Stadt der Mädchen« (6/2005).

Sündenablass bei der F-Zeitung

Und vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern: Am 28. 12. verpuffte die Meldung, dass der Tod eines Kritikers jetzt verjährt und Martin Walser Ein liebender Mann ist, der ab Februar in der F-Zeitung vorabgedruckt wird. Am 31. 12. folgte als Schirrmacher-Chefsache ein ganzes Schreibschulden-Register, in dem die Feuilletonredaktion Altlasten in eigener Sache abtrug. Und Gerhard Stadelmaier scheint in diesem Zusammenhang bekennen zu wollen: Verantwortlich für den sprichwörtlichen Tort eines Kritikers muss gar nicht immer ein Spiralblock, es kann auch der eigene Fingerknöchel sein.

Limonaden-Countdown im Deutschlandfunk

31. 12., 23:05 Uhr: Gepflegte Unterhaltung prickelt über den Äther, wenn sich zur letzten Radiostunde des Jahres die drei »Büchermarkt«-Redakteure Hajo Steinert, Hubert Winkels und Denis Scheck zusammensetzen, um bei einem Glas Limonade das literarische 2007 Revue passieren zu lassen. In munterer Silvesterlaune plaudert Denis Scheck dann auch schon mal ein Betriebsgeheimnis aus, so etwa ab Minute 4:27: »Also, ich darf der Wahrheit Ehre geben. Ich habe ganz sicher keine Limonade vor mir stehen.«

0:00 Uhr in der FAS: »Endlich Gegenwart!«

Das Jahresend-Spezial der FAS war eine exzellente Zündung, auf die Tel-Aviv-Koinzidenz hat Cobalt ja schon verwiesen. Ich ergänze an dieser Stelle weitere ungeahnte Korrespondenzen zwischen dem Umblätterer und der FAS (Fusionsgerüchte dementieren wir indes entschieden):

Johanna Adorján hat also auch eine Tagesschau-Tante, und um die herum entfaltet sie den herrlichen Beitrag »Mensch und Maschine: Moderne Kommunikation« (S. 29). Ein astreiner Epilog auf die Rituale einer letzten Generation ohne Google, Handy usw. Ganz nebenbei erweitert sich hiermit auch das von Paco ins Leben gerufene Rubrum Software & Erinnerung um die nicht unbedeutende Dimension der Hardware (Stichwort Wählscheibe).

Auf derselben Seite, links neben Adorján, serviert uns Nils Minkmar »Mensch und Margarine: Kapitalismus als Passion«. Ein schöner Review zum Lekr-Markt an der Ecke Hufeland-/Bötzowstraße in Berlin und nach dem (verpatzten) Auftakt durch Alexander Marguier das, wie ich meine, erste wahre Supermarkt-Feuilleton.

Das war sie denn auch schon fast, die feuilletonistische Bescherung zum Jahreswechsel. Folgt nur noch ein schöner Brauch: Unsere Bekanntgabe der Best of 2007.


In den Azrieli Towers

Tel Aviv, 31. Dezember 2007, 19:10 | von Paco

Heute morgen bei den Jungs von Waves Audio im 32. Stock des Triangle Towers, dem schönsten der Azrieli-Skyscraper. Unsere Lorbeerverteilung für die 10 besten Feuilletonartikel der letzten 12 Monate rückt näher, Millek am Telefon mit Marcuccio, im Hintergrund ein wenig Stadt und mit etwas Phantasie das Meer:

Sicht aus dem Triangle Tower

Währenddessen: In der Kantine liegt die Kostenloszeitung »Israel Ha’Yom« umher, kurz reinblättern, der tägliche Sticker zum Ausschneiden trällert heute den Abgesang aufs alte Jahr:

2007 endlich zuende

»Alpaim ve’sheva sofsof ha’sof«, »2007 endlich zuende«, diese Sicht deckt sich mit der von Oliver Gehrs, der gerade meinte, dass 2007 auch für den »Spiegel« »ein ganz ganz fieses Jahr« gewesen sei.

Hält uns natürlich nicht davon ab, hinunter in die Azrieli-Mall zu gehen, zu Steimatzky, und den heutigen »Spiegel« zu holen. Damit wir die Zeitschrift nicht wieder gleich zerreißen müssen, sacken wir noch eine »Vanity Fair« ein, die amerikanische natürlich, January 2008.

Vor dem Steimatzky

Dann eine Etage höher, in eine Aroma-Espresso-Bar-Filiale. Lektürewahn. Schere, Stein, Papier, ich verliere wie immer (absichtlich, hehe) und kriege die VF.

Schon beim Editorial von Graydon Carter merkt man, dass das keine deutsche Zeitschrift ist, das ist ein knallharter Diss Richtung GWB und Giuliani, etwas wohlfeil vielleicht, aber meinungsstark. Genau das, was deutsche Herausgeber-Vorworte nicht sind – dazu kurz an Julia Enckes FAS-Artikel von neulich erinnern. Sie schrieb damals, dass Helmut Markwort der einzige worthwhile Leitartikler ist, bloß merkt das eben kaum jemand, weil das im »Focus« passiert.

Dann gleich weiter zu einem der Coverartikel, »Into the Valley of Death«, Sebastian Junger über eine Einheit des 503. Infantrieregiments, die im Korengal-Tal fightet (S. 86-95 und 146-147). Ein sehr guter Frontline-Artikel, der Mikro- und Makrosicht einbezieht. Mehrere Abschnitte beginnen mit »ich«, es liest sich gleich viel besser, wenn die Situation des Schreibers ab und zu klar dargelegt wird.

Millek isst Sandwich um Sandwich, damit er sein Kampfgewicht erreicht (»endlich«), und liest dabei den »Spiegel«:

Die Aroma-Filiale in der Azrieli-Mall

Welche Artikel bis jetzt: »Der Schlächter von Monrovia« (S. 98), den generellen Artikel zu Privatisierungen staatlicher Unternehmen auf S. 58 und den Bhutto-Aufmacher (S. 82, noch nicht ganz fertig). Und ganz zu Anfang und vor allem das Interview mit Joachim Latacz auf S. 125. Tja, vorgestern war Millek noch Schrottianer, nachdem er die Lektüre der vier Homer-Seiten von vorletztem Samstag nachgeholt hat. Jetzt will er auf den nächsten Pro-Schrott-Artikel warten, um wieder umzuschwenken.

Dann raus aus den Towers und rein ins Museum of Art am Shderat Shaul Hamelech. Ein paar gute Sachen aus der zweiten Reihe, schärft den Blick. Aber auch etliche schöne Pissarros, und Alfred Sisley passt zum Wetter draußen, und die »Journal«-Bilder von Juan Gris wären ja im Prinzip geeignete Logos für den Umblätterer. Usw.


Tausche »Spiegel« gegen »FAZ«

Tel Aviv, 31. Dezember 2007, 00:40 | von Paco

Nach dem Aufstehen kurz Pita, Humus, Nutella und den Wilhelm-Busch-Artikel von Elke Schmitter, sehr gut, unerwarteterweise ein Highlight der Ausgabe. Sehr interessant der Battle zwischen den drei erwähnten neuen Busch-Biografien zum 100. Geburtstag.

Frühstück

Millek liest den »Yedioth Ahronoth« von heute, das Centerfold der Entertainment-Sektion, »צו אופנה« (»tzav ofna«), ein Wortspiel. ›tzav‹ ist ›Befehl‹, im engeren Sinn der Einberufungsbefehl, ›ofna‹ heißt ›Mode‹. Man könnte das mit »Ruf der Mode« ins Deutsche übersetzen, doch für ein funktionierendes Wortspiel müsste dann jedem noch klar sein, was ein »Ruf der Pflicht« ist. Na gut, unter jedem zweiten Weihnachtsbaum dürfte der Egoshooter »Call of Duty 4« gelegen haben.

Jedenfalls geht es um US-Mädels, die Dienst in der israelischen Armee leisten. Sie werden jeweils einmal in Uniform, einmal in ihrem Freizeitstyle abgebildet und fragebogenartig vorgestellt:

Ruf der Mode

Sowas sollte »Vanity Fair« mal machen, liest sich schön zwischendurch weg und ist sozusagen mindestens genauso gut wie damals die »Monocle«-Story über die japanische Navy.

Viel mehr ist nicht zu holen in der heutigen YA, also streiten wir uns um den »Spiegel« und zerreißen ihn schließlich in der Mitte. Guter Kompromiss.

Dann zum zweiten Frühstück ins Boya am alten Hafen. Shakshuka bis zum Abwinken. Dazu das tiefblaue Mittelmeer als Kulisse und die letzten ungelesenen »Spiegel«-Artikel.

Ich habe den vorderen Teil abgekriegt, den mit der Koran-Titelgeschichte, dem Schäuble-Artikel, alles schon gelesen. Was bleibt, ist der Klaus-Brinkbäumer-Artikel über den verschwundenen Abenteurer Steve Fossett und dessen ihn vermissenden Milliardärskumpel Barron Hilton. Ein unnötig langer Artikel, würde man denken (S. 62-68), aber das ist genau die »Spiegel«-Epik, der man sich nicht entziehen kann.

Am Strand trafen wir etwas später einen Berliner Touristen, der die vorgestrigen Ausgaben der FAZ und SZ bei sich trug. Wir schlugen ihm ein Tauschgeschäft vor, unser »Spiegel« gegen die Zeitungen, aber da das Aust-Blatt schon zerrissen und erkennbar ausgelesen war, wollte er nur eine Zeitung hergeben.

Es war die Stunde der Entscheidung. Wir nahmen die F-Zeitung, denn die war auch einfach zu reichhaltig. Wann hat man schon mal einen Artikel über Klaus Heinrich im Feuilleton (diesmal Friedrich Wilhelm Graf zum 8. Band der »Dahlemer Vorlesungen«). Und dann noch Andreas Platthaus zu den »Mosaik«-Comics, anlässlich einer Hallenser Ausstellung. Was für eine gelungene Mischung, die mussten wir haben.

Dann gingen wir neues Nutella kaufen und alte Zeitungen wegbringen, und zuhause kam auf yes stars 3 zufällig die »Curb«-Folge 4.01, ein Highlight-Revival, die Karaoke-Bar, der Zwischenfall mit dem Handy-Rollstuhlfahrer, Larrys Suche nach chinesischen Vornamen, schließlich die titelgebende »Mel’s Offer«, die Larry zum Max Bialystock macht.

Usw.


Auf der Spur von »Ding«

Tel Aviv, 29. Dezember 2007, 23:19 | von Paco

Heute sind wir den von Matthias Matussek ausgestreuten Zeichen und Wundern gefolgt, um die Live-Berichterstattung um das verschwundene »Ding« zu begleiten. Millek und ich vor dem Yotveta Ba’ir in der Rehov Ha-Yarkon:

Yotveta Ba'ir, Tel Aviv

Matthias Matussek und »Heinrich« M. Broder waren nicht mehr da, natürlich nicht, aber es muss etwas dahinter stecken, wenn sich die beiden konspirativ in diesem nicht unfurchtbaren Café treffen. Bloß was?

Danach im Bela Lugosi in der Rehov Dizengoff, das so sehr fein wie sehr klein ist, in der Nähe vom Dizengoff Center. Wir hatten nur einen »Spiegel«, aber glücklicherweise hatte Millek noch nicht den Homer-Scoop der F-Zeitung gelesen, sodass ich das Aust-Blatt zumindest heute für mich hatte.

Oliver Gehrs hat die aktuelle Ausgabe schon gelobt, den herrlichen Schäuble-Artikel von Jan Fleischhauer zumal (S. 46-50), und auch sonst werde ich morgen weiterlesen müssen, so interessant ist der »Spiegel« mal wieder nach der superschlechten Vorgängerausgabe, in der wirklich nicht ein einziger guter Artikel war. Ich kann das sagen, denn ich habe ihn komplett gelesen, hehe.


+++ Unsere Exzellenz-Initiative zeigt Erfolge +++

Konstanz, 10. November 2007, 16:01 | von Marcuccio

Hatte der Umblätterer, ehrlichstes Consortium für die Transparenz der Exzellenz im deutschen Feuilleton, diesen Herbst möglicherweise ein paar Wünsche frei? Es gibt da ein paar handfeste Indizien:

1. Die Farbfolge im FAS-Feuilleton. Nach Stefan George in Sektenguru-Grau (FAS vom 8. 7.) und Oswald Spengler vor Abendland-Untergeher-Rot (FAS vom 19. 8.) kam es nun doch noch, wie von Dique gewünscht, zu Gómez Dávila und dem Feuilletonaufmacher in Grün. Zwar nicht in direkter Kombination, aber doch in ziemlich zeitnaher Abfolge: Kaum war Dávila undercover in der Buchmessen-FAS aufgetaucht (nämlich in Volker Weidermanns (?) »Suada« unter dem Strich), da folgte in der FAS vom 21. 10. der unübersehbare Hinweis, dass der globale Klimawandel die Halbwelt erreicht hat:

»Grüner wird’s nicht«

… titelte der Aufmacher, und mittendrin in einer grasgrün ausfransenden Zeitungsseite stand Ian McEwan in einem giftgrünen Hemd. Das Interview über grüne Moral in der Literatur gab dann naturgemäß (hehe) nicht mehr her, als wir seit Gudrun Pausewang (»Die Wolke«) auch schon wussten:

»Man kann einem Roman mit zu viel moralischer Intention alles Leben austreiben, jede Geschichte wird unter dieser Last kollabieren.«

2. Unangekündigtes Spoiling in Buchrezensionen, von Paco neulich noch im Gegenlicht der so ganz anderen Praxis bei den Serienjunkiez betrachtet, scheint seit dem 23. 10. erstmals auf dem Rückzug. Da las man in der F-Zeitung doch tatsächlich und buchbezogen: »(Achtung, Spoiler.)« Notabene: in der F-Zeitung, deren Fraktur-Freunde alter Schule womöglich noch nicht einmal wissen, was Spoiling überhaupt ist. Gefreut haben dürfte sich in jedem Fall unser Mitleser Dumbledore, gab sein Outing auf allen Kanälen doch überhaupt erst den Anlass.

3. Mit unserem Motto (Feuilleton fordern und fördern und dabei ackern wie ein Maulwurf) bleiben wir »dran!sparent«, wie sms schreiben würde. Und trotzdem sind die paar Sekunden Umblätterer bei Matussek natürlich kein Vergleich zu einem Migros-Kulturprozent-Award. Complimenti dazu, und weitere Erfolge unserer Exzellenzinitiative in der Themen-Subsparte ›Supermarkt‹ demnächst wieder hier.


Le Dique als Oliver Gehrs

London, 4. November 2007, 12:02 | von Paco

Ok, der neue »Spiegel« ist gerade erschienen. Die letzte Ausgabe, Nr. 44 vom 29. 10. 2007, war aber auch nicht schlecht, according to Dique.

Er kam heute aus Berlin zurück, und da er die Ausgabe von letzter Woche unterwegs komplett gelesen hatte, sogar die Sport-Artikel, gab er mir jetzt im »Nero« um die Ecke einen Rundown, allerdings unter Auslassung der Sport-Artikel. Er machte also den Oliver Gehrs, was gut war, denn Watch Berlin war in der Woche des lange geplanten Relaunchs nur unzuverlässig erreichbar. No Gehrs for you!

»Den 68er-Titel hab ich nur zur Hälfte gelesen, übliches Trara, das war also keine homogene Strömung usw. Als ich dann das Foto auf Seite 77 sah (»Diskutanten in Worpswede«), war es vorbei. Von solchen Leuten möchte ich nichts lesen. Der mit der Weste und den Karottenjeans, bitte nicht.«

»Dann das Interview mit dem Deutschland-Chef von Goldman Sachs, Alexander Dibelius, hier, S. 122. Ziemlich edel über die Finanzkrise (Dibelius: ›Kreditkrise‹, mit den Worten von Studio Braun: ›Ulf Rainer oder Rainer Ulf, wie Sie wollen‹), Risiken der Kreditbündelung usw., und der ist ziemlich gut drauf.«

»Dann hier, ›Party für Reiche‹, S. 104, so ein typischer Artikel über drohende Inflation.«

»Dann ›Kurdische Katzen‹, S. 146, über die PKK-Lager im Nordirak, etwas lang, ging aber noch.«

»Auf den Vietnam-Artikel ›HipHop mit Onkel Ho‹, S. 154, hatte ich mich dann seit dem Inhaltsverzeichnis gefreut, war aber eine Enttäuschung, man hat null über die Stimmung erfahren, das war alles an Einzel­schicksalen hochgezogen, leider uncool.«

»Redford-Artikel und -Interview, ab S. 192: nur angelesen, da war ja neulich schon was in der FAS, das reicht.«

»Dann das Interview mit den Ärzten, S. 204, sehr gut, wieder wurden Erinnerungen wach an eine der letzten FAS, da war ja so ein Reisetext von Farin Urlaub drin. Aber das Interview hier im ›Spiegel‹ hab ich wirklich gern gelesen, und dann das Foto der 80er-Jahre-Besetzung und meine Frage: ›Was macht eigentlich … Sahnie?‹«

»Dann das Bisky-Interview, S. 210, hat eigentlich jemand die Sätze über die DDR gelesen?«

»Dann die hinteren Seiten, es macht Kurt Beck im Gegensatz zu neulich mal wieder richtig sympathisch, dass er da für dieses ›Buch mit Kindheitserinnerungen Prominenter‹ dieses kleine, ›etwas schlechtgelaunt wirkende‹ Kätzchen gemalt hat, hier, S. 223.«

»Aber das eigentliche Highlight der Ausgabe, der beste ›Hohlspiegel‹ ever (S. 224):

Besuchen Sie ein Land, wo Deutsche
noch unbeliebter sind als hier.
Amsterdam ab 29 €

Bildunterschrift: ›Aus einer Werbung der slowakischen Billigfluglinie SkyEurope in Österreich‹. So so gut!«


Die Centerfolds der FAS-Wissenschafts-Redaktion

London, 3. Oktober 2007, 02:37 | von Paco

Sonntag vor zwei Tagen. Ankunft Liverpool Street, gleich die »FAS« gekauft, denn die gab es da selbstverständlich. Feuilleton diesmal wirklich schnell umgeblättert, ohne dass es schlecht gewesen wäre, aber der Wissenschafts-Teil hatte die besseren Erzählungen.

Diesmal gab es ein Weltraum-Special, mit einem Aufmacher von Ulf von Rauchhaupt über Wernher von Braun (anlässlich des Erscheinens der fülligen Biografie von Michael J. Neufeld) und, passend dazu, einem Artikel über den »russischen Wernher von Braun« (FAZ), Sergej Koroljow, den Sputnik-Forcierer.

Und immer wieder schön sind ja die Centerfolds der Wissenschafts-Redaktion. Diesmal eine gefällige Übersicht zur Geschichte der sogenannten Eroberung des Weltraums.

In diesem Zusammenhang: Auch das letzte Centerfold (23. 9. 2007, S. 72-73) war grandios, ein schön bebildertes Feature mit dem Titel »Der Zeichner des Captain Cook« (könnte ein Romantitel sein von César Aira, Raoul Schrott oder Umberto Eco oder eigentlich jedem anderen Autor). Die Rede war von Georg Forster, und es gab einige colorierte Zeichnungen (aus der Neuerscheinung von Forsters »Reise um die Welt«) und eine autarke Story dazu, geschrieben von Tilman Spreckelsen.

Soweit also die FAS und gleich weiter zum »Spiegel«, gestern gekauft, gelesen in irgendeinem »Nero«-sagen-wir-mal-Kaffeehaus. Die Oliver-Gehrs-Show hatte ich schon gesehen (denn er ist nach einer Woche Pause wieder zurück), worinnen er gleich mal den Joschka-Fischer-Titel verreißt.

Er fragt in seinem Vlog unter anderem, wieso Fischer, der vom »Spiegel« »weggeschrieben« worden sein sollte, den Vorabdruck seiner Zweitbiografie ausgerechnet in diesem Blatt stattfinden lässt. Einfache Antwort: Wo denn sonst?

»Wie aus dem Schützengraben geschrieben!«, rief mir Dique gleich mal zu, als er mich im »Nero« sitzen sah. Er zitierte damit die Spiegel/Fischer-Disruption von O. G. (im Moment wieder mit leichtem Vollbart). »Schützengraben, huh?«, sagte dann die Bartenderin mit einem irgendwie gewinnenden Lächeln.

Ich bekam das aber nur so halb mit, denn ich war ziemlich fertig. Ich hatte eben die komplette Ausgabe in 2 Stunden runtergelesen, lesen müssen, da ich sie jetzt gegen Diques »Economist« eintauschen wollte und sollte.

Natürlich hätten wir uns beide auch beide Zeitschriften kaufen können, aber dann ist der Druck weg und das »Spiegel«-Lesen dauert wieder die ganze Woche, weil ständig die Tagespresse dazwischenkommt.

In dieser Ausgabe übrigens auf S. 212 ein Bild von Ursula von der Leyen, wie sie ein Exemplar der F-Zeitung mit der ab diesem Freitag fotobehängten, farbigen, frakturlosen (bis auf das Logo natürlich) Frontseite. Ist eine Werbekampagne.

Dann noch Malte Herwig zu den beiden neuen Jünger-Monografien von Schwilk und Kiesel (S. 200-202). Jüngers Werk erscheine »überraschend aktuell«, schreibt Herwig. Er greift nicht auf die Formulierung »erschreckend aktuell« zurück, die Jens Friebe so sehr fasziniert, dass er einen Song darüber geschrieben hat, vgl. sein am Freitag erschienenes Album. (Dazu später, wir waren gestern noch auf einer Release-Party draußen in Tottenham.)

Jedenfalls, Schwilk beats Kiesel im direkten Vergleich:

»Verglichen mit Kiesels spröder Nacherzählung zeigt die glänzende Biografie von Schwilk, was eine gekonnte Mischung aus Empathie und kritischer Distanz in diesem Genre leisten kann.«

Ok. Dann noch kurz zurück zu Gehrs: Er kommt ja anhand des Vorabdrucks zu der Erkenntnis, dass Joschka Fischer »noch schlechter« schreibe als Gerhard Schröder (Zitat: »die Halle glich einem Hexenkessel«, hehe). Nachdem damals Schröders Memoiren als Vorabdruck im »Spiegel« erschienen waren, veranstalteten wir einen Gerhard-Schröder-Leseabend. Es war sehr gut.


Mit Jürgen Dollase und dem neuen »Spiegel« bei »Subway«

Madrid, 18. September 2007, 23:52 | von Paco

Neee, bitte nicht, sagte Dique. Lieber Tapas oder Fleischklumpen oder gleich den Wurstteller im »Naturbier« auf der Plaza Santa Ana, hehe. Wir standen zufällig vor der stolzen ersten »Subway«-Filiale Spaniens (eröffnet am 26. 4. 1995) in der Calle Génova nº 9.

Subway-Filiale, Madrid, Calle Genova 9

Und weil wir uns an den Dollase-Artikel in der FAS vom 19. August erinnerten (S. 46), traten wir dann doch ein.

Normalerweise besucht Jürgen Dollase für seine FAS-Kolumne »Hier spricht der Gast« nur Restaurants, in denen es als Vorspeise Hirschgeweih gibt und der Hauptgang mindestens 50 Euro pro Kartoffel kostet.

Jetzt ist er eben mal bei »Subway« gewesen, und allein die Idee, im Gourmet-Stil darüber zu berichten, ist schon äußerst gut:

»Die Brotsorten sind geschmacklich in Ordnung, werden aber viel zu dick aufgeschnitten. Wer versucht, vom Sandwich abzubeißen (Besteck gibt es nicht), hält bald ein matschiges Etwas in den Händen.«

Dollase interpretiert »Subway« insgesamt schon als esskulturellen Fortschritt gegenüber »McDonald’s«, kritisiert dann aber im Einzelnen vor allem den Mangel an Fleisch-Sandwiches. Immerhin lobt er den Akkord, der zusammen mit den mehr oder minder berühmten »Subway«-Saucen entsteht.

Dique hatte den auch von Dollase empfohlenen »Pollo Teriyaki« genommen und fand ihn äußerst gut, im Gegensatz zu der RAF-Fortsetzung im gestrigen »Spiegel«, die wir aber natürlich alle gelesen hatten.

Als Erstes hatten wir aber offenbar alle automatisch den Artikel über Karl Eibl aufgeblättert und verhielten uns nun im Gespräch, ähnlich wie Marius Fränzel in den Fliegenden Goethe-Blättern, äußerst ungnädig gegenüber der dauernden Ruhe über den Gipfeln und Wipfeln, die da im Artikeltext beschworen wird.

Dann ging es um den Belgien-Artikel »Bröckelnder Zement« auf Seite 158, den man praktisch schon an jedem Tag der letzten 50 Jahre veröffentlicht haben könnte, mit sozusagen gleichem Wortlaut.

Als nächstes mussten wir dann Hellmuth Karasek Dank abstatten, obwohl Oliver Gehrs die bei diesem bestellte Erinnerungshymne zu Peter Merseburgers Augstein-Biografie (S. 188-191) ein bisschen diskreditieren möchte. Wir möchten das nicht. Man hört diese Anekdoten ja immer wieder gerne. Die mit dem zu viel Bier und die mit Augsteins Rückzug aus der Ukraine, und dann gibt es sogar noch einen astreinen Diss gegen die »Time«, auch ein altes Thema des Umblätterers.

Als Nachtisch gab es dann übrigens doch noch einen Wurstteller für jeden, ohne zu dick geschnittenes Brot, dafür aber mit Besteck.