Im Gewandhaus: Axel »Chailly« Kober
Leipzig, 19. Januar 2008, 08:30 | von AustinIch muss unbedingt die Karte loswerden. Gewandhaus, Riccardo Chailly, Mahlers Erste, Seitenrang. Eigentlich. Bis ich am Donnerstag mit der Straßenbahn am Gewandhaus vorbeifuhr, mein Blick streifte diese sicher noch von Masur eingeweihte Anzeigentafel in Robotrongrün: Heute und morgen Großes Concert, Dirigent Axel Kober. Schnell mit Opera Mini ins Netz. Chailly im Krankenhaus. Und Mahler war auch weg vom Plan.
Also: Weg mit den Karten. Im Institut Mail an alle, will jemand zu Chailly, ich kann kurzfristig nicht. Dann stehe ich beim Automatenespresso und lese in der S-Zeitung, wie Jossi Wieler und Sergio Morabito ihre Regiezusammenarbeit erklären (und die gute Frage von Jörg Königsdorf nicht erklären, warum nur in der Oper und nicht im Schauspiel).
Während ich noch hoffe, dass Wieler/Morabito nicht auch noch krank werden und meine »Maskenball«-Karte am 30. sinnlos machen, zieht das halbe Institut an mir vorbei, Seitenblick mit knapper Frage: Ist Chailly nicht krank? Die scheinen das irgendwie alle schon zu wissen. Mache den Stromberg und tue überrascht. Hilft nix, gehe nun doch selber hin.
Muss man dem Gewandhausorchester lassen: Edel gerettet.
Auf dem Rang genau mir gegenüber sitzt die Einlasserin, wie immer mit dem Rücken zum Orchester, den Blick voll auf den Mittelblock vor sich.
Idee für einen Film: Was diese Einlasserin alles nicht sieht, wenn sie starr in die Reihen schaut und aufpasst, ob nicht doch jemand stirbt in ihrem Block. Immer mittendrin, aber nie dabei. Tausend Konzerte gehört, aber Masur nie gesehen. Und Chailly auch nicht. Wie wir alle heute nicht, die wir stattdessen Axel »Chailly« Kober sehen – und hören, wie zwar am Anfang alles ein bisschen zur großen Oper wird als wär’s Verdis »Otello« im Dauersturm. Aber dann holen sie doch das gigantische Finale von Dvořáks Achter aus dem Handgelenk, als wär’s Alltag.
Und immerhin hören wir den sensationellen Benjamin Schmid, Violine. Und wie der dann die Zugabe ankündigt und in feinstem Wienerisch die Worte in den Saal fallen lässt: »Heinrich–Ignaz–Franz–Biber. Die Passacaglia.«
Zweiter Gedanke: dass man tatsächlich auch wienerisch Violine spielen kann. Dritter Gedanke: wieder mal nach Wien fahren, wieder mal ins Diglas.
Am 19. Januar 2008 um 20:01 Uhr
und WIE man wienerisch geige spielen kann ! – gleichwohl vermögen wir als ortsinsassen die – ja bereits schön dokumentierte – liebe des kundigen UMBLAETTERERs zum cafe DIGLAS wenig nachzuvollziehen . zugegeben : früh oder vormittags geht es o.k. , aber dann wird’s eng und laut und die schon die olfaktorische kakophonie der diversen parfums und rasierwasser lässt jeden versuch einer einigermassen geistesgegenwärtigen zeitungslektüre ins schwinde(l)n geraten –
gratulation übrigens zum sonntags- content- management : eine weise entscheidung der distinktion und uns laien eine ersehnte wiederkehr des lange entbehrten „WORTES ZUM SONNTAG“ .